Analyse
Zukunft der Nato:Ein Gipfel voller Zweifel in Washington
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Kann sich die Nato noch auf die USA verlassen? Ist Joe Biden fit genug? Und reicht die Hilfe für die Ukraine? Auf ihrem Gipfel muss die Nato vor allem eines: gegen Zweifel kämpfen.
Es ist schon die dritte Frage, die der Nato-Generalsekretär dazu bekommt. Ob er wirklich glaube, wird Jens Stoltenberg auf seiner Vor-Gipfel-Pressekonferenz am Freitag gefragt, dass US-Präsident Joe Biden fit genug sei, um die größte Atommacht der Welt zu führen - und damit die Nato?
Doch Stoltenberg, 65, lässt sich nicht aufs Glatteis führen. "Wenn ich jetzt beginne, etwas zu innenpolitischen Debatten zu sagen", antwortet der scheidende Nato-Chef, "dann schwächt das nur die Allianz selbst".
Und so bleiben die Zweifel an Bidens Fitness unkommentiert. Es sind längst nicht die einzigen, die das Gipfeltreffen der größten Militärallianz der Welt in dieser Woche bestimmen werden.
Nato-Versprechen: "Einer für alle - alle für einen"
Vor 75 Jahren hatten sich zehn europäische Staaten mit den USA und Kanada verbündet - und am 4. April 1949 den Nordatlantikpakt unterzeichnet. Die Bundesrepublik Deutschland trat 1955 bei, 2024 folgte Schweden als 32. Mitgliedstaat. Kern des Vertrags ist Artikel fünf - das Versprechen aller Parteien, "dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen als Angriff gegen sie alle angesehen wird." Übersetzt: Einer für alle - alle für einen.
75 Jahre nach der Gründung ist das Versprechen so aktuell wie selten zuvor. Doch die gemeinsame Absicherung funktioniert nur, wenn es am Beistandsversprechen nicht mal den Hauch eines Zweifels gibt.
Zweifel an der Unterstützung der Ukraine
Die Zweifel aber sind längst da. Ist die Nato stark genug, die Ukraine vor einer Niederlage zu bewahren? Der ukrainische Präsident Selenskyj, der als Gast nach Washington reist, wird Worte der Solidarität hören. Und vermutlich, so ist zu hören, auch mit der Zusage zu weiteren Patriot-Flugabwehrsysteme nach Hause reisen. Ohne Frage überlebenswichtig bei der Abwehr russischer Luftangriffe - aber kaum ausreichend, um Russlands Angriffe zu beenden. Die Unterstützung reiche aktuell nur, klagte jüngst ein osteuropäischer Spitzenpolitiker, um eine Niederlage hinauszuzögern.
Zweifel wegen Orban…
Dazu kommt der jüngste Ausreißer aus der viel gerühmten Einigkeit der Nato - wieder einmal aus Budapest. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hatte sich auf eine private "Friedens-Mission" begeben und vergangene Woche auch seinem "Freund" Wladimir Putin im Kreml die Aufwartung gemacht. Er wird sich in Washington erklären müssen.
… und vor allem wegen Trump
Doch über allem werden in Washington andere Zweifel schweben: ob sich die Ukraine und die Nato noch auf die USA verlassen können. Im wichtigsten Mitgliedsland der Nato steht Umfragen zufolge der Nato-Skeptiker Donald Trump vor seiner Wiederwahl.
Hinter den Kulissen werden Umrisse einer möglichen Trump’schen Nato-Politik erkennbar: so würde ein Präsident Trump womöglich nicht direkt austreten aus der Nato, doch das amerikanische Engagement deutlich zurückfahren. Von den derzeit in Europa stationierten 100.000 US-Soldaten bliebe maximal ein Rumpf übrig. Das Beistandsversprechen würde bestenfalls für jene Staaten gelten, die das 2-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben erfüllen.
Ein Wahlsieg Trumps würde Europa also maximal erschüttern. Alle Versuche, die Nato halbwegs "Trump-sicher" zu machen, etwa, indem man die militärische Unterstützung der Ukraine künftig von der Nato koordinieren lässt, wirken dagegen vor allem eines: maximal hilflos.
Nato: Zum Jubiläum wird ein Baseball geworfen
Ein Gipfel voller Zweifel also - und trotzdem wird zu Beginn, am Dienstag, erstmal offiziell gefeiert. Schon gestern stieg im Baseball-Stadion der "Washington Nationals" zu Ehren der Nato ein Match - der Generalsekretär selbst warf den ersten Ball.
Es sollte eines von vielen schönen Bildern werden. Doch Bilder allein werden die Zweifel nicht vertreiben.
Florian Neuhann ist Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.
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