Yogeshwar: Was Scholz an Indien nicht versteht

    Fachkräfte und Weltpolitik :Yogeshwar: Warum Scholz Indien nicht versteht

    von Pierre Winkler
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    Indien wird zum Land mit der weltgrößten Bevölkerung und nimmt auch wirtschaftlich und politisch an Bedeutung zu. Ranga Yogeshwar findet, dass Europa das noch nicht begriffen hat.

    Der Moderator Rangar Yogeshwar ist zu Gast bei "Markus Lanz".
    Moderator Rangar Yogeshwar erwartet, dass Indien und China wirtschaftlich noch stärker werden – und somit die ökonomischen Machtzentren USA und Europa in naher Zukunft ablösen.20.04.2023 | 1:29 min
    Indien wird schon sehr bald mit mehr als 1,4 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Erde sein - oder es hat China schon von Platz eins verdrängt, je nach Berechnung. Laut UN lässt sich das kaum seriös punktgenau festhalten.
    Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen sagt voraus, dass es zur Mitte des laufenden Jahres auf jeden Fall soweit sein soll. Dann werde Indien einen Vorsprung gegenüber China von knapp drei Millionen Menschen haben.
    Eine Grafik zeigt das Bevölkerungswachstum von China im Verhältnis zu Indien.
    Indiens Bevölkerung wächst immer weiter. Laut Prognose wird das Land im Jahr 2100 sogar doppelt so viele Einwohner*innen haben wie China. 14.04.2023 | 0:33 min

    Indien laut Yogeshwar "immer blockfrei"

    Fest steht so oder so: Indien wird die kommenden Jahrzehnte entscheidend prägen, wirtschaftlich und politisch. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, Sohn eines indischen Ingenieurs, mahnt in diesem Zusammenhang: Der Westen dürfe im aufziehenden Konflikt zwischen den USA und China einen Fehler mit Indien nicht machen.
    "Ein großes Bestreben ist - zum Beispiel vonseiten der Amerikaner aber indirekt auch ein bisschen vonseiten von Herrn Scholz - zu sagen: 'Komm auf unsere Seite!'", sagte er am Mittwochabend bei Markus Lanz. "Und das ist ein Missverständnis, weil Indien immer blockfrei war", fuhr Yogeshwar fort.

    Yogeshwar fordert Umdenken

    Bundeskanzler Olaf Scholz war im Februar nach Indien gereist und hatte sich mit Premierminister Narendra Modi getroffen. Scholz will Indien noch enger an Europa binden - auch vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine.
    Yogeshwar forderte ein Umdenken, sowohl in Bezug auf Indien als auch auf China. "An der Stelle täte der Westen gut, eine neue Perspektive auf diese Länder zu haben und nicht wie in alten Kategorien, sehr opportun zu überlegen: Was kann ich jetzt mit dem machen? Oder wie kann ich den irgendwie zur Seite ziehen oder gar politisch eingreifen?", sagte er.

    Sondern zu verstehen: Nein, die Welt wird an der Stelle wirklich anders.

    Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist

    Indien in der Phase des "Erwachens"

    Nach 400 Jahren Kolonialisierung und "Demütigung" gebe es jetzt in Indien "eine Phase des Erwachens, auch des Selbstbewusstseins". Indien und China ließen sich nicht mehr "herumkommandieren".
    Länder wie Deutschland blickten immer noch "mit der Brille der Opportunität, manchmal sogar des Kolonialen" auf Indien. Dabei müsse man sich zum Beispiel auch fragen: "Wenn man Fachkräfte hierhin holt, holt man sie von irgendwo anders weg - ist das fair?"
    Markus Lanz vom 19. April 2023: Markus Lanz, Britta Petersen, Ranga Yogeshwar
    Zu den politischen u. gesellschaftlichen Strukturen Indiens u. den strategischen Partnerschaften der Republik, über die Kultur u. die geopolitische sowie wirtschaftliche Bedeutung des asiatischen Landes20.04.2023 | 44:12 min

    Deutscher Fachkräftemangel im IT-Bereich ein "Riesenproblem"

    Um den deutschen Fachkräftemangel zu bekämpfen, hatte Scholz im indischen IT-Zentrum Bengaluru versprochen, die Hürden für die Zuwanderung von indischen IT-Spezialisten zu senken.
    Deutschland habe in diesem Bereich ein "Riesenproblem", sagte Yogeshwar: "Und hier hast du eine Nation mit klugen Leuten, wo man natürlich so langsam überlegt: 'Okay, wenn die für uns arbeiten, dann geht es unserem Business immer noch gut. Wenn wir keine Fachkräfte finden, dann haben wir ein Problem.'"

    Yogeshwar: Nullmeridian könnte durch Beijing gehen oder Delhi

    Indien und China, "das werden die Zentren auch der Ökonomie der Zukunft werden", ergänzte Yogeshwar. Die entscheidende Frage sei, ob Europa darauf vorbereitet ist. Hier halte man sich immer noch für den "Nabel der Welt", und merke gar nicht, "dass es da etwas ganz Anderes gibt, das allmählich auch hochkommt".
    Yogeshwar machte diese globale Veränderung an einem besonderen Beispiel fest und stieß folgende Überlegung an: "Wir haben den Nullmeridian, der geht momentan durch Greenwich. Vorher ging er durch Madeira oder durch Paris. Also, er ging immer durch die Nationen, die das Sagen hatten. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, zu sagen: 'Der Nullmeridian muss durch Beijing gehen oder durch Delhi demnächst.'"

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