Klimaanwältin: "Die Umwelt selbst kann sich nicht schützen"

    Interview

    Klima-Anwältin Rode Verheyen:"Die Umwelt selbst kann sich nicht schützen"

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    Die Anwältin Rode Verheyen kämpft seit vielen Jahren für ein besseres Klima und nimmt es dabei mit den großen Playern wie RWE, VW und der Bundesregierung auf.

    ZDFheute: Frau Verheyen, Sie haben schon mit 13 Jahren angefangen, sich für politische Themen zu interessieren, gingen schon damals auf die Straße. Als Jurastudentin waren Sie in Umweltverbänden aktiv, haben sogar vor der UN für Europa gesprochen. Später nahmen Sie regelmäßig an Klimakonferenzen teil. Sind Sie die deutsche Greta Thunberg?
    Roda Verheyen: Über diese Frage habe ich noch nie nachgedacht. Aber ein bisschen vergleichbar ist vielleicht dieser Gedanke oder das Bewusstsein, dass es ein absolutes Kernanliegen gibt und wenn wir dieses Kernanliegen nicht erfüllen, dann alles andere nutzlos ist.
    Aber ich habe viel weniger [als Thunberg] mein Leben damals schon dem Umwelt- oder Klimaschutz gewidmet. Ich war viel weniger radikal. Ich habe ganz normal meine Ausbildung weitergemacht, mein Abitur beendet. Ich habe kein Jahr Pause gemacht und bin damals auch nicht um die Welt gesegelt.
    ZDFheute: Sie vertreten große Prozesse wie den peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya gegen RWE. Ihr Mandant Lliuya fordert, dass der Konzern sich an den Kosten zur Absicherung des Staudamms in der Nähe seines Wohnortes Huaraz beteiligen müsse. Denn der Gletscher würde stetig schmelzen durch die Treibhausgase, die auch RWE als größter Emittent Europas mitverursachen würde. RWE meint, dass sie dafür nicht verantwortlich seien. Wie wichtig ist der Prozess für Sie? 
    Verheyen: Das Verfahren gegen die RWE AG ist im Moment weltweit das Einzige, was in der Beweisstation ist. Wo also tatsächlich ein Gericht bereits gesagt hat, ja, grundsätzlich können wir uns diesen Anspruch vorstellen. Deswegen ist es von sehr hoher Relevanz.
    Und wenn das Gericht dazu käme, zu bestätigen, dass ein Risiko für Saúls Haus bestehe, dann wird einer meiner Träume wahr. Denn dann kann ich zum ersten Mal in einem deutschen Gerichtssaal darüber reden, was der Klimawandel eigentlich alles anrichtet, und zwar konkret und nicht abstrakt und kompliziert.
    Und dann könnte ich mit dem Märchen aufräumen, dass der Klimawandel viel zu komplex ist, um vor Gericht in irgendeiner Form behandelt zu werden. Denn das ist ja immer das Hauptargument in jedem einzelnen Verfahren, was wir führen.

    ... wurde 1972 geboren in Düsseldorf. Sie studierte Rechtswissenschaften in Hamburg, London und Oslo.

    Verheyen promovierte zum Thema: "Climate change damage and international law: Prevention duties and state responsibility". Seit 2006 arbeitet sie als Anwältin.

    ZDFheute: Einen großen Durchbruch gab es dann vor zwei Jahren. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass die Bundesregierung ihre Klimaziele längerfristig festlegen muss. Das aktuelle Klimagesetz würde die Interessen der jungen Generation nicht angemessen berücksichtigen. Auch an dieser Klage waren Sie beteiligt.
    Verheyen: Aber zwei Jahre danach müssen wir auch feststellen, dass leider so viel nicht passiert ist seitdem. In Deutschland aber auch in Europa. Und das ist ein Problem. Auch für den Rechtsstaat. Denn riesengroße Urteile und dann passiert nichts, das erschüttert den Glauben aller und ist nicht gut.
    ZDFheute: Auch Niederlagen gehören zu Ihrem Alltag. Zuletzt gegen Volkswagen. Sie wollten, dass VW als zweitgrößter Autobauer der Welt ab 2030 keine Diesel und Benziner mehr verkaufen dürfe. Durch die Dürrejahre seien Existenzen bedroht. Das Landgericht Detmold und das Landgericht Braunschweig ist Ihrer Argumentation nicht gefolgt. Ärgert Sie das?  
    Verheyen: Im Gerichtssaal vertrete ich meinen Mandanten. Für den tut es mir leid. Wenn ich rauskomme, meine Robe ablege, Kaffeetrinke, dann kann ich sagen, boah, das war ja gar nichts. Und es passiert immer mal, dass ich mich mit völligem Unverständnis auseinandersetzen muss.
    Aber auch das ist meine Aufgabe. Ich muss da immer weiter machen. Es geht ja nicht um mich. Es geht um die Rechte meiner Mandanten. Und das erfordert vielleicht eine gewisse Sturheit.
    ZDFheute: Sie haben drei Kinder im Teenageralter zu Hause. Tun Sie das alles für Ihre Kinder?
    Verheyen: Ich tue das bestimmt auch für meine Kinder. Aber ehrlich gesagt, habe ich das begonnen, lange bevor ich Kinder hatte. Ich habe da einen ganz tiefen Glauben daran, dass das, was ich mache, richtig ist. Und meine Kinder glauben das mit mir und das ist schön.
    Und natürlich tue ich es letztlich für die weiteren Generationen. Denn wenn man ehrlich ist, alles, was wir im Moment tun, wenn wir es nicht ganz schnell tun, werden wir nicht mehr davon profitieren. Wenn wir nicht jetzt in den nächsten zehn Jahren wirklich ganz, ganz schnell reduzieren, ändert das, was ich tue, an meinem Leben wenig.
    ZDFheute: Wen wollen Sie als nächstes verklagen?
    Verheyen: So wie sich momentan das Interesse der Mandanten und auch der Bevölkerung darstellt, wird es ein Unternehmen aus der Lebensmittelbranche sein. Wir bekommen viele E-Mails und da geht es ganz viel um Massentierhaltung, um die Frage der Chemikalien in Lebensmitteln und dem Klima-Fußabdruck der Lebensmittelindustrie.
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    ZDFheute: Wenn Sie noch einmal jung wären, würden Sie sich auch fürs Klima festkleben?
    Verheyen: Das kann ich nicht ausschließen. Aber ich bin eigentlich der Auffassung, dass wir über das Falsche sprechen. Wir reden über das Kleben anstatt über die Maßnahmen, um die es geht, damit uns tatsächlich Klimaschutz auf den richtigen Reduktionspfad bringt. Also, nein, ausschließen kann ich das bestimmt nicht, das wäre gelogen.
    Das Interview führt Birgit Franke, Redakteurin der ZDF-Redaktion Recht und Justiz

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