Kaum russische Gegenwehr:Kursk-Offensive hält hohe Geschwindigkeit
von Christian Mölling und András Rácz
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Moskau fehlen verlegbare, kampffähige Reserven gegen die ukrainische Offensive. Immer mehr russische Wehrpflichtige werden nach Kursk geschickt.
Bei ihrem Vorstoß in die westrussische Region Kursk machen die ukrainischen Streitkräfte nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj "gute Fortschritte".
Quelle: AFP
Die ukrainischen Truppen sind seit dem 6. August weiter in die russische Region Kursk vorgedrungen. Obwohl sie durch einige erfolgreiche russische Angriffe aus dem Hinterhalt Verluste hinnehmen mussten, haben sie nach wie vor die Initiative und können Entwicklungen bestimmen.
Obwohl die Ukraine kaum offizielle Angaben macht, hat sie nach den wenigen Mitteilungen, russischen Informationen und Satellitenbildern bereits etwa 580 Quadratkilometer Territorium erobert. Die ukrainische Führung behauptet, dass sie bereits 1.100 Quadratkilometer und mehr als 70 Siedlungen eingenommen hat.
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Aufgrund des schnellen Manövrierens der ukrainischen Einheiten in dem zerklüfteten Gelände gibt es jedoch keine eindeutige Frontlinie, sondern eher eine flexible, fließende Kontaktlinie, entlang derer regelmäßig Kampfhandlungen stattfinden. Daher ist es nicht einfach, den Umfang der von der Ukraine gehaltenen Gebiete genau zu bestimmen.
Ziele bleiben unklar - strikte Funkstille
Die operativen Ziele der Ukraine sind nach wie vor unklar. Anders als bei der Gegenoffensive im letzten Jahr halten die ukrainischen Offiziellen diesmal strikte Funkstille über ihre Ziele.
... ist Senior Advisor beim European Policy Centre und leitet das Programm "Europas Zukunft" für die Bertelsmann Stiftung in Berlin. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Ein sehr wahrscheinliches Ziel ist es jedoch, Russland zu zwingen, Truppen aus der Ostukraine nach Kursk zu verlegen und so den Druck auf die ukrainischen Verteidiger im Donbass zu verringern. Dies gilt insbesondere für die Operationsrichtungen Pokrowsk und Tschasiw Jar.
Weiterhin keine erfolgreiche Gegenwehr Russlands
In der Zwischenzeit steht fest, dass Russland eindeutig sowohl über keine Reserven als auch über keine Führungskapazitäten verfügt, um den ukrainischen Einmarsch rasch zu stoppen und zu isolieren.
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Die örtlichen Kräfte des FSB und der Nationalgarde (Rosgwardija) waren nicht in der Lage, den ukrainischen Angriff aufzuhalten, ebenso wenig wie die wenigen unvorbereiteten Militäreinheiten. Infolgedessen gelang es der Ukraine, nicht nur Territorium, sondern auch bereits mehrere hundert Kriegsgefangene zu erobern.
Mangelnde Reserven
Das Hauptproblem auf russischer Seite besteht darin, dass Moskau eindeutig nicht über kampffähige militärische Reserven verfügt, die in die Region Kursk verlegt werden könnten. Dies bestärkt die früheren Einschätzungen, wonach etwa 80 bis 90 Prozent der kampffähigen russischen Bodentruppen entweder in der Ukraine oder in deren unmittelbarer Umgebung durch Auftrag gebunden sind.
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Erste Verlegungen von den Fronten
Russland hat bereits begonnen, einige Einheiten aus der Ukraine zu verlegen, insbesondere aus den Regionen Cherson und Saporischschja sowie aus dem Norden von Charkiw. Moskau will offenbar den Schwung seiner Pokrowsk-Offensive beibehalten und hat daher zumindest bisher keine Einheiten von dort verlegt.
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Wehrpflichtige müssen in den Einsatz
Inzwischen werden immer mehr wehrpflichtige Soldaten von Russland eingesetzt, um der ukrainischen Offensive entgegenzuwirken. Einige von ihnen wurden von den ersten ukrainischen Angriffen am 6. und 7. August überrascht, andere wurden später in Kampfhandlungen verwickelt, während Russland derzeit Berichten zufolge sogar Wehrpflichtige aus anderen Regionen des Landes nach Kursk entsendet.
Der Einsatz von Wehrpflichtigen ist seit dem sowjetischen Krieg in Afghanistan und den beiden Tschetschenienkriegen in den 1990er Jahren ein besonders heikles Thema für die russische Gesellschaft. Zwar können Wehrpflichtige laut Gesetz theoretisch schon vier Monate nach ihrem Eintritt in die Armee zu Kampfeinsätzen herangezogen werden, doch in der Realität fehlt es diesen 18- bis 19-jährigen Jungen an der Ausbildung - und den Offizieren an der Motivation und sogar an Waffen. Die sind für den Einsatz im Kampf, insbesondere gegen kampferprobte ukrainische Fronteinheiten, erforderlich.
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Bestenfalls können sie zum Ausheben von Gräben und zum Bau von Befestigungen eingesetzt werden. Ihr Schicksal sorgt bereits für Unmut in der russischen Gesellschaft: Angehörige protestieren gegen ihren Einsatz. Dass sich der Kreml dennoch für den Einsatz von Wehrpflichtigen entscheidet, zeigt, wie ernst die Lage für Moskau ist.
Russland baut Verteidigungsanlagen
Auf der Grundlage von Satellitenbildern ist zu erkennen, dass russische Truppen bereits mit dem Bau massiver Befestigungsanlagen in der Region Kursk begonnen haben, um den ukrainischen Vormarsch aufzuhalten.
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Da diese Gräben etwa 40 bis 45 Kilometer von der Grenze entfernt gebaut werden, deutet dies darauf hin, dass die russische Militärführung mit einer anhaltenden und weiter wachsenden ukrainischen Präsenz in der Region rechnet - und auch mit der Unfähigkeit Moskaus, die Angreifer schnell zurückzudrängen. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass der ukrainische Einmarsch zumindest in den kommenden ein bis zwei Wochen fortgesetzt wird, solange er nicht auf organisierten, starken Widerstand stößt.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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