Ausgeschlachtete Kühlschränke für Russlands Krieg?
Faktencheck
Chips aus Haushaltsgeräten:Europäische Kühlschränke für Putins Krieg?
von Julia Klaus
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Schlachtet Russland Kühlschränke und Geschirrspüler aus, um mit den darin enthaltenen Chips das eigene Kriegsgerät zu reparieren? Warum das nicht abwegig ist.
Kühlschrank-Chips für Putins Waffen? Technisch gesehen wäre das möglich.
Quelle: picture alliance / photothek
Nutzt Russland Chips aus einfachen Haushaltsgeräten, um damit defektes Militärgerät auszubessern? Schon im September hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gesagt:
Das russische Militär nimmt Chips aus Geschirrspülern und Kühlschränken, um militärisches Gerät zu reparieren, weil ihnen die Halbleiter ausgegangen sind.
Wir haben Berichte von Ukrainern, dass, wenn sie russische Militärausrüstung auf dem Boden finden, diese mit Halbleitern gefüllt ist, die sie aus Geschirrspülern und Kühlschränken entfernt haben.
Gina Raimondo, US-Handelsministerin
Chips und Halbleiter: Was ist das?
Ob Smartphone, Kühlschrank oder Panzer: Chips sind in den meisten Elektrogeräten verbaut. Sie bestehen vor allem aus Halbleitern. Die Begriffe Chip und Halbleiter werden oft synonym benutzt, was genau genommen aber nicht stimmt. Halbleiter sind das Material, Chips das Endprodukt.
ZDFheute hat nachgefragt: Könnten Kühlschrank-Chips in russischem Militärgerät landen? Theoretisch ja, sagt Roland Nagy, Professor für Elektronische Bauelemente an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen.
Bestimmte Chips lassen sich theoretisch aus Haushaltsgeräten herauslösen, umprogrammieren und dann für andere Einsätze nutzen - vermutlich nicht für komplexe Waffensysteme, aber in einfacheren wäre das denkbar.
Roland Nagy, Professor für Elektronische Bauelemente
Für plausibel hält das auch Max Christian Lemme, Professor am Lehrstuhl für Elektronische Bauelemente der RWTH Aachen. Gegenüber "Correctiv" schrieb er: "Es ist durchaus vorstellbar, dass Halbleiterbauelemente (Transistoren, Widerstände, Kondensatoren oder Spulen) aus Haushaltsgeräten ausgebaut werden und in Militärfahrzeuge eingebaut werden." Sowohl Waschmaschinen als auch russische Panzer hätten eher einfache Chips und Schaltungen. Daher sei es denkbar, dass diese zur Reparatur verwendet werden.
Deutsche Produkte für russische Waffen?21.06.2022 | 10:52 min
Europäische Muttermilchpumpen für Putins Krieg?
Neue Zahlen geben der These der ausgeschlachteten Haushaltsgeräte Aufwind. Kasachstan und Armenien haben in den vergangenen Monaten deutlich mehr Kühlschränke, Waschmaschinen und elektrische Muttermilchpumpen aus der EU importiert. Das zeigen Berechnungen der Nachrichtenagentur Bloomberg, die Daten der europäischen Statistikagentur ausgewertet hat.
Demnach hat Armenien in den ersten acht Monaten dieses Jahres mehr Waschmaschinen aus der EU importiert als in den vergangenen beiden Jahren zusammen. Kasachstan hat im August den Importwert von europäischen Kühlschränken mehr als verdreifacht, verglichen mit dem Monat im Jahr zuvor. Und obwohl in beiden Ländern die Geburtenraten zurückgegangen sind, ist der Import von Muttermilchpumpen jeweils massiv angestiegen.
Zwar gibt es seit dem Krieg keine offiziellen russischen Handelszahlen. Doch Daten der kasachischen Regierung zeigen, dass seitdem deutlich mehr Kühlschränke, Waschmaschinen und Muttermilchpumpen nach Russland verkauft wurden. Russland, Armenien und Kasachstan sind zudem in der Eurasischen Wirtschaftsunion. Wie in der EU entfallen dort die Zölle, ein Weiterverkauf nach Russland ist damit leicht möglich.
Was gegen Kühlschrank-Chips in russischen Raketen spricht
Weil Russland von Sanktionen betroffen ist und sich viele westliche Firmen aus dem russischen Markt zurückgezogen haben, könnten Kasachstan und Armenien aber auch schlicht eine Marktlücke entdeckt haben: die russische Privatwirtschaft, die europäische Haushaltsgeräte kaufen möchte.
Zudem herrscht weltweit schon länger eine Chip-Krise: Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben den Mangel verstärkt. Es gibt auch Berichte, wonach Autohersteller Chips aus Waschmaschinen herauslösen, um sie in ihre Geräte zu verbauen. Selbst wenn europäische Haushaltsgeräte in Russland landen, heißt das also nicht automatisch, dass Chips daraus für Kriegsgerät verwendet werden.
EU-Kommission analysiert kaputte russische Waffen
Bestimmte Halbleiterbauteile hat die EU schon sanktioniert. Auch Kühlschränke und Geschirrspülmaschinen für den privaten Gebrauch im Wert von mehr als 750 Euro dürfen nicht nach Russland exportiert werden - weder unmittelbar noch mittelbar, sie dürfen also auch nicht über Drittländer wie Kasachstan in Russland landen.
Das zu verfolgen ist allerdings schwer. Zudem stehen etwa Industriespülmaschinen nicht auf der EU-Liste und könnten weiterhin exportiert werden. Was mit ihnen dann in Russland passiert, ist fast unmöglich nachzuvollziehen.
Werden europäische Haushaltsgeräte also dazu genutzt, um Putins Krieg zu befeuern? Eine Sprecherin der EU-Kommission betont gegenüber ZDFheute, dass man forensische Analysen von zerstörten russischen Waffen durchführe. Damit wolle man Gegenstände identifizieren, die Russland nutzen könnte, um Sanktionen zu umgehen. Sie schreibt:
Viele einfache Komponenten von Waschmaschinen oder Kühlschränken sind in vielen Ländern und Regionen im Handel erhältlich. Wo wir Gegenstände identifizieren können, die in russischen Waffen verwendet werden, erwägen wir eine Ausweitung der Handelsbeschränkungen auf diese Gegenstände.
Miriam Garcia Ferrer, Sprecherin EU-Kommission
Fazit: Technisch gesehen wäre es möglich, dass Chips aus westlichen Haushaltsgeräten in russischem Kriegsgerät landen. Auch bietet die EU-Sanktionsliste Schlupflöcher. Da fast jedes technische Gerät mit Chips funktioniert, ist es sehr wahrscheinlich, dass solche Chips auch potenziell in Russland landen.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.