Habeck entlässt umstrittenen Staatssekretär Graichen

    Graichen muss gehen:Habeck entlässt umstrittenen Staatssekretär

    Mathis-Feldhoff
    von Mathis Feldhoff
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    Nach neuen Vorwürfen zieht Robert Habeck die Notbremse und entlässt seinen Staatssekretär Patrick Graichen. Damit will man das Vertrauen ins Wirtschaftsministerium wieder stärken.

    Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht bei einer Pressekonferenz.
    Staatssekretär Graichen soll wiederholt gegen interne Regeln des Wirtschaftsministeriums verstoßen haben. Heute Morgen verkündete Minister Habeck seine Entlassung.17.05.2023 | 0:52 min
    Es sind neue Vorwürfe, die seit gestern Abend auf dem Tisch von Robert Habeck (Grüne) liegen, die nun das Fass zum Überlaufen bringen. "Es ist der eine Fehler zu viel", sagt Habeck auf der eilig einberufenen Pressekonferenz an diesem Mittwoch. Im Rahmen einer intensiven Prüfung aller Vorgänge, mit denen Staatssekretär Patrick Graichen betraut war, kommt eine Abzeichnung eines 600.000 Euro schweren Projektantrages durch Graichen am 30. November 2022 ans Licht, dessen Nutznießer der BUND-Landesverband Berlin ist.
    Dort ist Graichens Schwester Verena Graichen Mitglied des Vorstandes. Das sei ein "Verstoß gegen die Compliance-Regeln" des Ministeriums. Habeck betont, dass nicht der Einzelfall nun zur Entlassung von Graichen führt, sondern die Summe der Vorgänge.

    Es geht darum, das Vertrauen in die Arbeit dieses Hauses zu erhalten.

    Robert Habeck, Wirtschaftsminister

    Der Minister zieht damit auch die Konsequenzen aus der zeitweisen Berufung von Michael Schäfer als Geschäftsführer der Dena - der Deutschen Energie-Agentur.

    Thorsten Frei: "Habeck ist schwer beschädigt"

    Dabei hatte Graichen als Mitglied der Findungskommission mitgewirkt. Schäfer ist der Trauzeuge von Patrick Graichen. Dies hatte der Staatssekretär seinem Minister aber erst kurz vor der ersten Medienveröffentlichung gebeichtet. Habeck wusste nach eigenen Angaben nichts von der engen Verflechtung.
    Shakuntala Banerjee im Schaltgespräch mit Moderatorin Pareigis
    Auf mehrere Compliance-Verstöße folgte heute die Entlassung von Staatssekretär Graichen. Wie sehr schadet diese Affäre Robert Habeck? Shakuntala Banerjee mit einer Einschätzung.17.05.2023 | 1:13 min
    ZDF-Reporterin Shakuntala Banerjee zur Entlassung von Graichen:
    Graichen, der zum Anfang der Legislatur von der Denkfabrik "Agora Energiewende" ins Wirtschaftsministerium wechselte, gilt als Kopf hinter den klimapolitischen Projekten der Bundesregierung. Darunter auch das umstrittene Heizungsgesetz und die Gasumlage.
    Allerdings war schon mit dem Wechsel berichtet worden, dass sowohl die Schwester Graichens, die außerdem mit seinem Staatssekretärkollegen Michael Kellner verheiratet ist, als auch sein Bruder in unterschiedlichen Beratungsgremien des Wirtschaftsministeriums sitzen. Beide arbeiten für das Ökoinstitut Freiburg.
    Allerdings waren sie noch von Habecks Vorgänger Peter Altmaier berufen worden. Die Opposition hatte von einem grünen Filz im Wirtschaftsministerium gesprochen. Heute betonte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei:

    Patrick Graichen war eine schwere Belastung für die Bundesregierung. Sein Rücktritt war überfällig. Minister Habeck ist allerdings durch sein Klammern an die Person Graichen schwer beschädigt.

    Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion

    Graichen kannte neun von elf Kandidaten bei der Dena

    In den letzten Tagen hatte das Wirtschaftsministerium eine interne Untersuchung gegen Graichen eingeleitet, obwohl Habeck noch in der letzten Woche jeden Verstoß gegen die Compliance-Regeln des Ministeriums zurückgewiesen hatte. Er war gemeinsam mit Graichen von den Bundestagsausschüssen Klima und Wirtschaft befragt worden. Graichen hatte in der Sitzung seine Beteiligung am Auswahlverfahren von Michael Schäfer als Dena-Chef noch als Fehler, der "zu heilen" sei, heruntergespielt.
    Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht bei einer Pressekonferenz.
    Die Opposition gibt sich mit der Entlassung von Energie-Staatssekretär Graichen nicht zufrieden. Heute Morgen ist Wirtschaftsminister Habeck vor die Presse getreten. 17.05.2023 | 2:01 min
    Tatsächlich hatte er allerdings den anderen Mitgliedern der Findungskommission sein enges Verhältnis zu Schäfer verschwiegen. "Ich habe gedacht, dass es genügt, wenn meine Stimme nicht den Ausschlag gibt und ich mich in der Findungskommission bei der Bewertung seiner Person zurückhalte", so Graichen in seiner Verteidigung.
    Außerdem habe er von den elf Kandidaten, die sich in der Findungskommission vorgestellt hätten, neun persönlich gekannt. Das sei die "Folge dessen, dass ich seit über 20 Jahren in der Klima- und Energieszene unterwegs bin", so Graichen auf Twitter.

    Habecks Sturheit hat Folgen für die Grünen

    Der Rücktritt soll jetzt wohl eine Art Befreiungsschlag für Robert Habeck und seine Wärmewende werden. In den letzten Tagen hatte der Minister wiederholt argumentiert, man müsse die Vorwürfe in der "Trauzeugen-Affäre" und die Pläne zum Heizungsgesetz voneinander trennen. Die Überlagerung durch die Personaldebatte hatte die Auseinandersetzung mit den Plänen zum Umbau der Wärmeversorgung schwer belastet.
    Auf dem Bild ist ein Heizungsbauer zu sehen, wie er eine Wärmepumpe anschließt.
    An dem Gesetzesentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur Wärmewende gab es viel Kritik. 12.05.2023 | 2:06 min
    Eine öffentliche Trennung, wie Habeck sie eingefordert hatte, war aber auch ihm nicht gelungen. Erst gestern Abend sind beide, so Habeck, "in einem persönlichen Gespräch zu dem Ergebnis gekommen, die Zusammenarbeit zu beenden". Habecks Zögern und die Weigerung, Graichen schon vor Wochen zu entlassen, zeigt aber auch, dass der Minister offensichtlich nicht als "Kameradenschwein" dastehen wolle - wie es der Journalist Robin Alexander formuliert hat.
    Allerdings hatte dieses Festhalten an Graichen nicht nur Folgen für die persönlichen Umfragewerte von Habeck, sondern ist auch für den Absturz der Grünen bei der Landtagswahl in Bremen mitverantwortlich, wo die Partei am letzten Wochenende auf nur noch 12 Prozent kam.

    Auch Staatssekretär Phillip in der Kritik

    Das Graichens Rücktritt als Befreiungsschlag ausreicht, glaubt die Opposition nicht. Thorsten Frei sieht weiteren Aufklärungsbedarf:

    Am Beispiel von Staatssekretär Philipp zeigt sich, dass das systematische Problem im Wirtschaftsministerium noch nicht erledigt ist. Weitere Aufklärung ist daher zwingend notwendig.

    Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion

    Udo Phillip, der wie Graichen beamteter Staatssekretär im Klima- und Wirtschaftsministerium ist, wird in einem Medienbericht vorgeworfen, trotz Beamtenverhältnis stiller Teilhaber an mehreren Start-Ups zu sein. Phillip war vor seiner Berufung durch Robert Habeck Deutschland-Chef von EQT, einem der größten Private Equity Fonds in Europa.

    Involvement in mehreren Start-Ups

    Im Ministerium ist er für Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Innovationspolitik zuständig. Intern wird das Engagement Phillips bei den Start-Ups als "nicht problematisch" bezeichnet. Ein Sprecher hatte gegenüber Business Insider gesagt, der Staatssekretär sei bei den Unternehmen "nicht mehr aktiv", ein Verkauf der Anteile "aber nicht möglich."
    Ob das allerdings ausschließt, dass politische Entscheidungen Phillips positive Auswirkungen auf seine Beteiligungen habe, ist aufgrund einer fehlenden generellen Anzeigepflicht für Vermögenswerte und Beteiligungen nur schwer zu beurteilen.

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