Hessens Ministerpräsident zur Unterbringung von Flüchtlingen

    Interview

    Hessen-Chef zu Flüchtlingsgipfel:Boris Rhein: Gipfel macht so keinen Sinn

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    Die Kommunen wollen bei der Versorgung von Geflüchteten mehr Unterstützung von der Regierung - auch Hessens Ministerpräsident Rhein. Im ZDF-Interview fordert er nicht nur Geld.

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Vertreter der Länder und der kommunalen Spitzenverbände am Freitag eingeladen, um mit ihnen über die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen zu sprechen. Damit reagiert sie auch auf Hilferufe aus einigen Kommunen.
    ZDF: In Wiesbaden begrüße ich den Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Boris Rhein. Guten Abend Herr Rhein. Sie fordern vor allem mehr finanzielle Unterstützung des Bundes für die Unterbringung von Geflüchteten. Innenministerin Faeser hat die Erwartungen im Vorfeld bereits gedämpft. Was heißt das für Sie?
    Boris Rhein: Ja, das ist, Frau Gause, sehr bedauerlich, dass die Bundesinnenministerin die Erwartungen dämpft, denn wir haben hohe Erwartungen.

    Und ich habe von Anfang an gesagt, es macht eigentlich gar keinen Sinn, diesen Gipfel im Bundesinnenministerium zu machen, sondern der Kanzler muss das jetzt dringend zur Chefsache machen und der Kanzler muss auch Lösungen präsentieren.

    Und das bedeutet auch finanzielle Lösung.
    Und ich will Ihnen eine Zahl aus Hessen sagen: Wir wenden im Jahr rund 800 Millionen Euro für die Bewältigung der Flüchtlingssituation auf. Davon kommen 300 Millionen aus Berlin oder eine halbe Milliarde, 500 Millionen, alleine aus dem hessischen Haushalt. Das überfordert die Länder zunehmend und zusehends.
    ZDF: Was berichten denn die Landräte und Bürgermeisterinnen aus ihrem Land, die Ihnen ja einen Brandbrief geschrieben haben? Was ist da los im Odenwald oder an der Bergstraße?
    Rhein: Ja, die Landräte und die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben natürlich vor allem an die Bundesregierung geschrieben, weil die Bundesregierung den Schlüssel für die Steuerung der Migration und auch für die Begrenzung der Zuwanderung in der Hand hält, aber ihn nicht betätigt.

    Und die kommunale Familie, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Landräte kommen immer mehr an ihre Grenze.

    Wir haben eine starke Willkommenskultur. Wir haben wirklich - wie ich finde - eine sehr stark ausgeprägte Integrationsfähigkeit vor Ort. Aber die kommen an ihre Grenzen, weil sie einfach nicht mehr wissen, wie sie die Leute unterbringen sollen und das macht die Lage so schwierig und erschüttert natürlich auch.
    Migration: Kommunen am Limit
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    ZDF: Laut Mediendienst Integration sind in ihrem Land erst 50 Prozent der Erstaufnahmeeinrichtungen ausgelastet. Gibt es nicht doch noch Möglichkeiten der Unterbringung?
    Rhein: Ja, wir haben sogar die Kapazitäten der Erstaufnahme erhöht aufgrund der jetzigen Situation. Und wir halten natürlich in den Erstaufnahmen immer einen gewissen Prozentsatz frei, damit wir verfügen können, wenn eine stärkere Flüchtlingswelle kommt. Das bedeutet also nicht, dass sie nicht belegt werden, sondern das ist eine rein vorsorgliche Maßnahme. Und nochmal: Wir haben sofort die Kapazitäten in der Erstaufnahme erhöht. Aber auch das stößt natürlich irgendwann an seine Grenzen.
    ZDF: Was sollte - was muss - morgen auf dem Flüchtlingsgipfel konkret beschlossen werden?
    Rhein: Nun, ich wünsche mir natürlich, dass auch über Geld gesprochen wird, aber das macht wenig Sinn mit dem Bundesinnenministerium darüber zu sprechen. Das müssen die Ministerpräsidenten dann mit dem Bundeskanzler machen.
    Auf dem Text ist eine Mutter mit zwei Kindern zu sehen, welche sich in einem improvisierten Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft befinden.
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    Was ich mir aber besonders wünsche ist, dass auf europäischer Ebene durch die Bundesregierung mehr getan wird. Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Herkunftsländer bereit sind, die Menschen, die bei uns eben zurückgeschoben werden, auch wieder aufgenommen werden. Sonst können wir die Rückführungen nicht durchführen. Das ist der eine Punkt.

    An der europäischen Außengrenze muss mehr Grenzsicherung betrieben werden.

    Es muss viel mehr getan werden für die Erstaufnahmeländer, beispielsweise die Situation in Griechenland. Da muss sich natürlich auch ein Land wie Deutschland viel stärker engagieren.
    Und wir müssen viel mehr tun an den Grenzen und in den Grenzgebieten beim Thema Schleusung, beim Thema Menschenhandel, beim Thema Bekämpfung von Menschenhandel. Und ich glaube, deswegen wird es sehr wichtig sein, dass dort viel mehr Polizei eingesetzt wird, dass dort insbesondere viel mehr Grenzsicherung betrieben wird. Das ist im Augenblick leider nicht der Fall.

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    Stefanie Reulmann, Berlin
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    ZDF: Darüber wird ja seit Jahren diskutiert. Letzte kurze Frage: Im Oktober wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Sie wollen ihren Ministerpräsidentenposten gegen Bundesinnenministerin Faeser verteidigen. Einerseits ist schon jetzt alles Vorwahlkampf, andererseits dürfte das Thema Integration und Migration nicht politisch instrumentalisiert werden.
    Rhein: Ja, ich bin überhaupt gar nicht dafür, dass wir dieses Thema politisch instrumentalisieren. Das wird auf die Mühlen der Falschen gehen und das wollen wir verhindern. Aber wir müssen natürlich darüber reden. Wir müssen Lösungen finden. Und deswegen darf ein solches Thema kein Wahlkampfthema sein, dafür ist es viel zu komplex, viel zu gefährlich und viel zu wichtig. Wir brauchen jetzt dringend Lösungen aus Berlin.
    Das Interview führte heute journal up:date-Moderatorin Gundula Gause.
    Quelle: dpa, ZDF

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