Baustopp am Kanzleramt? Minister Lindners Kalkül

    Streit um Kanzleramt:Neubau, Baustopp? Minister Lindners Kalkül

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Minister Lindner will Spar-Vorbild sein. Er möchte die Erweiterung des Kanzleramts und den Neubau an seinem Ministerium stoppen. Dabei haben die schon Millionen Euro gekostet.

    Blick auf die Baustelle des Erweiterungsbaus vom Bundeskanzleramt, aufgenommen am 16.03.2023 in Berlin
    Die Bagger sind da, der Bauzaun steht: Die Arbeiten am Erweiterungsbau des Bundeskanzleramtes haben bereits begonnen.
    Quelle: dpa

    Mal ist es bei der Talkshow von Sandra Maischberger, dann in der "Bild"-Zeitung. Erst will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den geplanten Erweiterungsbau am Bundeskanzleramt für ein paar Jahre auf Eis legen. Dann den Neubau an seinem Ministerium. Dort sollten doch lieber Wohnungen entstehen. "Lindner verzichtet auf Protzbau" titelt die "Bild"-Zeitung, was der Minister auch gerne auf Twitter verbreitet. Nur: So ganz stimmt das nicht.

    35 Millionen Euro schon ausgegeben

    Sämtliche Vorhaben, teilt ein Sprecher Lindners mit, "müssen mit Blick auf ihre Sinnhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit auf den Prüfstand gestellt werden". Die Prüfung aber, ob der geplante Erweiterungsbau am Bundesfinanzministerium weiter so, wie geplant, oder ganz anders entstehen soll, läuft noch:

    Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.

    Bundesfinanzministerium

    35 Millionen Euro seien allein für die Planungskosten bereits angefallen. Ziel sei nun eine "Überarbeitung der Pläne" zu erreichen, die auf die bisherigen Maßnahmen zurückgreifen soll.
    So soll es mal aussehen: Gegenüber vom Bundeskanzleramt soll auf der anderen Spreeseite, im Bild links, ein bogenförmigem Bürogebäude mit Hubschrauberlandeplatz entstehen.
    Eine neue Fußgängerbrücke im Süden wird die Verbindung über die Spree sein.
    So könnte der Naubaukomplex vom gegenüberliegenden Spreeufer aus aussehen.
    Eine erhöhte Landeplattform für Hubschrauber soll die ursprüngliche Landefläche im Park ersetzen.

    Wie das neue Bundeskanzleramt aussehen soll

    So soll es mal aussehen: Gegenüber vom Bundeskanzleramt soll auf der anderen Spreeseite, im Bild links, ein bogenförmigem Bürogebäude mit Hubschrauberlandeplatz entstehen.

    Quelle: Bundeskanzleramt/Schultes Frank Architekten


    Noch höher sind die Kosten, die bereits beim geplanten Erweiterungsbau des Bundeskanzleramtes angefallen sind. Nämlich "über 100 Millionen Euro", so Regierungssprecher Wolfgang Büchner diese Woche. Dort haben auch schon die Arbeiten begonnen, Bagger wühlen im Kanzlergarten, der Bauzaun steht. "Ein verlustfreier Projektstopp ist nicht mehr möglich", so Büchner.
    Um 40 bis 50 Millionen würden die Baukosten pro Jahr steigen, rechnet das Bundeskanzleramt vor, würde man die Erweiterung des Kanzleramtes auf Eis legen. Dort will das auch niemand:

    Ein Stopp oder eine Verschiebung des Projektes ist nicht vorgesehen.

    Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner

    Lindner-Sparvorschlag nicht auf dem Tisch

    Warum Lindner ausgerechnet jetzt mit den seit Jahren geplanten Gebäuden kommt, ist Kalkül: Die Ampel-Koalition hat Schwierigkeiten, den Haushalt für kommendes Jahr aufzustellen. Lindner will die Schuldenbremse wieder einhalten, seine Koalitionspartner aber 70 Milliarden Euro für diverse Projekte zusätzlich ausgeben. Seit Wochen läuft in der Ampel ein Streit, wer denn nun den Fortschritt verhindert.
    Am kommenden Sonntag soll in einem Koalitionsausschuss die größten Streitpunkte zwischen den Parteien abgeräumt werden.
    Für Lindner gehört das Verschieben der Neubauten als eigener Sparvorschlag offenbar dazu. Bei Maischberger sagte er:

    Ich glaube, dass in Zeiten von mehr Homeoffice und flexiblen Arbeiten ein mindestens 800 Millionen teurer Neubau neben dem Kanzleramt entbehrlich ist.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP)

    Kanzler Olaf Scholz, so vermutete Lindner, werde allerdings vermutlich "missvergnügt" sein, dass er das nun vorgeschlagen habe.
    Vermutlich, denn die Kosten des Kanzlerneubaus sind im aktuellen Haushalt längst eingeplant. Im vorigen September hatte der Haushaltsauschuss die Finanzierung genehmigt. Wollte man also Geld für andere Vorhaben aus diesem Topf locker machen, müsste der Haushaltsausschuss zustimmen. Und das dürfte nicht nur am Kanzler, sondern auch an der SPD-Fraktion scheitern.

    SPD: Verschieben macht es nicht billiger

    Bernhard Daldrup ist Bundestagsabgeordneter und Obmann der SPD-Fraktion im Bauausschuss des Bundestages. Natürlich sei es richtig, sagt er, Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit auf den Prüfstand zu stellen. Zumal, wenn es neue Entwicklungen in der Arbeitswelt gibt.
    "Allerdings ist das Kanzleramt auch kein übliches Bürogebäude", so Daldrup. "Ein abruptes Einstellen der Arbeiten macht es nicht automatisch besser." Und auch nicht unbedingt billiger.
    Beispiel Homeoffice: Ein Grund für den Erweiterungsbau ist, dass Arbeitsplätze für rund 400 Beschäftigte, die jetzt in anderen Gebäuden untergebracht sind, im Kanzleramt konzentriert werden sollen. Eine "funktionale Regierungszentrale gerade in Krisenzeiten" sei nötig, argumentiert das Bundeskanzleramt.
    Arbeiten die Beschäftigten alle im Homeoffice, sagt Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) im Deutschlandfunk, sei wenig gewonnen. "Natürlich können die ihre Akten nicht am Montagabend mit in die S-Bahn nehmen und damit gemütlich nach Blankenfelde fahren und es da ins Wohnzimmer legen und nachlesen."
    Dazu kommen die höheren Bau- und Planungskosten, würden die Pläne jetzt gestoppt oder geändert. Ihr fehle "ein wenig die Fantasie, dass eine andere Lösung jetzt preiswerter wäre als die, die man vor vielen Jahren als wirtschaftlich berechnet hat."

    Union: Alle sparen, nur Berlin nicht

    Bei den Grünen, ist zu hören, gibt es Befürworter und Gegner eines Baustopps. Der Bund der Steuerzahler ist dafür, der Bundesrechnungshof hatte noch im März vorigen Jahres gewarnt, dass "das Ende der Kostenspirale noch nicht gekommen" ist. Es bestünden "erhebliche Risiken der Kosten und der Terminplanung", heißt es in einem Bericht an den Haushaltsausschuss.
    Finanzminister Christian Lindner (FDP) und ZDF-Hauptstadtkorrespondent Daniel Pontzen
    Die Schuldenbremse ist (neben der Atomkraft) inzwischen zu dem Streitpunkt der Ampel geworden: Finanzminister Christian Lindner wehrt sich. Riskiert er die Zukunft der Jüngeren?12.10.2022 | 12:43 min
    Das seit 2016 unter Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geplante Gebäude sollte erste 485 Millionen Euro kosten, dann 600 Millionen, inzwischen kalkuliert man mit 777 Millionen Euro.
    Die Union ist heute gegen den Neubau. Er müsse "angesichts der aktuellen Lage sofort gestoppt werden", sagt Fraktionsvize Ulrich Lange (CSU) und fordert eine "grundlegende Überarbeitung der Pläne". Dem, so Lange, hätte sich die FDP allerdings schon im Herbst anschließen können – Krieg in der Ukraine, Energiekrise, hohe Inflation, all das gab es da auch schon:

    In einer solchen Zeit wäre es aberwitzig, wenn sich das Kanzleramt einen riesigen Neubau mit explodierenden Kosten hinstellen würde.

    Ulrich Lange (CSU)

    Unions-Obfrau Emmi Zeulner ist ebenfalls für Baustopp. Es entstehe der Eindruck, "dass alle sparen müssen, nur der Behördenapparat in Berlin wird immer größer und kostspieliger". Statt Büros sollten Wohnungen gebaut werden, wie Lindner es vorschlug. Und die, so Zeulner, sollten "Erzieherinnen, Pflegekräfte sowie Mitglieder der Blaulichtfamilie" bekommen.

    Eine neue Wohnung für Scholz

    Eine Wohnung gibt es in dem Neubau übrigens auch. Allerdings eine neue für den Kanzler. Die bisherige im alten Kanzleramt hatte Scholz Vorgängerin Angela Merkel für "protokollarische Arbeitstermine" umfunktioniert. Also für Essen mit Gästen.
    Scholz nutzte diese Wohnung auch einmal als Wohnung. Als er Corona hatte.

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