Awdijiwka: Was ein Sieg Moskaus bedeuten würde

    Stadt droht zu fallen:Awdijiwka: Was ein Sieg Moskaus heißen würde

    von Christian Mölling und András Rácz
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    Die russische Armee kreist Awdijiwka zunehmend ein, der Fall der Stadt wird wahrscheinlicher. Für die Ukraine wäre der Verlust ein Schlag, der Kreml würde einen Sieg aufbauschen.

    UKAINE-RUSSIA-CONFLICT-WAR
    Awdijiwka: Immer wieder rennen Russlands Truppen gegen die ukrainischen Verteidiger an. Die Verluste sollen extrem sein – auf beiden Seiten. Einblicke in die Arbeit der Militärärzte und in die Seelen der Helfer und Soldaten.02.12.2023 | 2:24 min
    In den letzten Wochen ist es den russischen Streitkräften gelungen, in Awdijiwka weiter vorzurücken. Sie kamen sowohl westlich-südwestlich der Stadt bei Wodiane voran als auch nordwestlich bei Stepove - dort überquerten sie die Eisenbahnlinie, die eine wichtige ukrainische Verteidigungsstellung bildete. Außerdem gab es kleinere Vorstöße in die Ruinen der Stadt aus südöstlicher Richtung.
    Gegenwärtig scheint sich die russische Zangenbewegung allmählich um Awdijiwka zu schließen. Natürlich lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob und vor allem wann Awdijiwka fallen wird. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür steigt derzeit. Was wären die möglichen Auswirkungen?
    Die Karte zeigt den aktuellen Stand der russischen Besatzung der Ukraine am 16.12.2023. Auf der Karte eingezeichnet sind die Städte Cherson, Saporischschja und Awdijiwka, die sich in der Grenzregion der Besatzung befinden.
    Cherson, Saporischschja und Awdijiwka liegen an der Grenze zu den russisch besetzten Gebieten (Stand: 16.12.2023).
    Quelle: ZDF

    Russische Führung unbeeindruckt von Verlusten

    Nach ukrainischen und westlichen Berichten war die Schlacht um Awdijiwka für die russische Armee extrem verlustreich. Demnach sollen rund um Awdijiwka etwa 18.000 bis 20.000 Soldaten gefallen oder verwundet worden sein, zudem habe die russische Armee etwa 250 gepanzerte Fahrzeuge - darunter Panzer, Schützenpanzer und gepanzerte Transportfahrzeuge - verloren.
    Ungeachtet der Verluste drängt das russische Kommando jedoch weiterhin darauf, die Stadt einzunehmen.
    ZDF-Korrespondent Timm Kröger bei ZDFheute live
    ZDF-Reporter Timm Kröger berichtet, wie Russland seit Oktober versucht, die Stadt Awdijiwka "um jeden Preis" einzunehmen. Soldaten berichten ihm von extrem heftigen Kämpfen. 30.11.2023 | 4:57 min

    Kreml-Offensive im Informationskrieg wahrscheinlich

    Die Nachricht einer Einnahme der Stadt würde den strategischen Nutzen bei weitem übersteigen. Die russische Armee belagert Awdijiwka seit Beginn der umfassenden Eskalation mit unterschiedlicher Intensität und hat dort vor allem seit Oktober 2023 furchtbare Verluste erlitten.
    Sollte es also gelingen, die Stadt einzunehmen, werden die russischen Staatsmedien wahrscheinlich versuchen, dies als großen, strategischen Sieg darzustellen - auch wenn es sich nur um eine kleine Stadt handelt - in einer strategisch nicht allzu wichtigen Lage.
    Für die Ukraine hingegen wäre die Nachricht des Verlusts von Awdijiwka ein Schlag im öffentlichen Diskurs - vor allem in den westlichen Medien.



    Ukraine muss sich geordnet zurückziehen

    Die Ukraine selbst dürfte mit dem Verlust umgehen können: Das lässt sich aus den Erfahrungen schließen, die die Ukraine mit der medialen Behandlung früherer Belagerungen gemacht hat, die ebenfalls mit dem Verlust der betreffenden Stadt endeten (wie Mariupol, Sewerodonezk, Lyssytschansk und zuletzt Bachmut). In den vorangegangenen Fällen gehörte es zu den Elementen der Krisenkommunikation, den langen, heldenhaften Widerstand, die großen Verluste der Russen sowie die militärische Notwendigkeit der Evakuierung der Verteidiger zu betonen.
    Dies gilt natürlich nur, wenn die Ukraine wieder diszipliniert und flexibel genug ist, ihre Truppen rechtzeitig zurückzuziehen, bevor die Russen die Stadt vollständig eingekreist haben. Sollten bedeutende ukrainische Truppen eingekesselt werden, wäre das nicht nur aus militärischer Sicht eine Katastrophe, sondern auch im Hinblick auf die öffentliche Unterstützung für die Armee und ihre Führung.

    Donezk außer Reichweite - aber kein Zusammenbruch der Front

    Aus rein militärischer Sicht wird durch die Einnahme der Stadt die Frontlinie verkürzt und die ukrainischen Streitkräfte werden weiter von Donezk weggedrängt. Sobald Awdijiwka in russische Hände fällt, wird die leichte und mittlere Artillerie der Ukraine weniger Möglichkeiten haben, die militärischen Ziele in der besetzten Stadt Donezk zu erreichen.
    Ansonsten hat die Stadt aber keine große Bedeutung mehr. Die ukrainische Frontlinie wird sicherlich nicht zusammenbrechen, da es auch westlich des Kessels um Awdijiwka gut vorbereitete Verteidigungsstellungen gibt. Außerdem ist das Gelände dort für jegliche Offensivmanöver äußerst kompliziert.
    Alles in allem ist das wahrscheinlichste Szenario, dass die russischen Streitkräfte, wenn Awdijiwka in russische Hände fällt, ihren Vormarsch hier praktisch für eine Weile stoppen werden, um ihre Gewinne zu konsolidieren und die Truppen ausruhen und sich ein wenig erholen zu lassen. Daher ist es wenig wahrscheinlich, dass Russland von Awdijiwka aus einen Blitzkrieg nach Westen führen wird. Die Positionskämpfe werden weitergehen.
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