Fachkräftemangel: Gebären statt Zuwanderung? Wo die AfD irrt

    Fachkräftemangel:Geburten statt Zuwanderung? Wo die AfD irrt

    von Katja Belousova und Tine Kugler
    |

    Deutschland solle mehr auf Geburten statt Zuwanderung setzen, um dem Fachkräftemangel beizukommen. Das fordert die AfD immer wieder. An der Machbarkeit gibt es berechtigte Zweifel.

    Junger Mann bearbeutet Metallstück
    Auf dem Arbeitsmarkt fehlen vor allem junge Menschen. In ostdeutschen Bundesländern macht sich das besonders bemerkbar. Arbeitgeber leiden unter akutem Personalmangel.06.02.2024 | 10:06 min
    Woher sollen Deutschlands Fachkräfte kommen, wenn die Bevölkerung immer älter wird? Diese Frage ist zentral für den Fortbestand des Wirtschaftsstandorts Deutschland - darüber sind sich Politik und Wirtschaft einig.
    Uneinigkeit herrscht bisweilen bei der Antwort. Schon die Große Koalition setzte auf Zuwanderung und legte dafür Gesetze zur Fachkräfteeinwanderung vor - die Ampel-Regierung hält an diesem Kurs fest.
    Die AfD jedoch, aktuell zweitstärkste Partei in bundesweiten Umfragen, hat dazu ganz eigene Ansichten.

    Mehr Geburten statt Zuwanderung in Arbeitsmarkt?

    "Wir setzen nicht auf Zuwanderung, sondern wir setzen auf ein organisches Wachstum aus der eigenen Gesellschaft heraus", fasst Stefan Möller, AfD-Landeschef in Thüringen, die Position im Interview mit ZDF frontal zusammen. Frauen in Deutschland sollen laut AfD also mehr Kinder gebären, dann wäre keine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt nötig.
    "Wir erleben es seit mehr als 50 Jahren, dass wir weniger Kinder bekommen als wir bräuchten, um unsere Bevölkerung konstant zu halten. Das jetzt einfach umzudrehen, das stelle ich mir sehr schwer vor", entgegnet die "Wirtschaftsweise" Monika Schnitzer.
    Junger Mann (Gen Z) liegt auf der Couch und isst Chips
    Deutschland kriegt die Krise: Es herrscht Fachkräftemangel und bei so manchem Arbeitgeber liegen die Nerven blank. Gen Z sei zu faul, zu schlecht ausgebildet und zu anspruchsvoll.05.09.2023 | 12:38 min

    Ein Blick in die Statistik

    Ein Blick auf die Statistik unterstreicht ihre Skepsis: "Damit die Bevölkerung eines Landes - ohne Zuwanderung - nicht schrumpft, müssten in hoch entwickelten Ländern rein rechnerisch etwa 2,1 Kinder je Frau geboren werden", heißt es auf der Webseite des Statistischen Bundesamts.
    Und auf Anfrage von ZDF frontal ergänzt die Behörde, dass selbst durch einen "raschen Anstieg" der Geburtenrate auf 2,1 Kinder je Frau "die Zahl der Menschen im Erwerbsalter ohne die Nettozuwanderung kontinuierlich sinken" würde.
    2022 lag die Geburtenziffer pro Frau in Deutschland bei 1,46. Die AfD fordert "eine aktivierende Familienpolitik", um diese Zahl zu erhöhen. Stefan Möller will dabei konkret "das Kinderkriegen und auch die Erziehung, die Fürsorge für Kinder finanziell entlasten".
    Eine Auszubildende für den Beruf der Anlagenmechanikerin Sanitär-Heizung-Klima,
    Die Arbeitslosenzahl in Deutschland ist gestiegen. Dabei fehlen bundesweit Fachkräfte. Attraktive Angebote im Beruf sollen neues Personal locken.31.01.2024 | 1:34 min

    "Phänomen in allen entwickelten Ländern"

    Als Positivbeispiel nennt Möller dabei Ungarn, das die "Gebären statt Zuwandern"-Doktrin unter Viktor Orban bereits länger verfolgt. Doch auch hier verraten die Zahlen: Die Geburtenrate lässt sich in entwickelten Ländern durch solche Maßnahmen nur bedingt steigern. In Ungarn ist die Geburtenrate im vergangenen Jahrzehnt zwar gestiegen - liegt aktuell aber bei "nur" rund 1,5 Geburten pro Frau und stagniert auf diesem Wert.
    "Das ist kein Phänomen, was wir nur in Deutschland erleben. Das erleben wir in allen entwickelten Ländern, dass mit der Zeit der Wunsch nach Kindern einfach zurückgeht", erklärt Monika Schnitzer mit Blick auf die Geburtenrate.

    Das sind ganz offensichtlich die Präferenzen der jungen Menschen.

    Monika Schnitzer, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

    Mitarbeiter einer Antriebstechnik-Firma prüfen die Verschlüsse einer Filteranlage.
    Eine Studie - auf die sich auch die AfD bezieht - soll beweisen, dass Deutschland ohne Migration besser dastünde. Was wirklich dahinter steckt, lesen Sie hier:12.01.2024 | 3:14 min

    Ausbau der Kinderbetreuungsplätze

    Auch einen anderen Aspekt gilt es zu bedenken: Deutlich mehr Geburten pro Frau dürften dazu führen, dass Mütter dem Arbeitsmarkt weniger zur Verfügung stehen. Schon jetzt arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit als Männer.
    Um dem entgegenzuwirken, bräuchte es einen massiven Ausbau der Kinderbetreuungsplätze. Doch wie soll das in einer Branche funktionieren, in der schon jetzt Fachkräftemangel herrscht und überwiegend Frauen arbeiten? Vor allem ohne Zuwanderung und mit mehr Geburten pro Frau? Und woher sollen die zusätzlich benötigten Hebammen, Pfleger und Ärztinnen kommen? Die Antworten darauf bleibt die AfD schuldig.
    GEW-Bildungsstreik - Berlin
    In Deutschland fehlen laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung rund 430.000 Kita-Plätze. Der Bedarf würde weiter steigen, die Lage sei untragbar, so die Bertelsmann-Stiftung.28.11.2023 | 2:35 min

    Mehr Geburten wirken sich erst nach Jahren aus

    Gleichzeitig gibt Monika Schnitzer zu bedenken: "Selbst wenn wir es jetzt schaffen, dass die jungen Menschen wieder motiviert sind, mehr Kinder zu bekommen, dann wird sich das erst in 15, 20 Jahren auswirken." In dieser Zwischenzeit werden aber besonders viele Babyboomer in Rente gehen.
    Stefan Möller erklärt ZDF frontal, dass diese Zeit vor allem durch Fortschritte in der Digitalisierung oder durch die Nachqualifizierung etwa von Menschen ohne Schulabschluss überbrückt werden könnte.
    Pflegerin läuft mit älterer Frau einen Krankenhausgang entlang. Frankfurt, Hessen.
    Mit einem neuen Gesetz, dem Pflegekompetenzgesetz, will Karl Lauterbach (SPD) Pflegeberufe künftig deutlich attraktiver machen. 14.12.2023 | 11:51 min
    Beides hält auch Wirtschaftswissenschaftlerin Schnitzer für sinnvoll - aber unzureichend. "Das sind alles Möglichkeiten, die uns helfen werden. Aber der Bedarf an bestimmten Berufen und Tätigkeiten ist so groß, dass es hier gar nicht ausreichen wird. Denken wir an den Pflegebereich, denken wir an die Krankenhäuser." Daher lautet ihr Fazit:

    Wenn wir mehr Arbeit bei uns haben wollen, mehr Arbeitskräfte haben wollen, dann wird das am Ende nur über Zuwanderung gehen.

    Monika Schnitzer, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

    Statistik: Erwerbspersonenpotenzial wird schrumpfen

    Die Statistik gibt ihr Recht. "Wenn die stark besetzten Jahrgänge in den kommenden rund 15 Jahren aus dem Erwerbsalter ausscheiden, wird das Erwerbspersonenpotenzial bis Mitte der 2030er-Jahre schrumpfen", schreibt das Statistische Bundesamt auf Anfrage von ZDF frontal.
    Die Behörde bilanziert: "Ohne Nettozuwanderung würde es sich alleine bis 2040 um rund neun Millionen Menschen verringern.

    Um diese Verluste abzufangen, müssten zwischen 2022 und 2040 per Saldo jährlich etwa 490.000 Menschen im Alter zwischen 20 und 66 Jahren nach Deutschland zuwandern.

    Statistisches Bundesamt

    Geburten statt Zuwanderung gegen den Fachkräftemangel? An dieser AfD-Formel gibt es berechtigte Zweifel.
    AfD-Chef Chrupalla bei Markus Lanz
    AfD Bundessprecher Chrupalla kritisiert das Abwerben ausländischer Fachkräfte nach Deutschland. In Ländern wie Rumänien und Bulgarien würde das die Perspektivlosigkeit verschärfen.08.12.2023 | 1:18 min

    Mehr über den Fachkräftemangel