Bergkarabach: Moskau versagt:Russland bricht sein Versprechen an Armenien
von Christian Mölling, András Rácz
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Russland gelingt es weder, Armenien zu schützen, den Versorgungskorridor offen zu halten, noch den Frieden zu sichern. Eine Lehre für die Ukraine und den Westen.
Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier.
Quelle: dpa
Nach eineinhalb Tagen intensiver Kämpfe hat sich die Separatistenführung in der Region Bergkarabach dem aserbaidschanischen Militär ergeben. Baku bezeichnete die am 19. September gestartete Offensive als "Anti-Terror-Operation", die offiziell als Reaktion auf angebliche Provokationen von Seiten der Karabach-Armenier gestartet wurde.
Umfang, Intensität und Komplexität der Offensive deuten jedoch darauf hin, dass diese Operation lange im Voraus geplant wurde.
Quantitative und qualitative Überlegenheit
Die zahlenmäßige und technische Überlegenheit der aserbaidschanischen Streitkräfte brach den armenischen Widerstand schnell. Die bergkarabachischen Streitkräfte hatten keine Möglichkeit, sich gegen aserbaidschanische Präzisionsartillerie und Drohnenangriffe zu schützen.
Zwar liegen noch keine umfassenden Informationen vor, doch nach den vorliegenden Bildern und Mitteilungen des Separatistenregimes haben die Streitkräfte von Bergkarabach sehr schwere Verluste erlitten.
Die Kapitulationsbedingungen wurden Berichten zufolge von Russland vermittelt - de facto gab es jedoch nicht viel zu vermitteln, da Bergkarabach praktisch bedingungslos kapitulierte.
2020: Russland mit Schlüsselrolle bei Entschärfung der Situation
Die gesamte Offensive begann unter eklatanter Verletzung des Waffenstillstandsabkommens vom 10. November 2020, das den vorangegangenen, 44 Tage dauernden Krieg beendete.
Dieser Waffenstillstand wurde von Russland ermöglicht und vermittelt; die russische Diplomatie spielte damals eine Schlüsselrolle bei der Entschärfung der Situation und stellte sicher, dass die meisten der tatsächlich bewohnten Teile Karabachs unter armenischer Kontrolle blieben.
Quelle: ZDF
Friedenstruppe soll für Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens sorgen
Das Waffenstillstandsabkommen von 2020 sah auch vor, dass eine russische Friedensmission an der Kontaktlinie sowie am Lachin-Korridor stationiert wurde, der Karabach mit Armenien und damit mit der Außenwelt verbindet.
Die Aufgabe der russischen Friedenstruppen bestand darin, dafür zu sorgen, dass das Waffenstillstandsabkommen von beiden Seiten eingehalten wird und der Korridor offen bleibt, der für Karabach eine Lebensader darstellt.
Quelle: DGAP
... leitet das Programm "Europas Zukunft" für die Bertelsmann Stiftung in Berlin. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Blockade führt zu humanitären Krise
Moskau hat in beiden Fällen eklatant versagt. Die russische Friedenstruppe konnte den Korridor nicht offen halten: Seit letztem Herbst blockieren aserbaidschanische Streitkräfte, getarnt als "Umweltaktivisten", den Korridor, wodurch Karabach der Großteil der dringend benötigten Versorgungsgüter, einschließlich militärischer Güter, vorenthalten wurde.
Die Blockade führte im Winter zu einer schweren humanitären Krise. Dennoch blieb das russische Friedenskontingent passiv. Zwar schickte Russland demonstrativ einige humanitäre Hilfslieferungen, doch konnten diese die unterbrochenen Versorgungslinien nicht ersetzen.
Russland gab grünes Licht für Vormarsch
Als die gegenwärtige Eskalation am 19. September begann, standen die russischen Friedenstruppen buchstäblich abseits. Sie versuchten nicht einmal, die aserbaidschanischen Streitkräfte aufzuhalten.
Darüber hinaus erklärte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der russischen Staatsduma, Andrej Kartapolow, ganz offen, dass die Friedenstruppen ihre Waffen nur zur Selbstverteidigung einsetzen dürften.
Mit dieser Ankündigung gab Russland im Grunde grünes Licht für den Vormarsch der aserbaidschanischen Streitkräfte.
Russland führt eigene Sicherheitsorganisation vor
Berichten zufolge hat Baku vor der Offensive lange mit Moskau verhandelt, höchstwahrscheinlich, um die Zustimmung Russlands zu erhalten. Armenischen Quellen zufolge hat Moskau Jerewan jedoch nicht über die Gefahr eines bevorstehenden Angriffs informiert, obwohl das Land Mitglied der von Russland geführten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) ist.
Putin beschützt Armenien nicht
Tatsächlich hat die von Russland geführte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit schon früher versagt. Die OVKS unternahm nichts, um Armenien während der militärischen Zusammenstöße mit Aserbaidschan im Herbst und Winter 2022 zu schützen.
Obwohl die OVKS-Mitgliedschaft Armenien eine Sicherheits- und Verteidigungsgarantie für den Fall eines Angriffs von außen geben sollte, hat Moskau nichts unternommen, um Jerewan vor aserbaidschanischen Angriffen zu schützen.
Russland ignoriert Waffenstillstand - Lehre für den Westen
Die Tatsache, dass sich Russland selbst für den Verbündeten Armenien als äußerst unzuverlässiger Partner erwiesen hat, wird in Zukunft zu berücksichtigen sein, wenn in der Ukraine irgendwelche Waffenstillstandsverhandlungen aufgenommen werden.
Nach dem Großangriff Aserbaidschans auf die Region Bergkarabach haben die Armenier eine Feuerpause verkündet. 20.09.2023 | 4:48 min
Dies ist eine wichtige Lehre für den Westen - wobei sich die Ukraine sicherlich auch vor dem jetzigen Karabach-Krieg keine Illusionen gemacht hat.
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