Deutsche Schuldenbremse: Zu streng und unglaubwürdig?

    Ökonom ordnet ein:Schuldenbremse: Zu streng und unglaubwürdig?

    von Frank Bethmann
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    Die deutsche Schuldenbremse bleibt umstritten. Ein Gutachten zu einer Reform liegt vor. Ein Wirtschaftshistoriker prangert vor allem die "völlig ungebremste Ausgabenwut" an.

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    Die Schuldenbremse soll sicherstellen, dass die Regierung nicht übermäßig hohe Schulden anhäuft und die finanzielle Stabilität des Landes bewahrt.
    Quelle: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

    Die in diesem Jahr besonders viel diskutierte deutsche Schuldenbremse ist Fluch und Segen zugleich. Sie verhindere notwendige Investitionen in Bildung, Digitalisierung oder Klimatechnologien, sagen die Kritiker. Die Befürworter argumentieren, wir können nicht immer nur auf Kosten der nächsten Generation leben. Der Staat müsse mit seinen Einnahmen, die nicht gering sind, auskommen.

    Schuldenbremse als Reaktion auf die globale Finanzkrise

    Ins Leben gerufen wurde sie nach der Finanzkrise im Jahr 2009. Zuvor waren die Kapitalmärkte unter anderem durch das Platzen der Immobilienblase in den USA in eine gefährliche Schieflage geraten.
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    Gerettet werden konnte das schwer angeschlagene globale Finanzsystem damals nur durch das beherzte Eingreifen der Staaten. Der Preis dafür: Die Staatsverschuldung in vielen Ländern stieg enorm an. Auch in Deutschland. Die Bundesrepublik implementierte daraufhin die heutige Schuldenbremse im Grundgesetz.

    Die Schuldenbremse soll sicherstellen, dass die Regierung nicht übermäßig hohe Schulden anhäuft und dass sie die finanzielle Stabilität des Landes bewahrt. Die Schuldenregel formuliert Grenzen der Verschuldung und verlangt die Rückzahlung der Staatsschulden in absehbarer Zeit. Sie soll dazu beitragen, dass Gegenwartsprobleme nicht auf Kosten künftiger Generationen gelöst werden bzw., dass im Umkehrschluss auch nachfolgenden Generationen finanzieller Spielraum bleibt.

    Nachdem Deutschland siebenmal hintereinander einen ausgeglichenen Haushalt, teilweise sogar Finanzüberschüsse erwirtschaftet hat, wurde die Schuldenbremse wegen Corona in den Jahren 2020, 2021 und 2022 ausgesetzt - ebenso 2023. Ausgesetzt bedeutet, dass von den festgelegten Grenzen der Verschuldung abgewichen werden kann. Möglich ist das in Jahren mit besonderen Belastungen, beispielsweise durch eine Pandemie, einer schweren Wirtschaftskrise oder durch Naturkatastrophen.

    Deutschland verankert "Schuldenvollbremse"

    Politisch sei es ganz merkwürdig gelaufen in Deutschland, erinnert sich Professor Albrecht Ritschl. In Europa hatte man sich nach der Finanzkrise darauf verständigt, die Schuldenlast relativ zur Wirtschaftsleistung wieder herunterzufahren.
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    "Und dann", so der Wirtschaftshistoriker an der London School of Economics, "hat man diese Diskussion in Deutschland dazu verwendet, um eine sehr strenge ewige Schuldenregel zu beschließen", während man auf europäischer Ebene eine zeitweise Schuldenbremse haben wollte. "Wir bremsen, aber dann gehen wir auch wieder runter von der Bremse, wenn die Schulden wieder im Gleichgewicht sind."

    Das haben wir in Deutschland nicht gemacht, sondern wir haben jetzt sozusagen eine Schuldenvollbremse.

    Albrecht Ritschl, Ökonom

    Kein anderes Land in Europa hat so strenge Fiskalregel

    Die "Schuldenvollbremse" lässt über den Konjunkturzyklus hinweg pro Jahr lediglich ein Haushaltsdefizit von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu. Eine solch enge Fiskalregel hat sich kaum ein anderes Land in Europa auferlegt.
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    Frankreich und Italien planen zum Beispiel in den nächsten Jahren mit Haushaltsdefiziten zwischen drei und fünf Prozent des BIP. Dies wird nicht zuletzt als notwendig erachtet, um im Bereich des Klimaschutzes Fortschritte zu machen.

    Gutachten zur Reform der Schuldenregel liegt vor

    Ritschl, der auch dem wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums angehört, ist die heutige Schuldenregel zu rigide. Der Beirat hat ein Gutachten erarbeitet, das im Kern eine Rückkehr zur reformierten Form der alten Schuldenregel vorsieht: "Das war der alte Paragraph 115 des Grundgesetzes, in dem gesagt wurde, Schulden dürfen aufgenommen werden im Verhältnis zu den Investitionen."
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    Ritschl aber weiß, welche Problematik damit verbunden ist: "Was der öffentliche Investitionsbegriff beinhaltet, war stets umstritten und lud zu Missbrauch ein." Kann man das irgendwie besser machen? Darum gehe es in dem Gutachten, ergänzt er.

    Wirtschaftshistoriker übt harsche Kritik

    Ritschl hält die gegenwärtige Schuldenbremse für überholt. Sie sei "unglaubwürdig", weil sie durch zu viele Ausnahmetatbestände, wie unter anderem das Bundeswehr-Sondervermögen, ausgehebelt wurde. Und er kritisiert, "dass die Einnahmen fast vollständig gebunden sind für laufende Ausgaben; insbesondere in den Sozialsystemen."
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    Ritschl spielt auf Ausgaben wie das Bürgergeld oder die Quersubventionierung der Rente durch Steuergelder an.

    Problem sei die "völlig ungebremste Ausgabenwut"

    Der Wirtschaftshistoriker blickt skeptisch nach vorne:

    Egal welche Reform der Schuldenbremse wir machen, solange wir irgendeine Schuldenregel haben, stehen wir in ein paar Jahren wieder vor dem gleichen Problem.

    Albrecht Ritschl, Wirtschaftshistoriker

    Das Problem, so Ritschl, sei die "völlig ungebremste Ausgabenwut" dieser und vorheriger Regierungen. Was fehle, sei ein Gesamtkonzept, das Gegenwartsausgaben und schuldenfinanzierte Zukunftsprogramme ordnet. "Doch das Gesamtkonzept ist nicht da. Und die Regierungen weigern sich, die nötigen Reformen anzugehen", sagt der Ökonom.

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