Gewalt und Hetze: Wie die Politik die Rechten unterschätzt

    Gewalt und Hetze:Wie die Politik die Rechten unterschätzt

    von Jonas Helm und Maximilian Hübner
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    In Ostdeutschland demonstrieren jede Woche Tausende gegen die Bundesregierung - Seite an Seite mit Rechtsextremisten. Der Verfassungsschutz warnt vor einer Radikalisierung.

    Demonstranten laufen mit Banner der rechtsextremen "Freien Sachsen": "Wir frieren nicht für eure Politik"
    Steigende Energiepreise treiben die Menschen wieder auf die Straße - wie Rechtsextreme die Krise nutzen.25.10.2022 | 9:31 min
    Musik von Abba schallt über den Hauptmarkt in Zwickau, aufgelegt von "DJ Happy Vibes", der eigentlich Andreas Hofmann heißt. Doch als der DJ zum Mikrofon greift, folgen radikale Parolen. Die Regierung habe das Land in eine Corona-Pandemie und Energiekrise gestürzt.
    "Sie wollen unsere Demokratie und soziale Marktwirtschaft beseitigen und eine Ökodiktatur errichten", ruft Hofmann. Deshalb sei Widerstand legitim, gegen die Regierung. Die Menschen vor der Bühne jubeln.

    "Freie Sachsen" als rechtsextremistisch eingestuft 

    Angemeldet wurde die Demonstration von Mirko Rau für die "Volksstimme Bürgerbündnis Zwickau", eine Bürgerbewegung. Doch Rau sitzt auch im Vorstand der "Freien Sachsen". Eine Partei, die vom Verfassungsschutz in Sachsen als rechtsextremistisch einstuft und bundesweit beobachtet wird.
    Rau verharmlost diesen Umstand. "Als rechtsextrem eingestuft wird in Deutschland eigentlich jeder, der was gegen die Regierungsvorschriften sagt." Viele Menschen in Zwickau sind mit Fahnen der "Freien Sachsen" unterwegs.

    Rechtsextreme bekämpfen Staat und Demokratie

    Neben der Bühne begrüßt Mirko Rau ein bekanntes Gesicht der rechtsextremen Szene: Michael Brück. In Dortmund war Brück Mitglied einer militanten Neonazigruppe, die 2012 verboten wurde. Seit 2020 lebt er in Sachsen.
    Wo Brück politisch steht, erklärte er 2019 in einem ZDF-Interview:

    Wir bekämpfen diesen Staat, dieses System mit seinen Verantwortlichen.

    Michael Brück

    Die aktuellen Proteste gegen die hohen Energiepreise ermöglichen es Extremisten wie Brück, sich bürgernah zu geben und zu vernetzen. Neben Brück steht auch Sanny Kujath vor der Bühne. Ein Rechtsextremist aus Zwickau, der laut Thüringer Verfassungsschutz ein illegales Zeltlager mit Kampfsportlern veranstaltet hat.  

    Stiftung: schwache Zivilgesellschaft

    Wie gefährlich ist es für eine Stadt, wenn sich Rechtsextremisten offen bei Demonstrationen vernetzen? Zwickaus Oberbürgermeisterin Constance Arndt beschwichtigt im Interview mit “frontal”: "Ich bin nicht der Verfassungsschutz, aber aus meiner Perspektive heraus sehe ich für so eine extreme Entwicklung in Zwickau keine Anzeichen."
    Benjamin Winkler, der die rechte Szene in Sachsen für die Amadeu Antonio Stiftung beobachtet, widerspricht: "Wir haben das Netzwerk. Wir haben diese schwache Zivilgesellschaft und zum Teil auch schwache Reaktion aus der Verwaltung, die diesen Neonazi-Strukturen wenig entgegenzusetzen hat." 

    NSU-Trio versteckte sich in Zwickau

    So habe sich das NSU-Trio ganz bewusst mehr als zehn Jahre in Zwickau versteckt. Winkler warnt davor, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Vor ihren Morden hatten sich die Rechtsterroristen auch auf Demonstrationen radikalisiert.
    Bei den Protesten kommt es immer wieder zu Gewalt gegen Pressevertreter:innen und Gegendemonstrant:innen. Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer sieht auf den Demonstrationen im Osten eine bedrohliche Entwicklung:

    Wir haben es hier mit einer völligen Enthemmung von Gewalt und Hetze zu tun. Und wir stellen fest, dass die Hemmschwelle Gewalt einzusetzen, deutlich gesunken ist.

    Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer

    Auf den Veranstaltungen zeigt sich für Kramer deutlich, worum es den Redner:innen dort geht: "Das hat nichts mit legitimer politischer Kritik zu tun. Hier wird im Grunde aufgerufen zur Revolution, zum Widerstand."  

    Lässt sich die Radikalisierung mit Geld stoppen?

    “frontal” fragt nach bei Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD), wie sie verhindern will, dass aus den Umsturzfantasien rechter Terror entsteht. Die SPD-Politikerin betont, dass sie angesichts der steigenden Preise verstehen könne, dass Menschen auf die Straße gehen.
    "Deswegen war es so wichtig, dass die Bundesregierung Entlastungspakete zur Verfügung stellt. 300 Milliarden Euro. Außerdem habe sie nicht den Eindruck "dass in der Mitte der Gesellschaft das verfängt, was von Rechtsaußen kommt". 
    Doch lässt sich die Radikalisierung wirklich mit Geld stoppen? Thüringens Verfassungsschutzpräsident Kramer pocht auf Wachsamkeit: "Besser wir nehmen das ernst und es stellt sich später als dicke Hose heraus, als wir nehmen es nicht ernst und haben am Ende doch mehr Opfer zu beklagen."

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