Mehr Flüchtlinge als Einwohner: Wie ein Dorf damit umgeht

    Friedliches Miteinander in Seeth:Wo mehr Flüchtlinge als Einwohner leben

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    In dem nordfriesischen Dorf Seeth leben derzeit mehr Geflüchtete als Einwohner. Größere Konflikte gibt es nicht. Er sei "unheimlich stolz" auf die Gemeinde, sagt der Bürgermeister.

    Menschen stehen Schlange bei der Essenausgabe in der Landesunterkunft der Gemeinde Seeth im Kreis Nordfriesland, aufgenommen am 21.03.2023
    Menschen stehen Schlange bei der Essensausgabe in der Landesunterkunft für Flüchtlinge in Seeth.
    Quelle: dpa

    Solche Zahlen könnten für Unruhe sorgen: Auf jeden Einwohner des knapp 700 Einwohner zählenden schleswig-holsteinischen Dorfes Seeth kommt mehr als ein Geflüchteter. Rund 790 Menschen sind in der dortigen Landesunterkunft für Flüchtlinge (Luk) untergebracht, Stand 21. März.
    Hinzu kommen 17 der Kommune zugewiesene Flüchtlinge. Die meisten Menschen in der Luk kommen aus der Ukraine. Die übrigen Bewohner sind Asylbewerber.

    Bürgermeister stolz auf Akzeptanz der Situation

    Der ehrenamtliche Bürgermeister von Seeth, Ernst-Wilhelm Schulz, lädt zum Gespräch in sein Wohnzimmer. Er sei "unheimlich stolz" auf seine Bürgerinnen und Bürger erzählt er bei Kaffee und Kuchen. Stolz auf die Akzeptanz der Situation, auch wenn das Verhältnis zwischen Flüchtlingen und Einwohnern zahlenmäßig nicht passe.
    Als die Luk vor rund einem Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wiedereröffnet wurde, gab es eine unheimlich große Hilfsbereitschaft, wie Schulz schildert. Manchmal werden die Seether auch zu Veranstaltungen in die Landesunterkunft eingeladen.

    Ich gehe auch jedes mal hin. Das ist selbstverständlich. Das sind Bürger, wie alle anderen auch.

    Ernst-Wilhelm Schulz, ehrenamtlicher Bürgermeister von Seeth

    Ernst-Wilhelm Schulz, Bürgermeister der Gemeinde Seeth im Kreis Nordfriesland, sind bekleb, aufgenommen am 21.03.2023
    Ernst-Wilhelm Schulz ist der Bürgermeister von Seeth.
    Quelle: dpa

    Zuwanderung hat seit Ukraine-Krieg stark zugenommen

    Nicht überall funktioniert das Neben- und Miteinander von Einheimischen und Geflüchteten so geräuschlos. So sorgen in Mecklenburg-Vorpommern Pläne für den Bau einer Unterkunft in dem 500-Einwohner-Ort Upahl seit Wochen für Proteste.
    Die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden, die allein nach Schleswig-Holstein kommen, hat nach Angaben des Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge durch den Krieg in der Ukraine vervielfacht. 2021 kamen 4.209 Menschen, 2022 waren es 37.434.
    Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind bundesweit gut 1,055 Millionen Menschen (Stichtag 21. März 2023) allein im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg nach Deutschland gekommen.

    Landesunterkunft könnte länger bestehen

    "Wir waren damals unter erheblichen Druck, weil sehr viele Menschen aus der Ukraine nach Schleswig-Holstein gekommen sind", sagte der Sprecher des Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge, Wolfgang Kossert. "Wir brauchten zusätzliche Unterkünfte. Die leerstehende Kaserne, die schon einmal Landesunterkunft war, bot sich dafür an."
    Die Fensterscheiben eines Hauses der Landesunterkunft der Gemeinde Seeth im Kreis Nordfriesland, sind bekleb, aufgenommen am 21.03.2023
    Farbenfrohe Deko: Die Fensterscheiben eines Hauses in der Landesunterkunft sind beklebt.
    Quelle: dpa

    Zunächst wurden hier nur Ukrainer untergebracht, seit einiger Zeit kommen auch wieder Asylbewerber. Bisher soll die Luk Ende 2023 wieder geschlossen werden - es deutet sich aber an, dass der Vertrag bis 2024 verlängert wird.

    Zu wenig Wohnraum für alle

    Ursprünglich sollten die Menschen, die in den Landesunterkünften ankamen, nach etwa zehn Tagen einer Kommune zugewiesen werden. Doch die Städte und Gemeinden haben nicht genügend Wohnraum für die vielen Menschen - und die Landesregierung hat im November die Verweildauer in den Landesunterkünften auf mehrere Wochen hochgesetzt.
    Ehrenamtliche Mitarbeiterin gibt Deutschkurs für ukrainische Geflüchtete
    Zahlreiche Geflüchtete aus der Ukraine, die arbeiten wollen, dürfen nicht, weil ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen. Die Nachfrage nach Kursen ist zwar groß, doch es gibt nicht genügend Angebote. 17.03.2023 | 2:08 min
    Überall wird verzweifelt nach Wohnraum gesucht, Kommunen und Kreise wissen nicht, wie sie die Menschen unterbringen sollen. Dies wird neben der finanziellen Frage wohl eines der drängendsten Themen auf dem geplanten Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern am 10. Mai sein.
    Auch in Seeth könnte die Stimmung irgendwann kippen, meint der Bürgermeister. Das hänge auch von der Klientel ab - und dem Verhalten jedes Einzelnen. "Aber ich appelliere immer an das Verständnis."

    Freizeitangebote in Unterkunft

    Die Unterkunft in Seeth sei im Vergleich zu den Gemeinden drumherum zwar sehr groß, sagt Kossert. Aber aufgrund der Erfahrung in anderen Landesunterkünften wurden Strukturen aufgebaut, die die Menschen an die Unterkunft binden. "Sie sind hier den Tag über beschäftigt."
    Es gibt eine Schule auf dem Gelände, eine Art Kindergarten, eine ärztliche Versorgung, ein Frauencafé, wie der Leiter der Einrichtung, Sönke Jensen, aufzählt. Man kann Räder ausleihen, Tischkicker oder Tischtennis spielen. Es werden Bastelkurse für Kinder oder Nähkurse angeboten. Zudem gebe es fast überall WLAN.

    Es ist ganz anders als in einer Unterkunft, in der nichts angeboten wird. In der die Menschen nur untergebracht werden und dann gegebenenfalls ausschwärmen in die Umgebung.

    Wolfgang Kossert, Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge

    Quelle: Birgitta von Gyldenfeldt, dpa

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