Heute stimmen die Berliner in einem Volksentscheid ab, ob ihre Stadt bis 2030 klimaneutral sein muss. Nicht zu schaffen, sagt der Senat. Ein Ja hätte weitreichende Folgen.
In Berlin können am Sonntag rund 2,4 Millionen Wahlberechtigte in einem Volksentscheid darüber abstimmen, ob die Stadt im Jahr 2030 klimaneutral werden soll.
Die Plakate in Rot und Grün hängen seit Wochen in der Stadt. "Der Politik Ziele setzen", steht da. Das Bündnis "Klimaneustart Berlin" wirbt damit für ein "Ja" zum Volksentscheid. Konkret geht es um ein ziemlich ehrgeiziges Vorhaben, das da verbindlich verankert werden soll.
Die Hauptstadt soll schon 2030 - und nicht wie bisher vorgesehen erst bis 2045 - klimaneutral werden. Konkret heißt das: Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 95 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 1990. Ist das Vorziehen des Klimaziels überhaupt machbar?
Bis 2030 soll Berlin per Gesetz klimaneutral sein, wenn es nach den Initiatoren des Volksentscheids geht.
Klimaneutralität eine Frage des politischen Willens?
"Ja", sagt Stefan Zimmer vom Bündnis Klimaneustart. Maßnahmen und Technologien seien vorhanden, es fehle der politische Wille. Die Frage, wie das gelingen soll, beantwortet die Initiative nicht. Man fordere ganz bewusst keine konkreten Maßnahmen, denn die müsse "der Senat mit der Stadtgesellschaft partizipativ aushandeln". Was müsste konkret passieren?
Wie lässt sich die Erde noch retten? Durch Fortschritt oder radikalen Verzicht?
Wissenschaftler wie Volker Quaschning von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft legen den Fokus vor allem auf die Bereiche Energie, Verkehr und Gebäude - die Hauptverursacher von Kohlendioxid.
Quaschning: "CO2-Budget ist in 2030er Jahren aufgebraucht"
Das Szenario für 2030: Komplettverzicht auf fossile Brennstoffe wie Öl, Gas und Kohle, Energieerzeugung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Solaranlagen auf Dächern und an Fassaden, Wärmedämmung an allen Gebäuden, keine Verbrennerautos mehr in der Innenstadt, Flugverkehr am BER statt mit Kerosin überwiegend mit alternativen Treibstoffen.
In Deutschland verfehlte vergangenes Jahr der Bereich Verkehr bei den Treibhausgas-Emissionen die Vorgaben des Bundesklimaschutzgesetzes, so das Umweltbundesamt.
Das Résumé des Professors für Regenerative Energiesysteme und Mitbegründer der Klimaschutzbewegung "Scientists for Future":
Berliner Senat: Klimaneutralität bis 2030 nicht erreichbar
Die Ziele seien ambitioniert, aber machbar. "Berlin könnte ein Symbol für den Klimaschutz werden." Mit 112 Milliarden Euro Kosten rechnet das Bündnis für die Klimawende.
Der noch amtierende rot-grün-rote Senat lehnt diese Vorgaben allesamt ab. Zeit, Geld und Fachkräfte fehlen, ökonomisch und technisch nicht umsetzbar, lauten die Gegenargumente. "Hohe Ambitionen zu haben, ist absolut richtig und wichtig", sagt Lizzi Sieck, Expertin für kommunalen Klimaschutz beim Umweltbundesamt.
Die Europäische Union will bis 2050 klima-neutral sein. Bis dahin ist noch einiges zu tun. Nun hat das EU-Parlament die Grundlage für energie-effiziente Gebäude gelegt.
Viele Maßnahmen wie etwa die vollständige Sanierung des Gebäudebestandes in nur sieben Jahren lägen nicht allein in der Verantwortung des Berliner Senats.
CDU und SPD planen fünf Milliarden für Klimaschutz
Die politisch Verantwortlichen sind alarmiert; das Klimathema bewegt viele in der Hauptstadt. In ihren Koalitionsverhandlungen hat das potentielle künftige Regierungsbündnis von CDU und SPD nun kurzerhand vereinbart, zusätzlich fünf Milliarden Euro für den Klimaschutz auszugeben. Auch um der Klima-Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Klimaneutral bis 2030, ein schöner Plan. Machbar oder unrealistisch? Die 2,4 Millionen wahlberechtigten Berlinerinnen und Berliner sind nun aufgerufen, darüber abzustimmen. Rund 610.000 "Ja"-Stimmen braucht das Bündnis Klimaneustart um erfolgreich zu sein.
Markus Gross ist Redakteur im ZDF-Landesstudio Berlin.