Urteil erwartet: Verfassungswidrige Klima-Milliarden?

    Urteil aus Karlsruhe erwartet:Verfassungswidrige Klima-Milliarden?

    Samuel Kirsch
    von Samuel Kirsch
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    Darf die Ampel Zusatz-Kredite aus Corona-Zeiten nachträglich für Klimaschutz einsetzen? Ein Karlsruher Urteil dazu könnte die Finanzpläne der Regierung durcheinanderwirbeln.

    BVerfG prüft Bundeshaushalt
    Das Bundesverfassungsgericht will heute klären, ob der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder für den Klimaschutz nutzen darf. Die Unionsfraktion im Bundestag hatte geklagt.15.11.2023 | 2:32 min
    Es mag Zufall sein oder auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über ein umstrittenes Haushaltsmanöver der Ampel-Koalition heute, am Tag vor der großen Bereinigungssitzung des Bundestagshaushaltsausschusses für das Haushaltsjahr 2024 verkündet. Denn je nachdem, wie die Verfassungsrichterinnen und -richter entscheiden, könnte am Tag danach in Berlin die große Frage im Raum stehen: Wie kommen wir mit bis zu 60 Milliarden Euro weniger aus?

    Milliardenschwere Investitionsvorhaben

    Klar ist: Die Ampel braucht Geld. Energiewende, Verkehrswende, Zeitenwende bei der Bundeswehr sind nur einige Beispiele für zahlreiche, milliardenschwere Investitionsvorhaben.
    Zugleich sitzt mit Christian Lindner ein FDP-Finanzminister an der Staatskasse, der erst kürzlich in einem Gastbeitrag im "Spiegel" mit Verve die Bedeutung der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse bekräftigte. Sie habe eine "höhere Weisheit", schrieb er, weil sie zur Prioritätensetzung zwinge.
    Dieser Weisheit der Schuldenbremse zuwider könnte der zweite Nachtragshaushalt 2021 gelaufen sein, über den das Bundesverfassungsgericht heute juristisch urteilt. Lindner verteidigte ihn in seinem Beitrag halbherzig als "nicht mein liebster Koalitionskompromiss", der "aber verantwortbar" gewesen sei.

    Corona-Krise: Ausnahme von der Schuldenbremse

    Es geht um die Umschichtung von Zusatz-Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro. Bewilligt wurden sie während der Corona-Krise, um Pandemiefolgen zu bekämpfen. Möglich war das nur, weil die Pandemie als außergewöhnliche Notsituation nach dem Grundgesetz eine Ausnahme von der Schuldenbremse rechtfertigte.
    Middelberg: "Wir müssen umschichten"
    "Wir müssen uns ehrlich machen, wir müssen wirklich im Haushalt umschichten", so Mathias Middelberg (CDU), stellvertretender Union-Fraktionsvorsitzender, zum Haushaltsstreit um den Pandemie-Klimafonds.15.11.2023 | 4:39 min
    Zur Bekämpfung unmittelbarer Pandemiefolgen wurden die Kredite dann doch nicht benötigt. Das nutzte die Ampel-Regierung und steckte die 60 Milliarden nachträglich in den heutigen Klima- und Transformationsfonds (KTF).
    Der Fonds ist ein Sondervermögen des Bundes zur Finanzierung von Projekten der Energie- und Verkehrswende, etwa des Umweltbonus für E-Autos. Das Fonds-Volumen wuchs damit von 40 auf 100 Milliarden Euro an.

    Kritik an Vorgehen der Ampel

    Die Kritik an diesem Vorgehen der Regierungskoalition war groß. Unter anderem der Bundesrechnungshof bezeichnete die Maßnahme als "verfassungsrechtlich bedenklich". An die Spitze der Kritiker setzte sich die Union, deren 197 Bundestags-Abgeordnete den Fall vor das Bundesverfassungsgericht trugen.
    Ihr Eilantrag in Karlsruhe scheiterte Ende 2022 noch - zu eklatant die finanziellen Folgen, hätte das Gericht den Nachtragshaushalt vorläufig ausgesetzt. Doch für die Entscheidung in der Hauptsache, die der Zweite Senat heute verkünden wird, ist das kein Omen.

    Durften Krisen-Kredite umgewidmet werden?

    Zentral im Raum steht die Frage, wie frei der Bundestag und die Regierungskoalition mit Krediten umgehen dürfen, die ausnahmsweise an der Schuldenbremse vorbei wegen einer außergewöhnlichen Notlage aufgenommen wurden. Es geht damit um die Grundregeln der Verfassung zur Haushaltsdisziplin.
    Doris König (M), Vorsitzende des Zweiten Senats, steht neben Ulrich Maidowski (l), Christine Langenfeld (r) und Peter Müller im Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts. Verhandelt wird die Umschichtung von Geld im Bundeshaushalt zugunsten des Klimaschutzes statt für Corona-Maßnahmen.
    60 Milliarden Euro Corona-Hilfen hat die Ampel-Regierung in einen Klimafonds umgewidmet. Ob das rechtens war, soll das Bundesverfassungsgericht klären. 21.06.2023 | 1:33 min
    Die Vertreter der Bundesregierung argumentierten bei der mündlichen Verhandlung im Juni vor Gericht, die Notstandsausnahme der Schuldenbremse sei so zu verstehen, dass auch weitergehende gesamtgesellschaftliche Folgen einer Krise damit finanziert und Konjunkturimpulse gesetzt werden dürften.
    Die Gegner des Nachtragshaushalts halten das für zu weitgehend, leiten aus der Verfassung ab, dass es einen engen Zusammenhang geben muss zwischen der Krise, die Zusatz-Kredite ausnahmsweise rechtfertigt und den Zwecken, für die die Krisen-Kredite eingesetzt werden.

    Droht dem Haushalt eine Milliarden-Lücke?

    Und so warten nun alle auf höchstrichterliche Leitplanken aus Karlsruhe. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Umschichtung der 60 Milliarden für verfassungswidrig erklären, sind unterschiedliche konkrete Rechtsfolgen denkbar.
    Henning Tappe, Professor für Steuerrecht an der Universität Trier, der auch als Sachverständiger im Verfahren aussagte, erklärt dazu: "Es war bislang in solchen haushaltsrechtlichen Verfahren häufig so, dass man nicht alles rückabwickeln musste, sondern dass insbesondere bei neuen rechtlichen Problemen, wie wir sie hier haben, vor allem Vorgaben für die Zukunft gemacht werden und nicht bereits abgeflossene Mittel wieder neu zu finanzieren beziehungsweise zurückzufordern sind."

    Aber im schlimmsten Fall entsteht in der Tat eine Lücke von 60 Milliarden Euro.

    Henning Tappe, Professor für Steuerrecht

    Ob es soweit kommt und die Bereinigungssitzung des Haushaltsschusses morgen zur Krisensitzung wird - alle Augen schauen auf Karlsruhe.
    Samuel Kirsch ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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