Angelique Kerber ist nur einen Schritt vom Wimbledonsieg entfernt. Am Samstag (nach Ende des zweiten Herren-Halbfinales) muss sie mit Serena Williams allerdings die schwerstmögliche Hürde bezwingen.
Der große Pressekonferenzraum im Herzen des ehrwürdigen All England Clubs war am Donnerstag dicht gefüllt, als Angelique Kerber ihn betrat. Die internationalen Journalisten drängten auf einmal nach Fragen an die 30 Jahre alte Kielerin, und das erstmals, seit das Wimbledonturnier vor fast zwei Wochen begann.
Unter Beobachtung von Serena
Bisher gab es hier und da mal ein paar englische Fragen an die Weltranglistenzehnte, das war es auch schon. Das Interesse an Kerber außerhalb der deutschsprachigen Medien blieb bis zum Finale verschwindend gering. Doch eine hatte ganz genau hingeschaut: Serena Williams.
"Viele Leute haben Angie seit Turnierbeginn nicht beachtet - ich schon", betonte die siebenmalige Wimbledonsiegerin, "sie spielt richtig gut, Rasen ist einfach ihr Lieblingsbelag. Glaubt mir, ich weiß, dass sie hier unbedingt gewinnen will. Genau wie ich." Am Samstag stehen sich die beiden nun im Endspiel von Wimbledon gegenüber, wie bereits vor zwei Jahren. "Ich denke, dass es wieder ein richtig gutes Finale zwischen uns wird. Und hoffentlich mit einem guten Ergebnis", fügte Williams hinzu.
"2017 ist komplett abgehakt"
2016 hatte die inzwischen 36 Jahre alte Amerikanerin das enge und hochklassige Duell zwischen ihnen gewonnen. Jetzt haben sich die Vorzeichen jedoch etwas verändert. "Dieses Mal wird es ein ganz anderes Match", meinte Kerber, "wir haben hier beide irgendwie ein Comeback." Williams spielt in Wimbledon erst das vierte Turnier nach der Geburt ihrer Tochter Olympia vor elf Monaten und wundert sich ein wenig über sich selbst: "Ich habe das nicht erwartet. Ich hatte eine sehr schwere Geburt und hätte es fast nicht überlebt. Daher ist es definitiv nicht normal für mich, wieder im Finale zu stehen."
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Und für Kerber ist dieses Wimbledonendspiel eine Art Belohnung. Sie hatte es sich selbst bewiesen, dass sie das Formtief der vergangenen Saison vollkommen überwunden hat. Kerber ist zurück im Rampenlicht. "2017 ist komplett abgehakt", sagte sie über das Seuchenjahr, in dem sich die Misserfolge gehäuft hatten und Kerber am Ende sogar aus den Top 20 der Welt gerutscht war."
Es ist etwas ganz Besonderes nach dem letzten Jahr hier im Finale zu stehen", sagte Kerber: "Das bedeutet mir sehr viel. Zurückzukommen war nicht einfach für mich. Aber dieses Finale ist eine Bestätigung, dass ich auf dem richtigen Weg bin."
Kerbers große Stärke: ihre Konstanz
Als einzige Spielerin stand sie bei den bisherigen drei Grand Slams in diesem Jahr mindestens im Viertelfinale. Und das verwundert kaum, denn sie hat ihre größte Stärke wiedergefunden: ihre Konstanz. Damit rang sie im Halbfinale auch das wilde Spiel von Jelena Ostapenkos nieder und bewahrte im Turnier besonders in den heiklen Momenten die Nerven.
Aus der Krise hat Kerber gelernt: "Ich weiß jetzt, dass man nicht zwei Wochen lang immer gutes Tennis spielen kann, aber man muss positiv bleiben und einen Weg finden." Gegen Williams ist ihr das schon einmal gelungen, im Finale der Australian Open 2016. Doch auf dem Rasen scheint es fast, als sei Williams nie weggewesen. Derzeit steht die 23-malige Grand-Slam-Siegerin zwar nur auf Platz 181 der Weltrangliste, aber das Ranking hat bei ihr nie eine Rolle gespielt. Serena Williams war und ist immer eine Ausnahmespielerin gewesen.
Geglückter Neustart
Doch Kerber hat ebenso ihre Qualitäten und wirkt durch den gelungenen Neustart zum Saisonbeginn wieder mehr bei sich. "Angie hat ganz offensichtlich den Reset-Knopf gedrückt", lobte Tennis-Legende Billie Jean King, "sie kam mit dem ganzen Erwartungsdruck, den man als Nummer eins hat, einfach nicht zurecht. Aber sie ist zurück und wirkt, als wäre sie jetzt bereit."
Doch verteidigen allein wird der besten Defensivspielerin die ersehnte Trophäe am Samstag nicht einbringen. Kerber muss sie sich holen. "Ich weiß, dass ich aggressiv spielen und das Match selbst in die Hand nehmen muss", betonte sie. Sollte es gelingen, kann sie dem Rampenlicht allerdings nicht mehr entkommen - als erste Wimbledonsiegerin 22 Jahre nach Steffi Graf.