Lindner-Behörde: Mehr als 160.000 offene Geldwäsche-Meldungen

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    Rückstau in Lindner-Behörde:Mehr als 160.000 offene Geldwäsche-Meldungen

    Julia Klaus
    von Julia Klaus
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    Bei Deutschlands Anti-Geldwäsche-Behörde sind 164.597 Verdachtsmeldungen offen. Ein neuer Leiter und ein neues Gesetz von Finanzminister Lindner sollten das eigentlich verhindern.

    Archiv: Geldscheine quillen aus einem Aktenkoffer
    Beim Kampf gegen Geldwäsche sitzt eine zentrale Behörde auf Tausenden offenen Verdachtsmeldungen.
    Quelle: Colourbox.de

    Sie ist ein zentraler Baustein im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung: die Financial Intelligence Unit, kurz FIU. Wenn es nach Geldwäsche riecht, müssen Banken, Sparkassen, Notare und Schmuckhändler das per Verdachtsmeldung der FIU melden. Interne Dokumente, die ZDF frontal einsehen konnte, zeigen nun: Bei der Behörde sind aktuell 164.597 Meldungen mit Geldwäschebezug "nicht endbearbeitet" - also noch offen. Schon wieder ein riesiger Rückstand.
    Deutschland gilt als Geldwäsche-Paradies. Schätzungsweise hundert Milliarden Euro werden jedes Jahr hierzulande gewaschen. Die FIU muss Geldwäsche-Verdachtsmeldungen deshalb eigentlich schnell analysieren, bei erhärtetem Verdacht mit Infos anreichern und dann an die zuständigen Polizeien oder Staatsanwaltschaften in den Ländern schicken. Dort wird dann ermittelt. Auch an den BND oder den Verfassungsschutz gehen Meldungen.
    Das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner, das die Aufsicht über die FIU führt, weist die Vorwürfe zurück: Es gebe keinen Rückstau. Auf frontal-Nachfrage teilt ein Sprecher mit, dass jede Meldung seit November 2022 "mit ihrem Eingang in die weitere Bearbeitung genommen wird". Bei den mehr als 164.000 Meldungen handele es "sich demnach ausdrücklich nicht um unbearbeitete Verdachtsmeldungen." Doch darum geht es gar nicht - sondern darum, dass sie noch offen, noch nicht final entschieden sind.
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    Christian Lindners "dicke Fische" und ein neues Gesetz

    Die FIU hatte in der Vergangenheit schon mehrfach Rückstände aufgebaut. Lindner hatte deshalb eine andere Arbeitsweise angekündigt. Man solle sich "auf die dicken Fische" in der Finanzkriminalität konzentrieren, so der Minister im Herbst 2022. Wenig später musste sein Ministerium einen Rückstau von rund 100.000 offenen Meldungen einräumen. Im Februar 2023 wies ein Bericht sogar knapp 290.000 offene Meldungen aus. Gegenüber frontal verwies der Minister damals auch auf den neuen FIU-Leiter Daniel Thelesklaf - mit ihm solle alles besser werden.
    Auch ein neues Gesetz von Lindner ist seit November vergangenes Jahres in Kraft. Es soll die "risikobasierte Arbeitsweise" der FIU stärken. Die Analysten der Behörde sollen Meldungen, die sie für nicht werthaltig halten, schneller aussortieren können. Laut Finanzministerium werden die neuen Regeln operativ aber erst seit Beginn dieses Jahres angewendet. Ohnehin bemängeln Kritiker die neuen Regeln, darunter die größte Polizeigewerkschaft:

    Die FIU bestimmt selbst, was sie für risikobehaftet hält und was nicht. Diese Parameter sind für die Strafverfolger Polizei und Zoll absolut intransparent. Das birgt die Gefahr, dass polizeilich Wesentliches übersehen wird.

    Frank Buckenhofer, Gewerkschaft der Polizei

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    113.000 Meldungen schon mehr als 90 Tage offen

    Die internen Dokumente zeigen auch, dass die Behörde oft viel zu langsam arbeitet. Von den mehr als 164.000 Meldungen warten demnach 113.560 seit mehr als 90 Tagen auf ihre Endbearbeitung - das sind mehr als zwei Drittel. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer aller endbearbeiteten Meldungen mit Geldwäschebezug liegt zudem aktuell bei 108 Tagen. In vielen Fällen dürfte verdächtiges Geld deshalb längst weiter gereicht worden sein.
    Frontal hatte im vergangenen Jahr interne Fälle zugespielt bekommen, die eklatante Mängel bei der FIU zeigen. Ein Beispiel: Bei einer Bank hatte ein bis dahin unauffälliger Kunde zwei Mal hintereinander eine Million Euro in bar eingezahlt - absolut ungewöhnlich für seinen wirtschaftlichen Hintergrund. Die Bank-Angestellte hatte deshalb zügig eine Verdachtsmeldung an die FIU gemacht - doch dort lag der Fall viel zu lange herum, bis er weitergeleitet wurde. Ein Polizist, der mit dem Fall vertraut ist, sagte frontal:

    Das Geld war längst weiter überwiesen - und damit weg. Schnelle Polizei-Arbeit ist so nicht möglich. Das ist einfach total frustrierend.

    Polizist im Bargeld-Fall

    Ein weiterer Geldwäsche-Ermittler klagt gegenüber frontal im Januar 2023 über seinen Arbeitsalltag:

    Wir bekommen aktuell viele Fälle von der FIU weitergeleitet, die aus 2021 stammen. In den Fällen ist alles vorbei und nichts mehr zu bekämpfen.

    Geldwäsche-Ermittler

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    Offene Fälle auch im Bereich "Organisierte Kriminalität"

    Geldwäsche wird besonders in der Organisierten Kriminalität genutzt, um illegal erwirtschaftetes Geld - sei es durch Waffen-, Falschgeld-, Drogen- oder Menschenhandel - in den legalen Wirtschaftskreislauf einfließen zu lassen und so seine Herkunft zu verschleiern. Wie die Dokumente zeigen, hat die FIU im Bereich "Organisierte Kriminalität" bis Ende des vergangenen Jahres noch 466 Meldungen im - bestes Beamtendeutsch - "Arbeitsvorrat oder in Bearbeitung". Bei Steuer-Fällen sind es 123, bei Betrugs-Zuordnung noch 335 offene Meldungen. Der Ministeriumssprecher verweist darauf, dass es sich um "häufig komplexe Fälle" handle.

    Um im Rahmen dieser komplexen Fälle einen Mehrwert durch die FIU zu schaffen, sind komplexe Analysen anzustellen.

    Sprecher Bundesfinanzministerium

    Besser schlägt sich die Behörde im Kampf gegen Terrorismus-Finanzierung, wo laut interner Unterlagen immerhin rund 85 Prozent aller Fälle endbearbeitet sind. Doch besonders hier kann eine verzögerte Bearbeitung fatale Folgen haben.
    Ob die FIU - als wichtiger Baustein im Kampf gegen Geldwäsche - künftig wirklich mehr "dicke Fische" an die Angel kriegt, muss sie erst noch beweisen.

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