Ein Jahr Aufnahmeprogramm: Erste Afghanen kommen jetzt an

    Einreisen über Aufnahmeprogramm:Ein Jahr später: Erste Afghanen kommen an

    Julia Theres Held
    von Julia Theres Held
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    Vor über elf Monaten startete die Bundesregierung ihr Aufnahmeprogramm für Flüchtende aus Afghanistan. Jetzt kommen die ersten in Deutschland an.

    Seit der Machtübernahme der Taliban wurden die Rechte der Frauen in Afghanistan wieder massiv eingeschränkt.
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    Es ist 19:08 Uhr als die Turkish Airlines Maschine TK1527 mit fast zweistündiger Verspätung in Düsseldorf aufsetzt. Die Erschöpfung ist der Familie anzumerken, dem Vater Hamid Amiri* (Name aus Sicherheitsgründen geändert), seiner Frau und den vier Kindern. Knapp neun Stunden Flug liegen hinter ihnen. Und Monate voller Angst und Unsicherheit.

    Wir hatten eigentlich keine Hoffnung mehr, dass wir irgendwann noch mal ein normales Leben führen werden.

    Tochter Samira

    "Jetzt sind wir endlich sicher", sagt das Mädchen.

    Familie bedroht von den Taliban

    Bedroht von den Taliban musste die Familie ihr zu Hause in Mazar-e-Sharif gleich nach der Machtübernahme verlassen. Einige Familienmitglieder hatten eng mit den deutschen Sicherheitsbehörden zusammengearbeitet. Bleiben wurde vor allem für den Vater zu gefährlich. Seither waren die Amiris auf der Flucht.
    Aber die Familie hat Glück. Gemeinsam mit sechs weiteren afghanischen Schutzsuchenden, die in dieser Woche angekommen sind, sind sie die ersten, die über das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan, kurz BAP, nach Deutschland kommen dürfen - fast genau ein Jahr, nachdem dieses Programm gestartet ist.

    Faeser und Baerbock geben ein großes Versprechen

    Mitte Oktober 2022 ist es, als SPD-Innenministerin Nancy Faeser und Außenministerin Annalena Baerbock, (Grüne) gemeinsam ein großes Versprechen geben: Man werde jeden Monat etwa 1.000 Schutzsuchende aus Afghanistan schnell und unbürokratisch nach Deutschland holen, vor allem Menschen, die durch ihren Einsatz für Frauen- und Menschenrechte in Gefahr geraten sind, durch ihre Arbeit in Politik und Medien, ihr Geschlecht oder ihre sexuelle Orientierung.
    Islamic Relief-Mitarbeiterinnen sitzen mit afghanischen Müttern und ihren Kindern in einem Raum auf dem Boden.
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    "Wir sind uns der auch im neuen Bundesaufnahmeprogramm liegenden Baustellen bewusst", hatte die Außenministerin damals schon erklärt. Aber endlich ein bundesweites Programm zu haben, sei tausendmal besser als kein Aufnahmeprogramm zu haben.

    Bittere Bilanz des Aufnahmeprogramms

    Inzwischen aber ist klar, das Programm hat nicht nur Baustellen. Die Bilanz ist bitter: Mit den in dieser Woche in Deutschland Angekommenen hat die Bundesregierung weniger als 0,2 Prozent ihres eigenen Ziels erreicht. Und noch immer sitzen in Pakistan, Iran und auch Afghanistan Tausende mit Aufnahmezusagen aus anderen Programmen fest, unter anderem dem Ortskräfteprogramm, und warten auf ein Visum. Die Kritik kommt deshalb aus allen politischen Richtungen.
    "Jede Person, die sich vor den Taliban in Sicherheit bringen kann, zählt", so die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger von der Linken. "Das ändert aber nichts an meiner grundsätzlichen Bewertung:

    Dass knapp ein Jahr nach dem offiziellen Start des BAP gerade mal eine Handvoll Menschen einreisen konnte, unterbietet selbst die niedrigsten Erwartungen.

    Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete (Linke)

    Union: Kommunen sind überfordert

    Auch bei der Kabul Luftbrücke ist man ernüchtert. Von Anfang an hatte die Berliner Hilfsorganisation immer wieder auf die großen bürokratischen Hürden des Programms hingewiesen. Hürden, so Therese Herrmann, die die Menschen vor Ort das Leben kosten könnten. "Wir sind täglich mit Menschen in Kontakt, die konkret von den Taliban verfolgt werden und denen Deutschland Hilfe in Aussicht gestellt hat. Dass jetzt nach fast einem Jahr nach Start des Programms so wenige kommen, zeigt die Schwächen des Programms."
    Aus der Union hingegen kommt die grundsätzliche Forderung, das Programm zu beenden. Die Überforderung der Kommunen sei zu hoch, so der innenpolitische Sprecher Alexander Throm. "Das Bundesaufnahmeprogramm ist ein neuartiges Zusatzprogramm, das sich kein anderes Land leistet. Im Gegensatz zum sogenannten Ortskräfteverfahren richtet es sich an Menschen, denen wir gar nicht verpflichtet sind und die auch keinerlei Bezug zu Deutschland haben."

    Familie Amiris bekommt von Flüchtlingspolitik nichts mit

    Währenddessen haben die Amiris die Sicherheitskontrollen am Düsseldorfer Flughafen durchlaufen. Fünf Stunden hat es gedauert. Auch für die Zollbeamten ist das Bundesaufnahmeprogramm ein neues Verfahren.
    Von den veränderten innenpolitischen Debatten in der deutschen Flüchtlingspolitik wissen die Amiris noch nichts und auch nichts von den immer lauter werdenden Forderungen, ein Programm zu beenden, noch bevor es richtig gestartet hat. Eines aber wissen sie: Deutschland hat ihrem Land ein Versprechen gegeben. Und dass noch immer viel zu viele darauf warten, dass es eingelöst wird.

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