Widerstand in Israel: Justizreform Ende des Rechtsstaats?

    Demonstrationen in Israel:Justizreform das Ende des Rechtsstaats?

    Luc Walpot
    von Luc Walpot
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    In Israel gibt es Widerstand gegen die Justizreform. Kritiker befürchten ein Ende der Gewaltenteilung. Wie sich die Machthaber um Netanjahu die Zukunft Israels vorstellen.

    Benjamin Netanjahu am 29.12.2022 in Jerusalem
    Benjamin Netanjahu
    Quelle: epa

    "Das ist doch nicht das Ende der Demokratie, nur weil jemand andere Richter wählen wird. Es gab demokratische Wahlen, jetzt soll die Regierung bestimmen, wer die Richter sind. Die Mehrheit entscheidet. Diese ganzen Demonstrationen, das wird vorübergehen, das ist nicht wichtig." So sieht Shlomi, Netanjahu-Unterstützer, verheiratet, zwei Kinder und Bauarbeiter in der Küstenstadt Netanja nördlich von Tel Aviv, den Ärger um die Justizreform in Israel.
    Shlomi ist überzeugter Wähler von Ministerpräsident Benjamin "Bibi" Netanjahu. Die Aufregung um die Justizreform hält er für völlig überzogen. "Bibi" mache schon alles richtig. Die anderen hätten in der letzten Regierung ja gezeigt, dass sie das Land nicht regieren können.
    Eine Demonstrantin hält ein Schild hoch mit den Fotos von Politikern der neuen israelischen Regierung, über denen steht: Israel, we have a problem.
    Die neue rechts-religiöse Regierung unter Benjamin Netanjahu und ihr zentrales Vorhaben einer Justizreform rufen Israels Kulturszene auf den Plan.21.02.2023 | 6:36 min

    Proteste gegen geplante Justizreform Netanjahus

    Shlomi ist einer der wenigen, der sich traut, seine Unterstützung für die neue Regierung auch vor der Kamera zu äußern. Es ist keine isolierte Meinung, auch wenn der Kurs Netanjahus und seiner rechtsradikal-religiösen Koalition selbst unter "Bibi"-Anhängern nicht gänzlich unumstritten ist.
    Unter den mehr als 150.000 Israelis, die Woche für Woche gegen Netanjahus Justizreform auf die Straße gehen, sind nicht nur Bürgerrechtler, liberale Intellektuelle und Verfechter eines säkularen Israel, sondern zunehmend auch Konservative und Nationalisten. Die zwar rechts wählen, aber die sogenannte Justizreform für einen gefährlichen Eingriff in die Gewaltenteilung halten - für den Anfang vom Ende des Rechtsstaats.
    Netanjahu, der wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht und auch deshalb mit seiner rechten Likud-Partei keine gemäßigten Koalitionspartner mehr fand, hat sich nach der Wahl an rechtsradikale Zionisten und ultrareligiöse Dogmatiker gebunden. Sie treiben jetzt ihre Agenda voran und den Likudchef vor sich her.

    Israelische Siedlungspolitik im Westjordanland verschärft sich

    Die Entmachtung der unabhängigen Justiz, so glauben Beobachter, ist nur der Anfang. Im Programm der teils offen rassistischen Siedlerparteien ist auch die weitere und schnellere Landnahme im besetzten Westjordanland, uneingeschränkte Rechte für die Besatzungsmacht, die Siedler und die israelischen Sicherheitskräfte beim Vorgehen gegen die Palästinenser.

    Sie haben die Autos angezündet, dann Brandsätze in den Laden geworfen. Eine Frau, die in Panik aus der Wohnung lief, wurde beschossen. Die Polizei hat zugesehen, die Feuerwehr wurde am Militärposten nicht durchgelassen.

    Sultan Abu Sarees, Werkstattbetreiber

    So beschreibt Sultan Abu Sarees, Palästinenser, 43 jahre alt und Werkstattbetreiber, seine Erlebnisse. Er betreibt eine Werkstatt in Huwara, im israelisch besetzten Westjordanland.
    Ende Februar zogen 400 jüdische Siedler stundenlang mit Steinen, Knüppeln und Brandsätzen bewaffnet durch das palästinensische Dorf und machten Jagd auf Araber - als Racheaktion für einen Terroranschlag auf zwei israelische Siedler zuvor. Das schwer bewaffnete israelische Militär beschränkte sich darauf, drei Familien vor dem jüdischen Mob zu evakuieren. Ein neuer trauriger Höhepunkt der seit Jahren andauernden Siedlergewalt.

    Die Regierung muss die Sicherheit der Siedler hier verstärken, die mitten im Land Israel leben. Sie soll auch mehr Siedlungen ermöglichen. Sehen sie den schwarzen Rauch da? Das sind schon wieder Araber, die Krawalle gegen uns machen. Sie protestieren gegen unsere jüdische Forderung, in unserem Land zu leben.

    Lital Slonim, jüdische Siedlerin im besetzten Westjordanland

    Seit fünfzig Jahren kämpfen stramm konservative Zionisten wie sie dafür, immer neue Siedlungen zu errichten. Weil das Land Israel gehöre. Ein offener Bruch des Völkerrechts, an dem sich aber kaum noch jemand stört in Israel.

    Israelische Gesellschaft rückt immer weiter nach rechts

    Das, so glaubt der linke Historiker Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv, sei durchaus ein - wenn auch zweifelhafter - Verdienst von Netanjahu, der seit Jahrzehnten die israelische Politik maßgeblich mitbestimmt. Die israelische Gesellschaft sei schon lange ganz nach rechts gerückt. Genau das bildet die neue Regierung auf drastische Weise ab.
    Auch die Zerrissenheit zwischen rechts und links, Religiösen und Säkularen, Alteingesessenen und Neuankömmlingen, osteuropäischen und orientalischen Juden sei so alt wie der Staat Israel. Neu aber, so Zuckermann, ist der tiefe Hass, der sich in den Lagern festsetzt. Das sei brandgefährlich.

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