Beitrittsgespräche Bosnien-Herzegowina: Langer Weg in die EU

    Bosnien-Herzegowina:Beitrittsgespräche: Der lange Weg in die EU

    von Christian von Rechenberg
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    Die EU berät über Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina. Viele Jahre musste das kleine Westbalkanland darauf warten. Aber will es überhaupt noch in die EU?

    Bosnia EU
    Bosnien und Herzegowina hat schon einige Reformen beschlossen, die den Weg in die EU ebnen sollen.
    Quelle: AP

    Es waren "beeindruckende" Schritte, die Bosnien und Herzegowina laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vollzogen habe. Reformen, die eine Botschaft aussendeten: Wir wollen.

    Putins Krieg gegen die Ukraine hat die Lage verändert

    Gemeint ist ein großes Gesetzespaket, das vor allem der irregulären Migration sowie Geldwäsche und Terrorfinanzierung den Kampf ansagt. Ein zweites Paket, das Justiz und Gerichtsbarkeit reformieren soll, ist in Vorbereitung. Das kann man beeindruckend nennen, oder einen Minimalkonsens.
    Aber bis es die 14 Schlüsselkriterien erfüllt, die die EU Bosnien und Herzegowina aufgab - Rechtsstaatlichkeit, Bekämpfung der Korruption, Schutz von Minderheiten, Unabhängigkeit der Justiz - hat das Land nach Experteneinschätzung noch einen Weg zu gehen.
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    Putins Krieg gegen die Ukraine aber hat die Ausgangslage geändert. Nicht nur für einen möglichen Beitritt der Ukraine, sondern auch für Bosnien und Herzegowina. Vedran Dzihic, Osteuropaexperte am Österreichischen Institut für internationale Politik, fasst es wie folgt zusammen: Man habe die Kriterien so aufgeweicht, dass es mittlerweile genügt, wenn "Bosnien und Herzegowina allgemeine Anstrengungen und nur in einigen wichtigen Bereichen auch Reformen unternimmt."
    Das scheint nun der Fall. Da Bosnien und Herzegowina am Ende des Beitrittsprozesses jedoch den gesamten Rechtsbestand der EU umsetzen muss, dürften die nun beginnenden konkreten Verhandlungen weitere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, so Dzihic.

    Die Gunst der Stunde für Bosnien und Herzegowina

    Bosnien und Herzegowina selbst ist eines der komplexesten politischen Systeme der Welt - nach dem Krieg 1992 bis 1995 durch zwei internationale Friedensverträge mit Kontroll- und Veto-Mechanismen buchstäblich überfrachtet. Doch "das Prinzip der Ethnopolitik hat sich verselbstständigt, und ist zu einem Macht- und Herrschaftsprinzip geworden", so Dzihic, "insbesondere in den Jahren, in denen auch die Sogwirkung der Europäischen Union geringer wurde."
    Lange Jahre hätte es so ausgesehen, als täten EU und Bosnien und Herzegowina nur das Allernötigste, um wenigstens den Kontakt nicht zu verlieren. Währenddessen blockierten sich Eliten, ethnische Gruppen und Politiker gegenseitig, um mittels künstlich erzeugter Krisen an der Macht zu bleiben.
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    Nach den letzten Wahlen jedoch, formierte sich in Sarajevo eine Regierungskoalition, so Dzihic, die sich "Pragmatismus und den Kompromiss auf die Fahnen geschrieben" habe. In Sarajevo kamen die Dinge in Bewegung. Auch das, so der Experte, erhöhte den Druck auf die EU, endlich ernst zu machen.
    Die Lücke, die die zähen Verhandlungen beiher hinterließen, nutzen Großmächte wie Russland und vor allem China, aber auch Länder wie die Türkei und Saudi-Arabien, um ihren Einfluss auszubauen. Der Osteuropaexperte der Universität Graz, Florian Bieber, sieht darin jedoch eher regionale oder projektbezogene Strohfeuer:

    Es ist schon so, dass sich die Mehrheit immer noch eine Zukunft in der Europäischen Union wünscht. Das Problem ist, dass immer weniger Menschen daran glauben.

    Florian Bieber, Osteuropaexperte der Universität Graz

    Als Beleg nennt Bieber die nach wie vor hohe Quote der Auswanderer in die EU. Eine Bewegung, die Bosnien und Herzegowina doppelt belastet. Zum einen verliert das Land seinen teilweise gut ausgebildeten Nachwuchs. Und bei denen, die zurück bleiben, wächst der Frust auf die Politik. Das wiederum beflügelt Populisten und Nationalisten.
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    Die große Unbekannte Dodik

    Der schillerndste heißt Milorad Dodik, Präsident und autoritärer De-Facto-Alleinherrscher über einen der beiden halbautonomen Landesteile, der Republika Srpska. Der Mann, der regelmäßig die Nähe Putins, Orbans oder Erdogans sucht, gilt aus ausgewiesener EU-Gegner und belastet Bosnien und Herzegowina innenpolitisch mit regelmäßigen Drohungen, sich mit einer eigenen Möchtegern-Republik abzuspalten.
    Über seine Partei SNSD ist er zudem mittelbar an den Beitrittsverhandlungen mit der EU beteiligt und verstand es in der Vergangenheit, durch gezielte Blockaden den Prozess nach Belieben zu steuern. "Es gibt keine Entscheidung in der Regierungskonstellation, wo er nicht mitbestimmen kann", so Dzihic.

    EU fehle es an klarer Strategie

    Im Klartext: Ohne ihn kann es in Bosnien und Herzegowina weder Reformen noch Verhandlungsfortschritte geben. Eine Poleposition, die Dodik in Zukunft wohl nicht aufgeben wird, um seine Macht so lange zu erhalten wie möglich.
    Laut Florian Bieber fehle es seitens der EU vor allem an einer klaren Strategie für Bosnien und Herzegowina, insbesondere im Umgang mit "Saboteuren" wie Dodik. Anzeichen, dass sich das ändere, sieht der Experte noch nicht.

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