Alabali-Radovan: "Migration kann man schlecht begrenzen"

    Interview

    Reem Alabali-Radovan:"Migration kann man schlecht begrenzen"

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    Die Integrationsbeauftragte äußert sich besorgt über die "verschärfte Debatte in Sachen Migration". Es brauche ein "neues deutsches Wir-Gefühl", sagt Alabali-Radovan im Interview.

    "Wir müssen Migration ordnen und steuern", sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, im Interview.  (Symbolbild)
    "Wir müssen Migration ordnen und steuern", sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, im Interview. (Symbolbild)
    Quelle: picture alliance / dpa

    Zwei Tage haben sich die Integrationsbeauftragten der Länder zu einer Konferenz in Dresden getroffen. Thema: die bessere Integration von Geflüchteten. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), fordert im Interview ein "gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl für Deutschland".
    ZDFheute: Die AfD im Höhenflug, die CDU bastelt an einem neuen Grundsatzprogramm, der Kanzler zeigt Härte in der Flüchtlingspolitik. Es dreht sich was im Land. Wie schauen Sie auf dieses Land?
    Reem Alabali-Radovan: Zur Zeit erleben wir eine verschärfte Debatte in Sachen Migration und Asyl. Mich besorgt das sehr, denn es trifft auch Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte, die schon ganz lange hier leben. Aus meiner Sicht müssen wir da umlenken.

    Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan spricht im Bundestag, 13.01.2021, Berlin.
    Quelle: dpa

    ... ist seit Dezember 2021 Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration und seit Februar 2022 auch Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. ls Kind irakischer Eltern wurde Alabali-Radovan 1990 in Moskau geboren. 1996 kam sie mit ihrer Familie nach Mecklenburg-Vorpommern. Sie studierte Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. 2021 zog die SPD-Politikerin mit einem Direktmandat in den Bundestag ein. (Quelle: KNA)

    ZDFheute: Was macht das persönlich mit Ihnen? Schließlich sind auch Sie 1996 als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen.
    Alabali-Radovan: Ich persönlich mit meiner Fluchtgeschichte würde mir eine sachliche Diskussion wünschen. Klar ist, die Kommunen sind gefordert und wir müssen Migration ordnen und steuern. Wir können das auch ohne diese populistische Debatte und ohne Geflüchtete zu entmenschlichen in unserer Sprache. Wir müssen klar gegenhalten, denn das spielt nur in die Hände der Rechten.

    Geflüchtete sollen künftig rascher und flexibler Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Dafür sprachen sich Bund und Länder nach der Konferenz der Ausländer- und Integrationsbeauftragten in Dresden aus. Zudem solle für Geflüchtete mit Bleibeperspektive parallel die sprachliche und gesellschaftliche Integration stärker gefördert werden.

    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD), teilte mit, dass der Bund:
    • für schnellere Asylverfahren sorge
    • Arbeitsverbote verkürze
    • und 2024 mehr Mittel für Integrationskurse bereitstellen werde.
    Notwendig seien laut Sachsens Ausländerbeauftragtem, Geert Mackenroth (CDU), zudem eine Bereitstellung von Betreuungsplätzen für die Kinder, die Anerkennung ausländischer Qualifikationen, berufsbegleitende Deutsch-Kurse sowie ein Integration im Unternehmen.

    (Quelle: KNA)

    ZDFheute: Auf dem SPD-Bundesparteitag haben Sie eine emotionale Rede gehalten, ein Bekenntnis zu Deutschland als Einwanderungsland und ein neues deutsches Wir-Gefühl gefordert. Dringen Sie damit in Ihrer eigenen Partei durch?
    Alabali-Radovan: Wir brauchen ein neues deutsches Wir-Gefühl. Nicht mehr einteilen in "die" und "wir", sondern ein gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl für Deutschland. Ich denke, das hat auch bei der SPD großen Anklang gefunden.
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    ZDFheute: Deutschland steht vor gravierenden Herausforderungen, Stichwort Fachkräftemangel. Ohne Einwanderung wird es nicht funktionieren. Wie bereitet man die Menschen darauf vor?
    Alabali-Radovan: Das ist das Paradoxe an der Debatte: zum einen sagen viele politische Kräfte mit scharfen Tönen, dass wir Migration begrenzen müssen. Anderseits ist ganz klar, dass wir Fachkräftezuwanderung brauchen. Wir brauchen dieses Bekenntnis: "Ja, wir sind ein Einwanderungsland" und natürlich müssen wir das steuern und ordnen.

    Aber wir brauchen eine Willkommenskultur, sonst bleiben die Fachkräfte aus.

    ZDFheute: Welche Hürden gilt es zu beseitigen, dass mehr Geflüchtete schneller in Arbeit kommen?
    Alabali-Radovan: Da gibt es viele Hürden, deshalb hat die Bundesregierung einen Sonderbevollmächtigen berufen: Daniel Terzenbach. Wir arbeiten eng zusammen. Die größten Punkte sind die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Da sind wir noch immer viel zu langsam. Viele Abschlüsse werden noch immer nicht anerkannt.
    Dirk Wiese, stellv. SPD-Fraktionsvorsitzender
    Für ukrainische Flüchtlinge "gibt es unterschiedliche Hindernisse", Arbeit aufzunehmen, so Dirk Wiese, stellv. SPD-Fraktionsvorsitzender. 02.11.2023 | 5:56 min
    Und wir müssen flexibler werden beim Thema Sprache und Beruf. Wir können nicht warten, bis die Menschen ihren Integrationskurs beendet haben und sie erst dann auf den Arbeitsmarkt lassen. Sprache und Beruf muss gleichzeitig stattfinden.
    ZDFheute: Wo sind aus Ihrer Sicht die Grenze für Migration?
    Alabali-Radovan: Man muss Migration gut managen und gut steuern.
    ZDFheute: Managen, aber nicht begrenzen?
    Alabali-Radovan: Migration kann man schlecht begrenzen. Man kann es in einer Debatte mal eben schnell sagen. Wir aber sind gebunden an die Genfer Flüchtlingskonvention. An andere internationale Konventionen, die besagen, dass Menschen hier ein Recht auf Asyl haben. Aber klar ist auch: die Zahlen der Menschen, die gerade zu uns kommen, sind sehr hoch und es muss besser verteilt werden, zum Beispiel auf europäischer Ebene.
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    ZDFheute: Sie selbst sind ein Kind irakischer Eltern, geboren in Moskau, geflüchtet nach Deutschland. Für welches Land schlägt Ihr Herz?
    Alabali-Radovan: Mein Herz schlägt für Deutschland, aber natürlich habe ich auch eine irakische Identität in mir, aber auch eine ostdeutsche.

    Wir können verschiedene Identitäten in uns haben. Das ist das Bild eines modernen Einwanderungslandes.

    Das Interview führte Cornelia Schiemenz.

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