Experte Höfner: "Wir haben viel weggeschaut"

    Interview

    Krieg in Israel:Experte Höfner: "Wir haben viel weggeschaut"

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    In den letzten 30 Jahren habe man viele Fehler im Nahost-Konflikt gemacht, sagt Steven Höfner. Einer davon sei die Unterstützung der palästinensischen Autonomie-Behörde gewesen.

    Zwei Panzer fahren im Morgengrauen über ein Feld.
    Nach dem Angriff der Hamas auf Israel befinden sich auch acht Deutsche unter den Geiseln der Terrorgruppe. Das israelische Militär hat weitere Aktionen angekündigt.14.10.2023 | 1:41 min
    Steven Höfner ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah im Westjordanland. Nach den Angriffen der Hamas-Terroristen hat er mit seiner Familie das Land verlassen und befindet sich jetzt in Jordanien.
    ZDFheute: Sie haben Ramallah, wo Sie lange gelebt haben, verlassen. Warum?
    Steven Höfner: Unmittelbar am Samstag wurde uns nicht das ganze Ausmaß bewusst. Aber es wurde uns schon bewusst, dass das ein einschneidender Moment, ein historischer Moment in der israelischen und innerpalästinensischen Geschichte ist.

    Uns war klar, dass das eine besondere Reaktion erfordert, der Terrorangriff der Hamas, und dass die israelische Armee mit voller Härte zurückschlagen wird.

    Steven Höfner

    Das führte auch dazu, dass wir im Westjordanland eine gewisse Unsicherheit hatten, wie die nächsten Tage ablaufen werden - einerseits mit Blick auf militante Terrorgruppen der Hamas im Westjordanland, andererseits in Bezug auf die Versorgungslage. Deswegen haben wir uns zu Beginn der vergangenen Woche auch entschieden, gerade weil ich mit meiner Familie vor Ort bin, das Land zu verlassen. Es war keine Flucht oder Evakuierung, sondern wir haben eigenständig entschieden.
    Im Westjordanland sei die Lage "erstaunlich ruhig", so ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf, obwohl es "ein Pulverfass" bleibe. Für die Eskalation werde Israel verantwortlich gemacht.
    Im Westjordanland sei die Lage "erstaunlich ruhig", so ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf, obwohl es "ein Pulverfass" bleibe.14.10.2023 | 3:18 min
    ZDFheute: Wollen Sie zurück nach Ramallah?
    Höfner: Es ist gar nicht absehbar, wie die nächsten Tage und Wochen verlaufen werden. Wir werden so früh es geht und sobald die Sicherheitslage es zulässt, nach Ramallah zurückkehren.
    ZDFheute: Welche Rolle spielt die palästinensische Autonomie-Behörde im Westjordanland in diesem Konflikt? Eine Schlüsselrolle?
    Höfner: Sie spielt in dieser aktuellen Konfliktlage erst mal keine Rolle. Sie versucht, ein wenig mäßigend mit ihren Sicherheitskräften auf die Lage im Westjordanland einzuwirken. Aber es ist offensichtlich, dass vor allem Präsident Abbas an der Spitze nicht in der Lage ist, irgendwelche Visionen aufzuzeigen.

    Die palästinensische Autonomie-Behörde ist irrelevant geworden.

    Steven Höfner

    Er ist nicht in der Lage, die Hamas zu kritisieren für ihren Terrorangriff, und das zeigt, wie schwach der Palästinenserpräsident geworden ist. Er hat keine demokratische Legitimität mehr, und die Bevölkerung folgt ihm auch nicht. Das bedeutet, der Konflikt muss neu gedacht werden.
    Das Land scheint bereit zu sein für die große Offensive, so ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge. Ein Hindernis: die zu geringe Flucht der Zivilbevölkerung aus Gaza-Stadt.
    ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge über die Lage am Gaza-Streifen14.10.2023 | 2:33 min
    ZDFheute: Bislang sind alle Friedensinitiativen im Nahen Osten gescheitert. Wer hat da versagt?
    Höfner: Ich glaube, die internationale Staatengemeinschaft hat in den letzten 30 Jahren einige Fehler gemacht. Wir haben uns nicht genügend darum bemüht, die Konfliktparteien am Verhandlungstisch zu behalten. Wir sind Widersprüchen nicht nachgegangen.
    Wenn es Verletzungen der Oslo-Abkommen gab, sowohl von der palästinensischen Autonomie-Behörde, aber auch den voranschreitenden Siedlungsbau durch die israelische Regierung, waren wir nicht in der Lage, da etwas entgegenzusetzen. Ich glaube, deswegen tragen wir als internationale Staatengemeinschaft und insbesondere auch die EU und Deutschland, mit seiner Verantwortung für Israel, nicht eine Mitschuld, aber zumindest haben wir Fehler begangen in den letzten 30 Jahren.

    Im September 1993 unterzeichnen Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin und Palästinenser-Chef Jassir Arafat in Washington das Oslo-Abkommen. Unter Vermittlung von US-Präsident Bill Clinton und Norwegen akzeptiert Israel die PLO als offiziellen Vertreter der Palästinenser sowie eine begrenzte Selbstverwaltung für die Palästinenser-Gebiete. Die Vereinbarung sieht einen schrittweisen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten vor. Die PLO wiederum streicht aus ihrer Charta alle Passagen, die die Vernichtung Israels als Ziel enthalten. Die Palästinenser sollen innerhalb von fünf Jahren einen eigenen Staat bekommen und dafür auf Angriffe auf Israel verzichten. Ausgeklammert bleiben Kernfragen - etwa zu Jerusalem und den Grenzen.

    Quellen: dpa, Reuters, AFP

    ZDFheute: Hat das Oslo-Friedensabkommen noch eine Zukunft?
    Höfner: Es ist offensichtlich geworden, dass die Oslo-Abkommen gescheitert sind. Die Hoffnungen, die damit verbunden waren, vor allem in den 1990er-Jahren, haben sich nicht erfüllt. Es gab keine Friedenspartner auf palästinensischer Seite, was sich vor allem mit der zweiten Intifada herauskristallisiert hat. Aber auch unter der Regentschaft von Präsident Abbas wurde deutlich, dass es keine Friedensaussichten gibt, weil er auch das eigene Volk unterdrückt hat. Er war eigentlich nur am eigenen Machterhalt interessiert und nicht so sehr daran, wie man die Region befrieden kann.

    Auf israelischer Seite haben wir natürlich auch den Siedlungsbau kritisiert als etwas, was als Hindernis gesehen werden kann für die Friedenslösung.

    Steven Höfner

    Ich möchte aber auch ganz klar sagen, dass natürlich die letztliche Verantwortung für eine Friedenslösung bei den Israelis und den Palästinensern vor Ort liegt.
    Annalena Baerbock und Samih Schukri
    Außenministerin Baerbock ist nach Ägypten gereist. Viele Palästinenser versuchen dorthin zu fliehen, doch das Land will die Flüchtenden nicht aufnehmen.14.10.2023 | 1:43 min
    ZDFheute: Welche Fehler sind auf deutscher Seite gemacht worden?
    Höfner: Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren viel weggeschaut haben als deutsche Öffentlichkeit, europäische Öffentlichkeit und uns ein wenig darauf verlassen haben, dass dieses System der Oslo-Verträge funktioniert und zumindest eine Stabilität erzeugt, die aber letztlich trügerisch war.
    Gerade durch die Kooperation mit der palästinensischen Autonomie-Behörde unter Präsident Abbas haben wir ein System gestützt, das undemokratisch ist, auch Menschenrechte verletzt hat, und das keine politische Bewegung in der Opposition zugelassen hat.

    Ich glaube, da sind Fehler passiert, nicht bewusst, aber zumindest Fehler, die wir in der Zukunft nicht mehr machen dürfen.

    Steven Höfner

    Das Oslo-System, so wie wir es in den letzten 30 Jahren gehabt haben, das kann so nicht mehr existieren. Deswegen müssen wir den Nahost-Konflikt noch einmal ganz neu denken.
    Das Interview führte Britta Spiekermann.

    Eskalation in Nahost
    :Aktuelle News zur Lage in Israel und Gaza

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Aktuelle News im Blog.
    Israelische Soldaten in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels, aufgenommen am 12.03.2024
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