Wie Russland und der Westen Indien umgarnen

    Russland und Westen buhlen:Wie Indien vom Ukraine-Krieg profitiert

    Normen Odenthal
    von Normen Odenthal
    |

    Alle Augen auf Indien: Das Land hat den Vorsitz der G20 und damit eine Menge Aufgaben vor der Brust. Die Vermittlerrolle aber ist schwer, weil Delhi eigene Interessen verfolgt.

    Die Autos, Mopeds, Rikschas kommen von allen Seiten – schnell, rücksichtslos, rechthaberisch. In der Mitte steht ein furchtloser indischer Polizist und verschafft sich mit Trillerpfeife im Hupkonzert energisch Gehör. Die Kreuzung in Delhi spiegelt Indiens Lage in der Weltpolitik. Das Land wird umworben wie nie. Und nimmt seine Position selbstbewusst wahr.
    Der Bundeskanzler ist gerade weg, da landen schon die nächsten hochkarätigen Besucher. Die Außenminister der G20-Staaten treffen sich in Delhi. Der Krieg in der Ukraine wird ein zentrales Thema sein – zumal auch der Russe Lawrow anreist.
    Der ist in Indien ein wohlgelittener Gast. Moskau konnte bisher darauf zählen, dass Delhi nicht mitmacht, wenn andere den Angriffskrieg verurteilen. Indien belässt es beim Appell an alle, den Konflikt im Dialog zu lösen.

    Indiens Abhängigkeit von Russland

    "Der Westen verzweifelt an Indien, weil es sich nicht an der Kritik an Putin beteiligt", analysiert der Publizist Nalanjan Mukhopadhayay.

    Aber keiner will es sich mit Delhi verscherzen. Der Westen genauso wie Russland versuchen, Indien auf ihre Seite zu ziehen. Die Weltordnung ist in Bewegung. Und Indien nutzt das in seinem Sinne.

    Nalanjan Mukhopadhayay, Publizist

    Die Russland-Karte ist dabei nicht unattraktiv. Traditionell kauft Indien Rüstungsgüter aus Russland, diese Verbindung besteht seit Sowjet-Zeiten. Heute sind 55 Prozent der Waffen im indischen Arsenal aus russischer Produktion. "Eine enorme Abhängigkeit", sagt Harsh Pant von der Denkfabrik Observer Research Foundation.
    "Sie wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Eher kann das noch größere Dimensionen annehmen, weil sich Indien besser rüsten will gegen China, gegen Pakistan." Beim Besuch des Kanzlers wurde deshalb auch über die Lieferung deutscher U-Boote an Indien gesprochen. Kalkül: Man muss Indien etwas bieten, um die Abhängigkeiten von Moskau zu reduzieren.

    Europa: Russisches Öl durch die Hintertür

    Das ist beim Import von Waffen genauso schwierig wie beim Import von Öl. Indien kauft so viel russisches Öl wie nie zuvor. Die Beteiligung an Sanktionen für Moskau lehnt Delhi ab, profitiert sogar von niedrigen Preisen. Kritik aus dem Westen bleibt interessanterweise aus. Harsh Pant von der Denkfabrik Observer Research Foundation erklärt:

    Indien liefert das raffinierte Öl zum Teil weiter an die europäischen Märkte. Das ist eine knifflige Sache, wenn russisches Öl auf diesem Umweg nach Europa kommt. Zeigt Europa mit dem Finger auf Indien, zeigt der Finger auch auf Europa selbst.

    Harsh Pant, Denkfabrik Observer Research Foundation.

    Es klingt unglaublich: Staaten wie Deutschland, die ein Embargo verhängt haben, holen sich russisches Öl durch die indische Hintertür. "Die Versorgung deutscher Tankstellen wird so auch mit russischem Öl abgesichert", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum.
    Allerdings sei zu berücksichtigen, dass Indien das Rohöl zu sehr günstigen Konditionen beziehe. "Das ist die gute Nachricht", so Südekum. "Wir haben dafür gesorgt, dass Putin weniger Einnahmen hat, um den Krieg zu finanzieren." Indien auf der anderen Seite profitiert doppelt. Es kauft billig ein und teuer weiter. "Clever", nennt das der Wirtschaftswissenschaftler und sieht Delhi damit in einer "komfortablen Position".
    Erdölpumpe am Abend
    Rund 83 Millionen Tonnen Rohöl importiert Deutschland im Jahr. Wir zeigen, wo überall Erdöl drinsteckt und wie Erdöl zu ersetzen ist.13.05.2022 | 4:12 min

    Wachsender Führungsanspruch Indiens

    Es spricht wenig dafür, dass Indien diese Position herschenkt und sich ins Lager der Moskau-Kritiker bewegt. Das könnte jetzt im Kreise der G20-Außenminister spürbar werden und erst recht beim großen G20-Gipfel im September. Manche fürchten sogar, der Gastgeber wolle Positionen verwässern und dafür sorgen, dass das Thema Ukraine nicht alles überlagert. Von Ministerpräsident Modi war kürzlich zu hören:

    Im 21. Jahrhundert wird das Wachstum auf der Welt im globalen Süden gemacht. Arbeiten wir zusammen, werden wir die Agenda der Welt setzen.

    Narendra Modi, Ministerpräsident Indiens

    Da steckt eine große Botschaft drin. Ein Führungsanspruch, der die eigenen Interessen ins Zentrum stellt.
    Normen Odenthal ist Leiter des ZDF-Auslandsstudios in Singapur.

    Mehr zu den deutsch-indischen Beziehungen