Nahostkonflikt: Warum sich Erdogan als Hamas-Versteher gibt

    Analyse

    Nahost-Konflikt:Warum sich Erdogan als Hamas-Versteher gibt

    Anna Feist | ZDF-Reporterin in Istanbul
    von Anna Feist, Istanbul
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    Der türkische Präsident Erdogan ist bekannt für seine Verbal-Attacken. Seit Monaten hetzt er gegen Israel. In der türkischen Bevölkerung finden seine Worte viel Zuspruch.

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält eine Rede in Istanbul, Türkei.
    Die verbalen Attacken Erdogans gelten in den letzten Monaten vermehrt Israel. Dabei verfolgt der türkische Präsident möglicherweise mehrere Ziele.
    Quelle: AP

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fällt regelmäßig mit Verharmlosung der Hamas-Verbrechen auf. Das findet Zuspruch in der Türkei, auch im neuen Jahr. Für Gaza wollten viele extra nicht Silvester feiern: 250.000 Menschen, versammelten sich am Neujahrsmorgen um 8 Uhr zum propalästinensischen Protest. Ein Meer aus türkischen, palästinensischen und Flaggen, der im Westen als Terrororganisation eingestuften Hamas beschwenkten Allah Akbar-Rufe und Parolen wie "Mörder Israel, raus aus Palästina".
    Yasin Sekercek steht in der ersten Reihe. Mit strengem Blick und grüner Hamas-Kopfbinde erklärt er: "Die Reaktion der Welt ist nicht richtig, nur die Türkei steht gerade und vertritt eine starke Haltung. Dafür müssen wir unserem Präsidenten dankbar sein. Er fordert die ganze Welt heraus."
    Erdogans Strategie im Nahost-Krieg
    Zu Beginn des Krieges in Nahost bot Erdogan seine Hilfe als Vermittler an. Als Israel darauf nicht reagierte, ließ Erdogan alle Neutralität fahren.02.01.2024 | 2:16 min

    Erdogan vergleicht Netanjahu mit Hitler

    Erst vergangene Woche vergleicht Erdogan den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit Hitler: "Ist das, was dieser Netanjahu tut, weniger als das, was Hitler tat? Das ist es nicht."
    Solche Äußerungen sind nicht neu, zuvor bezeichnete Erdogan den israelischen Ministerpräsidenten etwa als "Schlächter von Gaza", Israel sei ein "Kriegsverbrecher"; die in Deutschland als Terrororganisation eingestufte Hamas dagegen sei eine "Befreiungsorganisation".

    Wirtschaftliche Beziehungen zwischen Israel und der Türkei

    Dabei posieren noch Ende September Erdogan und Netanjahu in New York im Türkischen Haus vor den Kameras, sie machen Witze über die Ähnlichkeit ihrer Krawatten und sollen mehr Zusammenarbeit im Energiebereich vereinbart haben, etwa gemeinsame Bohrungen im östlichen Mittelmeer. Überhaupt steht es gut um die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ankara und Tel Aviv: Israel ist der zehntwichtigste Exportpartner der Türkei, 2022 besuchte eine Rekordzahl von etwa 700.000 israelischen Touristen die Türkei.
    In den ersten Tagen nach dem 7. Oktober ist der Ton des türkischen Präsidenten, der seit Jahren Hamas-Vertreter in der Türkei gewähren lässt, ruhiger: Er ruft sowohl Israel als auch die Hamas auf zur "Mäßigung", hofft auf eine Vermittlerposition wie zuvor im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Doch statt Erdogan übernimmt der Emir von Katar.
    Erdogan
    Im Konflikt zwischen Israel und der Hamas versteht sich der türkische Präsident Erdogan als Vermittler. In Istanbul demonstrierten Menschen für die palästinensische Seite.18.10.2023 | 5:53 min

    Woher kommt Erdogans Wut auf Israel?

    Nur wenige Wochen später droht Erdogan dann mit dem Kulturkampf: "Will der Westen wieder einen Kampf zwischen Halbmond und Kreuz?", fragte der türkische Präsident während der Feierlichkeiten zum 100- jährigen Jubiläum: "Wenn Sie eine solche Anstrengung unternehmen, seien Sie sich darüber im Klaren, dass diese Nation nicht tot ist." Erdogan gibt sich als Anführer einer Liga der Unterdrückten, der die Entrechteten in der muslimischen Welt schützen will.
    Kaum ein Land hat Israel bisher so hart verbal attackiert wie die Türkei - woher also kommt die Wut des türkischen Präsidenten?

    Erdogans Ziel ist in erster Linie als Leader der muslimischen Welt anerkannt zu werden. Dafür ist die Palästinenserfrage ein sehr dienliches Mittel.

    Fehim Tastekin, türkischer Journalist

    Hamas und Fatah: Türkei will Irans Einfluss senken

    Fehim Tastekin, der im Exil lebt, glaubt, Erdogan verfolge noch ein anderes ganz eigenes Ziel: Er wolle die Hamas verändern, mit der palästinensischen Partei Fatah an einen Tisch bringen und so auch im Westen salonfähig machen. Denn anders als im Westen gilt die Hamas in der Türkei und in der arabischen Welt nicht als Terrororganisation.
    "Wenn es die Türkei schafft die Hamas zu transformieren bedeutet das gleichzeitig, dass sich die Hamas vom Iran distanzieren wird. Deswegen glaube ich auch, dass Erdogan sich das zur Mission gemacht hat", sagt Tastekin. Ein Schritt, der Erdogan noch mehr Einfluss in der Region und als Verhandlungspartner gegenüber dem Westen sichern könnte.
    Hamas nehmen am 23.10.2023 im Westjordanland an der Beerdigung von zwei palästinensischen Männern teil.
    Im Oktober stürmen mehr als 1.500 Hamas-Terroristen israelisches Gebiet. Wie konnte es der Hamas gelingen eine Grenze zu überwinden, die als eine der am besten gesicherten der Welt gilt?10.11.2023 | 44:10 min

    Geflüchtete aus Gaza: Berührt von Mitgefühl

    Dass Erdogans Strategie verfängt, zeigt sich nicht nur bei seinen Anhängern auf der Straße, sondern auch bei der arabischen Diaspora. Fatma (Name von der Redaktion geändert) floh vor einem Jahr aus Gaza. Sie lebt illegal in der Türkei, arbeitet als Hilfskraft in einer türkischen Schule. Sie sagt, nicht die Hamas sei das Problem, sondern die Belagerung Israels. Ihr Narrativ: das grausame Ermorden von 1.300 Israelis am 7. Oktober sei die Reaktion auf die jahrelange Unterdrückung der Palästinenser im Gaza-Streifen. Sie ist stolz auf die Hamas, die für ihr Volk endlich aufstehe.
    Mit quälender Ungewissheit starrt Fatma nervös alle paar Minuten auf ihr Handy, seit zwei Wochen hat sie nichts mehr von ihrer Familie in Gaza gehört. Und auch, wenn niemand hier ihren Schmerz darüber, was in der Heimat passiert wirklich verstehe, es berührt sie sehr, wenn die türkischen Kinder in der Schule in Istanbul, in der sie aushilft, ihretwegen die palästinensische Flagge schwenken und "Free Palestine" rufen: "Die Kinder hier wissen, dass ich mich einsam fühle. Sie sagen mir dann, wir sind jetzt deine Familie."

    Aktionen für Israel geplant?
    :33 mutmaßliche Spione in Türkei festgenommen

    Laut türkischem Innenministerium sind im Land mehrere Spione verhaftet worden. Sie sollen für Israel gearbeitet haben. Das Verhältnis der beiden Länder ist angespannt.
    Ali Yerlikaya, türkischer Innenminister, Archivbild
    mit Video

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