Saudi-Arabien: Ordnete Salman Tötung von Geflüchteten an?

    Geflüchtete an saudischer Grenze:Tötungsbefehl von Prinz bin Salman?

    Anna Feist
    von Anna Feist, Amro Refai
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    Saudi-Arabien lässt laut Human Rights Watch Hunderte Geflüchtete an der Grenze erschießen. Ein ehemaliger Geheimdienstler erklärt, der Befehl käme von oberster Stelle.

    Ein Boot voller Flüchtlinge auf dem Weg nach Saudi-Arabien
    Auf der Suche nach einem besseren Leben: Tausende Äthiopier fliehen nach Saudi-Arabien. Laut Human Rights Watch sollen Hunderte Migranten an der Grenze zum Jemen erschossen worden sein.07.09.2023 | 2:36 min
    Mindestens zwei Wochen, solange habe es gedauert von ihrer Heimat Äthiopien bis an die jemenitisch-saudische Grenze, erzählen die Männer. In Saudi-Arabien wollten sie arbeiten, Geld verdienen, ein besseres Leben anfangen.
    Ihre vorläufige Endstation ist nun das Al Talha Krankenhaus in Saada. Eine Provinzstadt irgendwo in der jemenitischen Einöde nahe der saudischen Grenze. Zaid hat Granatsplitter abbekommen, Saeeb hat mehrere Kugeln in beiden Beinen und Wansha hat Schussverletzungen in Arm und Bein. Ob sie jemals wieder laufen können, ist ungewiss. Fragt man in die Runde, was passiert ist, dann murmeln die Männer gleichzeitig:

    Das waren die saudischen Grenzer.

    Äthiopische Geflüchtete

    Schüsse auf Geflüchtete ohne Abstand

    Allein in dieses Krankenhaus kämen mindestens 20 Patienten monatlich, die hier mit schweren Verletzungen behandelt würden, erzählt uns Oberarzt Al-Khatib: "Die Verletzungen zeigen, die Menschen wurden angriffen ohne Abstand, es sind direkte Schüsse mit leichten und schwere Waffen." Und unter den Patienten seien regelmäßig Frauen und Kinder.
    Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Human Rights Watch stützt die Beobachtung des jemenitischen Arztes: An der saudisch-jemenitischen Grenze, soll es seit Jahren systematisch zu schweren Menschenrechtsverletzungen durch saudische Grenzer kommen. Die saudische Regierung aber dementiert dies. Sie sagen: Es seien militante Gruppen im Grenzgebiet, die auf die Äthiopier schießen würden.
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    Bin Salman soll Tötungsbefehl gegeben haben

    Eine Lüge, behauptet Rabih Alenezi. Nach langen Vorgesprächen willigt der Mann ein, uns ein Interview zu geben. Auf seinen Kopf stehe in Saudi-Arabien 250.000 Dollar Kopfgeld. Denn Rabih Alenezi sagt, er habe bis Anfang des Jahres für den saudischen Geheimdienst gearbeitet, sei auch an der Grenze im Einsatz gewesen.
    Im ZDF-Interview berichtet er von einem Befehl, der seit drei Jahren ausgeführt werde:

    Im Jahr 2020 kam ein Tötungsbefehl von Prinz Mohammed bin Salman persönlich. Der Befehl besagt jeden Menschen zu töten, der in die Nähe der saudischen Grenze kommt.

    Rabih Alenezi

    Dieser Befehl differenziere nicht zwischen Männer, Frauen und Kindern.

    Jede Person in der Nähe der Grenze wird als Terrorist angesehen und muss sofort neutralisiert werden.

    Rabih Alenezi

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    Deutsche Mitschuld an Schüssen auf Geflüchtete?

    Der desertierte Geheimdienstler betont auch die Mitschuld der deutschen Regierung, denn deutsche Bundespolizisten bilden seit 2009 mit Unterbrechungen bis heute saudische Grenzer aus:
    "Ich hoffe, die deutsche Regierung stoppt das Training nun für immer, denn die saudische Regierung macht immer weiter mit den Menschenrechtsverletzungen, tötet bis heute äthiopische Migranten an der Grenze." Überprüfen können wir nicht, was er sagt. Die deutsche Bundesregierung fordert Aufklärung.

    Innenministerium dementiert Ausbildung saudischer Grenzpolizisten

    Fest steht: 2008 bekam der europäische Rüstungskonzern EADS (heute Airbus) den Zuschlag, die Grenze Saudi-Arabiens mit hochspezialisierter Überwachungstechnologie - auch aus Deutschland - auszurüsten. Seit 2009 sollen Bundespolizisten vor Ort im Einsatz seien. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Jan van Aken hat 2011 die Bundespolizisten in Saudi-Arabien besucht. Er erinnert sich:

    Wir hatten damals die Befürchtung, deutsche Polizisten bilden saudische Polizisten aus, die dann foltern und sonst was machen und da wurde immer gesagt, wir bilden ausschließlich Grenzsoldaten aus.

    Jan van Aken

    Auf einer Regierungspressekonferenz will sich die Sprecherin des Bundesinnenministeriums Ende August daran nicht erinnern. Sie sagt: "Trainingsmaßnahmen speziell für den saudi-arabischen Grenzschutz finden nicht statt, und es haben zu keinem Zeitpunkt Ausbildung oder Trainings der Bundespolizei für den saudi-arabischen Grenzschutz im Grenzgebiet zwischen Saudi-Arabien und Jemen stattgefunden."
    Jan van Aken hält dagegen. Im ZDF-Interview betont er:

    Irgendwer in dieser Bundesregierung hat diesen Einsatz der deutschen Polizisten zur Ausbildung der Grenzer genehmigt und alle, die daran beteiligt waren sind mitschuldig, an all den Verbrechen, die jetzt an dieser Grenze begangen wurden.

    Jan van Aken, Linken-Politiker

    Gräber für Geflüchtete aus Äthiopien ausgehoben

    Während die Saudis dementieren und ihr gerade frisch aufpoliertes Image im Westen, wohl nicht beschmutzt sehen wollen; und die Deutschen sich erstmal wegducken, finden wir auf einem jemenitischen Friedhof unweit der saudischen Grenze eine Grabstelle für äthiopische Migranten - datiert auf den 20. August.
    Daneben ein frisch ausgehobenes Grab. Auf Nachfrage erzählt man uns, man erwarte in diesen Tagen neue Tote. Es sollen äthiopische Männer, Frauen und Kinder sein.
    "The Palm" in Dubai
    Arabiens Traum von der Zukunft - die Doku mit Golineh Atai.24.11.2022 | 44:14 min

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