Waffen für die Ukraine: Warum zögert Berlin so lange?

    Interview

    Waffen für die Ukraine:"Berlin reagiert erst, wenn Druck enorm wird"

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    Vor einem Jahr sagte Deutschland der Ukraine 5.000 Helme zu - jetzt Kampfpanzer. Warum zögert Berlin bei Forderungen nach Waffen so lange und gibt dann doch nach? Ein Interview.

     
    Von Helmen zum Leopard: Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine
    Von Helmen zum Leopard: Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine
    Von Helmen zum Leopard: Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine
    Von Helmen zum Leopard: Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine

    Erst Ausrüstung, dann Waffen

    Für die Ankündigung, 5.000 Helme in die Ukraine zu schicken, erntete die Bundesregierung im Januar 2022 viel Spott. Nach Kriegsbeginn lieferte sie dann auch Waffen - eine Auswahl.

    Quelle: ZDF/Getty Images


    ZDFheute: Deutschland hat jetzt die Lieferung von Leopard-2-Panzern zugesagt - ist das ein Wendepunkt im Krieg? 
    Göran Swistek: Nein, ein Wendepunkt im Krieg wird diese Lieferung der Leopard-2-Panzer für sich allein nicht sein. Der Entschluss mehrerer westlicher Staaten in diesem Zusammenhang, ihre militärische Unterstützung für die Ukraine zu erhöhen, teilweise auch schwere Panzer zu liefern, aber auch andere Waffensysteme und Munition, kann die Ukraine in die Lage versetzen, sich besser gegen die russische Aggression zu wehren.  
    Infografik: Der Kampfpanzer Leopard

    Wenn diese Lieferungen dann auch zeitnah erfolgen, kann sich die Ukraine auch gegen eine etwaige neue russische Offensive am Boden besser verteidigen, was am Ende Menschenleben rettet. Ein etwaiger Wendepunkt ergibt sich aus der Gesamtmenge der zu liefernden Waffensysteme, Munition und anderer Unterstützungsleistungen und der Strategie der Ukraine, diese gegen die russische Aggressionen einzusetzen. Insofern liegt die Definition eines Wendepunktes nicht allein bei einzelnen Staaten und deren Lieferungen.
     
    ZDFheute: Warum war Deutschland so zögerlich mit den Waffenlieferungen
    Swistek: Das ist schwer zu sagen. Es wurde deutlich, das ist eine Entscheidung des Bundeskanzlers, der in seiner Kommunikationsstrategie seine Beweggründe, Entscheidungskriterien und Ziele bisher nicht so deutlich offengelegt hat. Er nennt ja immer unter anderem die Abstimmungsprozesse mit den Alliierten und dass man nicht alleine agieren will, nicht eskalatorisch sein will.   
    Das sind sicherlich valide Punkte, aber er erklärt nicht, warum bestimmte Entscheidungen auf die lange Bank geschoben werden. Da ist die Kommunikationsstrategie des Kanzlers derzeit wirklich undeutlich.   

    Göran Swistek, Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik
    ... ist Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    ZDFheute: Was waren die wichtigsten Wendepunkte der deutschen Außenpolitik?  
    Swistek: Der größte Wendepunkt der deutschen Rüstungsexportpolitik war erst mal grundsätzlich, Waffensysteme in ein Kriegsgebiet zu liefern. Das war jahrzehntelang ein Tabu, das man mit dem Krieg in der Ukraine schrittweise relativiert hat. Angefangen mit Munitionen und kleineren Ausrüstungsgegenständen wie Helmen und Kleidung über erste Waffensysteme wie Stinger-Raketen bis hin zu letztlich schweren Panzern wie dem Marder - durchaus eine starke Änderung der Rüstungspolitik. 
     
    Infografik: Der Schützenpanzer Marder

    Das ist aber auch der internationalen sicherheitspolitischen Lage geschuldet, der sich Deutschland nicht entziehen kann. Wir sind eingebettet in die europäische Sicherheitsarchitektur, in die europäische Ordnung. Wir stehen nicht außen vor, sondern müssen da auch einen Beitrag leisten.  
    ZDFheute: Wie kam es dazu, dass Deutschland immer weiter nachgegeben hat? 
    Swistek: Wenn man sich die Etappen der Unterstützung anschaut, kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass Berlin erst dann reagiert, wenn der Druck von außen durch die Verbündeten enorm groß wird. Deutschland wird nie allein agieren - das ist ein Grundsatz, den auch der jetzige Bundeskanzler immer wieder bekräftigt.   
    Das Argument, andere lieferten nicht so viel wie wir, ist eine Art Zynismus, muss ich ganz ehrlich sagen. Denn es geht in der Ukraine um Menschenleben und um ein Land, was angegriffen wird. Dann auf irgendwelchen Listen zu schauen - wer liefert mehr und wer weniger und wo stehen wir - das ist das falsche Herangehen aus meiner Sicht. Wenn das Ziel eine Unterstützung der Ukraine ist, damit diese den Krieg nicht verliert, dann muss man gemeinsam das dafür Notwendige tun.
    ZDFheute: Auf welche Waffen kommt es jetzt am meisten an? 
    Swistek: In den letzten Monaten hat sich viel getan. Noch im September/Oktober waren vor allem die Luftraumverteidigungssysteme hochbrisant. Der Grund: Es fing gerade an, dass intensive Schläge gegen die zivile Infrastruktur der Ukraine geführt wurden. Mittlerweile aber benötigt die Ukraine zudem auch Waffensysteme, um sich gegen das erneute Vordringen Russlands am Boden zu verteidigen. Dazu gehören zum Beispiel gepanzerte Schützenfahrzeuge wie etwa der Marder.  
    Am besten sind Waffenlieferungen in einem Verbund. Es macht keinen Sinn, einzelne Panzer hinzuschicken, sondern ich muss das eingebettet haben in eine Gesamtstrategie, vorzugsweise auch mit einer Luftverteidigung. 
    Das Interview führte Charlotte Bauer.
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