Im Fußball entzündet sich eine breite gesellschaftspolitische Bewegung an der Frage, wer bei dem Sport das Sagen hat. Einen Tag, bevor die Deutsche Fußballliga über die Regel diskutiert, die bislang den Einfluss von Investoren begrenzt, fordern fast 3000 Fanklubs den Erhalt eben dieser 50+1-Regel.
Unaufhaltsam läuft der Zähler der Dreitausender-Marke entgegen. 2802 lautet am Mittwochmittag die Zahl - so viele Fanklubs in Deutschland haben sich bis dahin dem Appell 50+1 bleibt! angeschlossen.
Videobeweis, Montagspiele, 50+1
Gemeint ist jene Regel in den Statuten von DFB und Deutscher Fußball-Liga (DFL), wonach die Stimmenmehrheit bei zu Kapitalgesellschaften ausgegliederten Fußballabteilungen immer beim Stammverein verbleiben muss. Am heutigen Donnerstag wollen die Vereine der DFL auf ihrer Mitgliederversammlung eine Grundsatzdebatte führen, ob Modifikationen an dieser Regelung nötig sind.
Der Blick auf die Spruchbänder in den Fankurven der Bundesliga-Stadien in den vergangenen Wochen verrät, dass sich der Unmut der Fußballfans im Moment auf verschiedene Themen richtet, etwa gegen den Videobeweis und die Montagsspiele. Während sich diese Neuerungen unmittelbar auf die Fankultur in den Stadien auswirken, handelt es sich bei 50+1-Regelung zunächst einmal um einen nackten Paragrafen - dennoch entzündet sich gerade an ihm der Fanprotest am massivsten.
Regelung gegen enthemmtes Wachstum
"Das ist ein übergeordnetes Thema, das den ganzen Fußball stark beeinflusst", sagt der Freiburger Betriebswirt und Fußballfan Manuel Gaber gegenüber heute.de. "Es betrifft nicht nur die Vereine und Verbände, sondern auch die Fans. Deshalb wollen wir hier ein deutliches Zeichen setzen."
Der 25jährige Gaber, der seit längerem in der Freiburger Fanszene aktiv ist, gehört zu den Initiatoren des "50+1-bleibt!"-Appells, der aus einem losen Zusammenhang von Fangruppen in Freiburg, Dortmund, Köln und Hannover hervorgegangen ist. "Es ist die einzige Regelung, die ein enthemmtes Wachstum etwas dämpft. Im Wegfall oder der Lockerung der Regel sehen wir eine große Gefahr. Der Fußball würde sich grundsätzlich verändern", sagt Gaber.
Finanzkraft von Eigentümern soll nicht entscheiden
Gaber begründet diese Sorge damit, dass der Wettbewerbsdruck sich noch weiter erhöhen würde, wenn durch weitere Investoren zusätzliches Geld in den Fußball fließe. "Der Wettbewerbsdruck hat ja jetzt schon negative Auswirkungen wie die Spieltagszerstückelung", sagt Gaber: "Wir wollen nicht, dass die Finanzkraft von Eigentümern der entscheidende Faktor ist, und die solide, erfolgreiche Arbeit von Vereinen an Relevanz verliert."
Neu belebt hatte die Debatte ein Vorstoß des Präsidenten und Hauptinvestors von Hannover 96. Martin Kind hatte einen Antrag bei der DFL gestellt, ebenso von der 50+1-Regelung befreit zu werden, wie es Bayer Leverkusen, der VfL Wolfsburg sowie die TSG Hoffenheim 1899 schon sind.
Uneinheitliches Stimmungsbild
Solche Ausnahmen sind nur bei Klubs gestattet, deren Hauptsponsor seit mehr als 20 Jahren den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert haben. Kind zog den Antrag allerdings vor der Entscheidung zurück am Dienstag meldete die "Bild"-Zeitung, dass die DFL den Antrag ansonsten abgelehnt hätte.
Das Stimmungsbild vor der DFL-Mitgliedversammlung ist selbst unter den Branchenführern uneinheitlich. Während Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karl Heinz Rummenigge auf eine Freigabe der Regel hofft, tritt sein Dortmunder Kollege Hans-Joachim Watzke für eine Beibehaltung ein.
Eintracht Frankfurts Sportvorstand Frede Bobic hatte sich im aktuellen sportstudio für eine Reform der Regel ausgesprochen: Die Regel sollte "moderner" gemacht werden, "aber sie soll nicht komplett wegfallen, sonst macht jeder, was er will".
Die aktiven Fans, die ihre Vorstellung von Fußball zunehmend bedroht sehen, können in dieser Auseinandersetzung darauf zählen, dass ihr Bündnis weit über den Kreis der üblichen Verdächtigen hinausgeht.
Breite Bewegung
Der Kreis der Unterstützer reicht „von Fanclubs auf der Haupttribüne bis zu den Ultras“, sagt Manuel Gaber. Die Fanclubs, die den Appell unterschrieben haben, kommen aus 139 Vereinen und aus allen Fanverbänden - vom Netzwerk Frauen im Fußball über Unsere Kurve bis zur Bundesbehindertenfanarbeitsgemeinschaft.
In diesen Tagen wird viel an die außerparlamentarische Opposition von 1968 erinnert. Fünfzig Jahre später entzündet sich eine der breitesten gesellschaftspolitischen Bewegungen des Landes an der Frage der Besitzverhältnisse im Fußball.