Flugblatt-Affäre um Aiwanger: "Ein echtes Dilemma" für Söder

    Flugblatt-Affäre um Aiwanger:"Ein echtes Dilemma" für Söder

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    Den Katalog aus 25 Fragen hat Freie-Wähler-Chef Aiwanger beantwortet - für ihn sind damit alle Gründe für eine Entlassung ausgeräumt. CSU-Chef Söder steckt derweil im Dilemma.

    Man sieht Aiwanger auf der Bühne bei einer Veranstaltung.
    Wenige Wochen vor der Landtagswahl in Bayern werden die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger zur Zerreißprobe für Ministerpräsident Söder.02.09.2023 | 2:23 min
    In der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt geht Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger davon aus, dass mit seiner Beantwortung des Fragenkatalogs von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) alle Gründe für eine mögliche Entlassung ausgeräumt sind. Der Ball liegt jetzt wieder im Feld von Söder. Der kündigte für Sonntagvormittag kurzfristigt eine Pressekonferenz an - "aus aktuellem Anlass".

    Alle Fragen beantwortet

    Er habe alle 25 Fragen beantwortet, sagte Aiwanger der "Bild am Sonntag". Aiwanger fügte hinzu:

    Ich weiß nicht, zu welcher Einschätzung der Ministerpräsident kommt, aber ich sehe nach meinen Antworten überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt oder eine Entlassung.

    Hubert Aiwanger, Freie-Wähler-Chef Bayern

    Schuster im Schaltgespräch mit Sievers.
    Aiwangers Entschuldigung überzeugt den Zentralrat der Juden nur teilweise. 01.09.2023 | 6:09 min
    CSU-Chef Söder sagte am Nachmittag gegenüber dem ZDF: "Alles wird sauber geprüft". Wann er eine Entscheidung trifft, ist nicht bekannt.
    Nach Ansicht von Stefan Leifert, Leiter des ZDF-Studios in München, steckt der bayerische Ministerpräsident in der Zwickmühle:

    Weil Markus Söder auf diese Entscheidung nun immer stärker durch die polittaktische Brille schaut - und was er da sieht, ist ein echtes Dilemma.

    Stefan Leifert, ZDF-Korrespondent

    Beide Alternativen, die Söder habe, würden große Risiken bergen. "Sollte er Hubert Aiwanger am Ende nicht entlassen, dann würde er Gefahr laufen, auch Zweifel an seinem eigenen Aufklärungswillen zu streuen", sagt Leifert. Denn Söder habe die Latte sehr hoch gehängt. Er habe von Vorwürfen gesprochen, die jetzt zweifelsfrei aufgeklärt werden müssten. Blieben am Ende Zweifel an Aiwanger, dann würden auch Zweifel an Söder haften bleiben, erklärt Leifert.
    Stefan Leifert zugeschaltet aus München
    Die Frage nach der Zukunft Aiwangers ist für Söder und die CSU kurz vor den Landtagswahlen schwer zu beantworten. ZDF-Korrespondent Stefan Leifert schätzt die Situation ein.02.09.2023 | 1:27 min
    Auch die zweite Möglichkeit, die Entlassung von Aiwanger, sei mit großen Risiken behaftet:

    Dann liefe die CSU Gefahr, ihren Koalitionspartner zu verlieren. Sie müsste plötzlich einen Wahlkampf konstruieren, ohne die Machtoption mit den Freien Wählern weiter zu regieren. Der ganze CSU-Wahlkampf war eigentlich auf die Fortsetzung der sogenannten Bayern-Koalition ausgerichtet.

    Stefan Leifert, Leiter des ZDF-Studios in München

    In diesem Fall müsste Söder dann einen komplett neuen Wahlkampf entwerfen. Am Sonntag ist Markus Söder im ZDF-Sommerinterview zu Gast.
    Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger lässt sich auf dem Karpfhamer Fest von Besuchern feiern.
    Der bayrische Vize-Regierungschef Aiwanger hat die Fragen von Ministerpräsident Söder zum antisemitischen Flugblatt schriftlich beantwortet. Das bestätigte die Staatskanzlei.02.09.2023 | 0:22 min
    Aiwanger jedenfalls will die Koalition mit der CSU auch in der kommenden Legislaturperiode weiterführen:

    Ich wünsche mir, dass es nach den Wahlen eine Fortsetzung der Koalition von uns mit der CSU geben kann, natürlich hängt das aber vom Wahlergebnis ab.

    Hubert Aiwanger, Freie-Wähler-Chef Bayern

    Aiwanger: Zurück zur Tagesarbeit

    Aiwanger verwies darauf, dass bei seinen Anhängern "die Empörung über diese Kampagne" groß sei. "Ich habe mich für Fehler von mir entschuldigt", sagte der bayerische Wirtschaftsminister und forderte, nun wieder zur Tagesarbeit zurückzukehren.
    Der 52-Jährige sprach von einer "Hexenjagd" gegen ihn: "Meine Sorge ist: Wenn diese Hexenjagd nicht aufhört und Erfolg hat, wird niemand mehr in die Politik oder in andere Führungspositionen gehen, aus Angst, dass seine Vergangenheit auf jeden schlechten Witz hin durchleuchtet wird."

    Antwort auf 25 Fragen am Freitagabend

    Als Konsequenz aus der Affäre aus seiner Schulzeit forderte Aiwanger: "Die Schule muss künftig wieder ein geschützter Raum werden, wo sich Schüler entwickeln können, ohne Jahrzehnte später für wirkliche oder durch anonym behauptete Fehler vernichtet zu werden."
    Aiwanger hatte die Fragen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu den im Raum stehenden Vorwürfen am Freitagabend schriftlich beantwortet. Zum Inhalt der Antworten ist bislang noch nichts bekannt. Auch die Fragen, die die Staatskanzlei an Aiwanger geschickt hatte, waren nicht veröffentlicht worden.
    Hubert Aiwanger vor bayrischer Flagge
    Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger entschuldigt sich, einen Rücktritt lehnt er ab.31.08.2023 | 11:14 min
    Söder hatte auf eine schnelle Beantwortung der 25 Fragen gedrängt und gesagt, es dürften keine Restzweifel bleiben. Er muss nun entscheiden, ob er Aiwanger entlässt oder wie weiter verfahren werden soll. Am 8. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt.

    Aiwanger entschuldigt sich für Fehler in Jugend

    In einem Statement hatte sich Aiwanger am Donnerstag erstmals für mögliche Fehler in seiner Jugendzeit entschuldigt. Seine Entschuldigung gelte "zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit".
    Zugleich sprach er angesichts der Vorwürfe erneut von einer politischen Kampagne gegen ihn und seine Partei.
    31.08.23, München: Hubert Aiwanger spricht vor Mikrofonen auf einer Pressekonferenz.
    Die Vorwürfe gegen Freie-Wähler-Chef Aiwanger häufen sich: ein antisemitisches Flugblatt in seiner Schultasche in den 80ern, judenfeindliche Witze und Hitlergrüße in der Kindheit. 31.08.2023 | 1:48 min
    Den in der "Süddeutschen Zeitung" vom Wochenende erhobenen Vorwurf, in seiner Schulzeit in den 80er Jahren ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben, weist Aiwanger zurück. Er räumte ein, dass Exemplare in seinem Schulranzen gefunden wurden, bestreitet aber, der Urheber zu sein. Sein Bruder übernahm am Wochenende dafür die Verantwortung.

    Aiwangers Entschuldigung
    :Zentralratspräsident: "Macht Opfer zu Tätern"

    Freie Wähler-Chef Aiwanger fühlt sich - trotz seiner Entschuldigung - als Opfer der Flugblatt-Affäre. Der Präsident des Zentralrats der Juden sieht eine "Täter-Opfer-Umkehr".
    Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, aufgenommen am 19.04.2023
    Interview
    Quelle: AFP, dpa, ZDF

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