Studie sieht Trendumkehr: Mehr Menschen verschulden sich

    Schuldneratlas sieht Trendumkehr:Warum sich mehr Menschen verschulden

    von Mischa Ehrhardt
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    Die Zahl verschuldeter Menschen hat einer Studie zufolge leicht zugenommen. Beobachter rechnen wegen des wirtschaftlichen Gegenwinds mit einem weiteren Anstieg.

    Frau sitzt über Rechnungen
    Die hohen Kosten für Wohnen, Energie und Verbrauch bringen viele Menschen an ihre finanziellen Grenzen. (Symbolbild)
    Quelle: Imago

    Oberflächlich besehen ist es ein Paradox: Trotz permanenter Krisen der vergangenen Jahre befindet sich die Anzahl verschuldeter Personen hierzulande auf historischen Tiefständen. Dieses Paradox löst sich jedoch auf, wenn man die staatlichen Hilfsmaßnahmen bedenkt: Zunächst während der Corona-Pandemie, zuletzt auch zu Beginn der einsetzenden Energiekrise im vergangenen Jahr.
    Und schließlich dürfte auch die vergleichsweise deutliche Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro dazu beigetragen haben, vor allem einkommensschwächere Haushalte zu entlasten.

    Statistische Effekte: "Vermeintlich gute Werte trügen"

    Doch nun gibt es eine Trendumkehr. "Zum Jubeln ist uns nicht die Laune", sagte der Chef des Verbandes der Vereine Creditreform, Bernd Bütow in Neuss. Creditreform veröffentlichte dort zum 20. Mal den Schuldneratlas - feierte also ein kleines Jubiläum.
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    Dabei stellten die Studienautoren allerdings einen leichten Anstieg überschuldeter Personen und Haushalte fest, wenn man statistische Effekte herausrechnet. "Wir haben den Trend bereits bei den Unternehmensinsolvenzen gesehen", sagt Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform gegenüber ZDFheute.

    In dieser Multi-Krise leiden Haushalte unter hoher Inflation, steigenden Zinsen und teurer Energie.

    Patrick-Ludwig Hantzsch, Creditreform

    "Gleichzeitig ist auch der Arbeitsmarkt unter Druck", was viele Menschen und Haushalte an ihre finanziellen Grenzen bringe.
    Eine Trendumkehr ist das deswegen, weil seit dem Vor-Corona-Jahr 2019 laut Schuldneratlas die Zahl überschuldeter Privatpersonen über 18 Jahre stetig zurückgegangen ist. Auch im bisherigen Jahresverlauf sank sie der Zahl nach um rund 230.000 Fälle. Allerdings liegt das an einem statistischen Effekt, weil Creditreform die Datengrundlage geändert hat.

    Die vermeintlich guten Werte trügen leider.

    Patrick-Ludwig Hantzsch, Creditreform

    Anzahl verschuldeter Personen dürfte zulegen

    So gibt es seit 2020 auch erstmals wieder ein Ansteigen so genannter "weicher" Überschuldung. In diesen Fällen sind bei den Schuldnern schon Mahn- und Inkassoverfahren eingeleitet. Im Gegensatz zur "harten" Überschuldung ist aber noch kein Gerichtsvollzieher aktiv geworden.
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    Von dieser Entwicklung betroffen seien vor allem einkommensschwache Haushalte - denn sie leiden am meisten unter den deutlichen Preisanstiegen bei Energie und Lebenshaltungskosten.

    Mehr Anfragen bei der Schuldnerberatung

    Und es verdichten sich die Zeichen, dass mit dem aktuell herrschenden wirtschaftlichen Gegenwind auch die Verschuldung von Privatpersonen zunehmen dürfte. Diesen Trend beobachtet man etwa in den Schuldnerberatungen der Caritas.
    "In Umfragen bei Schuldnerberatungsstellen im letzten Jahr und zu Beginn dieses Jahres haben wir festgestellt, dass im Vergleich zu vor der Pandemie schon bis zu 30 Prozent mehr Anfragen an Schuldnerberatung vorhanden sind", sagte Roman Schlag gegenüber ZDFheute. Er ist Referent für Schuldnerberatung der Caritas im Bistum Aachen
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    Auch Mittelstandseinkommen geraten an Grenzen

    Dabei stellen er und seine Kolleginnen und Kollegen fest, dass zunehmend auch Menschen aus dem Mittelstand in die Verschuldung rutschen. "Es kommt auf einmal eine Klientel in die Beratungsstellen, die wir früher nicht bei uns hatten. Das sind Menschen, die aufgrund ihres Einkommens bisher einigermaßen gut zurechtkamen", sagt Schlag und erklärt:

    Aber aufgrund der enorm gestiegenen Kosten für Wohnen, Energie und Verbrauch geraten deren Finanzgebäude ins Wanken.

    Roman Schlag, Schuldnerberatung der Caritas Aachen

    Den Grund hierfür sehen die Wirtschaftsforscher*innen von Creditreform auch an gestiegenen Zinsen etwa für Baufinanzierungen. Denn die führen dazu, dass sich in vielen Fällen Anschlussfinanzierungen verteuern und Menschen dadurch in finanzielle Schieflage geraten.
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    Arbeitslosigkeit ein Hauptgrund für Verschuldung

    Perspektivisch rechnet Creditreform mit einer weiteren Zunahme verschuldeter Haushalte und Personen. Denn insbesondere der Bausektor kriselt, da die hohen Zinsen und Materialkosten zu wenig Neubauprojekten führen. Infolgedessen haben vereinzelt Unternehmen der Branche Insolvenz anmelden müssen.
    Dieser Trend schlägt sich zeitverzögert dann auch in der Verschuldung nieder. Denn Arbeitslosigkeit ist eine der Hauptursachen dafür, seine laufenden Rechnungen nicht mehr begleichen zu können und so in die Verschuldung zu rutschen.

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