Ehemalige Bundeswehr-Piloten bilden Chinas Militär aus

    Exklusiv

    Sorge um Militärgeheimnisse:Deutsche Kampfpiloten schulen Chinas Militär

    von Thomas Reichart, Christian Rohde, Ulrich Stoll, Bastian Obermayer, Frederik Obermaier
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    Ehemalige Bundeswehr-Piloten bilden seit Jahren chinesische Soldaten aus. Auch ein verurteilter Spion ist in die Geschäfte verwickelt. Sicherheitsbehörden sind alarmiert.

    Ex-Bundeswehr Piloten als Ausbilder in China
    Laut Medienrecherchen von ZDF frontal und "Spiegel" sind ehemalige Kampfpiloten der Bundeswehr als Ausbilder für Chinas Luftwaffe tätig.02.06.2023 | 1:50 min
    Der ehemalige Eurofighter-Pilot der Bundeswehr Peter S. ist noch immer in einem Vorort von Rostock gemeldet. Ganz in der Nähe hat er früher gearbeitet. Auf der Luftwaffen-Basis Rostock Laage, Stützpunkt des Taktischen Luftwaffengeschwaders 73 "Steinhoff". Doch die Nachbarn haben ihn seit Monaten nicht gesehen. Es heißt, er lebe in China. Dort erreicht ihn das Reporterteam über seine Handynummer. Doch S. möchte keine Fragen beantworten zu seiner Arbeit als Pilotentrainer in China. Er legt auf.
    Nach Recherchen von ZDF frontal und "Spiegel" sind mindestens eine Handvoll frühere deutsche Luftwaffen-Offiziere als Trainer für Kampfpiloten in China beschäftigt. Darunter die ehemaligen Eurofighter-Ausbilder Peter S. und Alexander H. sowie der Tornado-Pilot Dirk J.. Alle drei kennen geheime Einsatztaktiken der Nato. Schließlich haben sie über Jahre in der Bundeswehr gedient.

    Verteidigungsministerium besorgt wegen möglichem Geheimnisverrat

    Das Bundestags-Kontrollgremium zur Überwachung der Nachrichtendienste (PKGr) ist seit Wochen über die sogenannte Anschlussbeschäftigungen deutscher Beamter im Ausland alarmiert. Der Vorsitzende des PKGr, der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz sagt:

    Wir haben die Sorge, dass Soldatinnen und Soldaten nach ihrer Beschäftigung für den deutschen Staat in Beschäftigungsverhältnisse geraten können, in denen sie Staatsgeheimnisse verraten.

    Konstantin von Notz, Grüne, Vorsitzender des PKGr

    Das könne ein erhebliches Sicherheitsrisiko für Deutschland, Europa und die Nato darstellen, so von Notz weiter.
    Auf Nachfrage will sich das Bundesministerium der Verteidigung zwar nicht zu konkreten Fällen äußern, bestätigt aber, dass China versuche, über externe Agenturen ehemalige Nato-Piloten als Ausbilder anzuwerben. Dies betreffe auch "ehemalige deutsche Bundeswehrpiloten". Man sehe dabei "die große Gefahr, dass nicht nur eine fliegerische Grundbefähigung vermittelt wird, sondern auch relevante Taktiken, Techniken und Verfahrensabläufe offenkundig werden". 

    Von der Luftwaffe zu privaten Flugschulen - kein ungewöhnlicher Schritt

    Die drei Männer, die ZDF und "Spiegel" ausfindig machen konnten, gründeten nach ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr Beratungsfirmen auf den Seychellen. So steht es in den "Panama Papers" - einem Datenleak aus einer Anwaltskanzlei - spezialisiert auf Steuerspartricks und Briefkastenfirmen. Die "Panama Papers" wurden einst der "Süddeutschen Zeitung" zugespielt und liegen jetzt auch dem ZDF vor.
    Über die Beratungsfirmen der Piloten im Steuerparadies flossen wohl großzügige Gehälter. Ein Motiv für einen Job in China hätten sie. Kampfpiloten der Bundeswehr beenden normalerweise mit 41 Jahren ihre Karriere im Jet. Die Reflexe lassen nach, die Sehkraft schwindet. Wer sich dann in den Ruhestand verabschiedet, erhält etwa 50 Prozent des letzten Gehalts als Pension. Viele Ex-Piloten der Luftwaffe heuern deshalb bei privaten Flugschulen an.

    Geschäftskontakte zu verurteiltem chinesischen Spion

    Peter S., Alexander H. und Dirk J. ließen sich von einer Pekinger Firma Lode Technology Ltd rekrutieren. Das belegt ein E-Mail vom 8. März 2016. Dort steht, alle drei seien als "Aviation Consultant Contractor", also Luftfahrt-Berater für Lode Technology tätig. Angehängt an die E-Mail sind Kopien der Reisepässe.
    Anteilseigner von Lode Technology Ltd. ist bis heute der Chinese Su Bin. Der Mann wurde 2016 in den USA wegen Spionage verurteilt, später nach China ausgeliefert. Su Bin hatte geheime Datensätze über US-Militärflugzeuge gestohlen, im Auftrag der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Bereits im August 2014 hatten US-Behörden Su Bins Firma auf eine Sanktionsliste gesetzt. Ferngehalten haben sich die Deutschen von der dubiosen Firma trotzdem nicht.
    Es gibt Hinweise, wo die deutschen Piloten chinesische Kampfflieger trainiert haben könnten: Alexander H. ist laut Melderegistern aus Rostock nach Quiqihar gezogen, in eine Großstadt im Nordosten Chinas. Dort befindet sich ein wichtiger Stützpunkt der chinesischen Luftwaffe. Sie hat dort  Kampfflugzeuge vom Typ Jian-11 stationiert. Auf Anfragen der Reporter hat H. nicht reagiert. 

    Training auch für einen Angriff auf Taiwan?

    Zuletzt im April übte das chinesische Militär die Eroberung des Inselstaates Taiwan, den China als abtrünnige Provinz ansieht.  

    Wir werden uns niemals verpflichten, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten.

    Chinas Staatschef Xi Jinping zu Taiwan

    "Wenn genau in einer solchen Situation der chinesische Staat Geld in die Hand nimmt, um ausländische Fachkräfte anzuwerben, die auch gleichzeitig Geheimnisträger, auch von Nato-Informationen, sind, muss man enorm alarmiert sein", sagt der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. 
    Taiwan, Kaohsiung: Soldaten stehen nach einer Bereitschaftsübung, bei der die Verteidigung gegen Pekings militärische Angriffe simuliert wurde, für ein Gruppenfoto neben einer taiwanesischen Flagge.
    Für China ist die Sache klar: Taiwan gehört zum eigenen Staatsgebiet. Die Führung in Peking erklärt immer wieder, dass man die "Wiedervereinigung" wolle. Die meisten Taiwanesen aber sehen das anders. Das Land besteht auf seine Unabhängigkeit. 10.05.2023 | 4:08 min
    Peter S. reagierte als Einziger der drei Piloten auf Fragen von ZDF und "Spiegel". Er habe bei den Pilotentrainings keine Geheimnisse verraten, lässt er über einen PR-Berater mitteilen. Die Trainings seien "nicht klassifizierte Verfahren und die Methoden stammen entweder aus offenen Quellen oder von den Kunden selbst". Er zahle in China Steuern. Direkten Arbeitskontakt zum Spion Su Bin habe er nie gehabt. Außerdem habe ihm die Bundeswehr 2013 die Ausbildung von Piloten im Ausland erlaubt.

    Kontrollgremium kritisiert mangelhafte Aufsicht durch Bundesregierung

    Tatsächlich müssen Bundeswehrangehörige private Tätigkeiten nach ihrem Ausscheiden laut Beamtengesetz anzeigen. Ob Peter S. und die anderen ehemaligen deutschen Kampfpiloten dem nachgekommen sind, ließ das Bundesministerium der Verteidigung offen.
    Fest steht: in seiner Sitzung am 10. Mai 2023 hat das PKGr kritisiert, dass aus dem Dienst ausgeschiedene Beamtinnen und Beamte mit vertieften sicherheitsrelevanten oder nachrichtendienstlichen Kenntnissen "ungeprüft privatwirtschaftliche Tätigkeiten" aufnehmen. "Es besteht die Gefahr, dass dienstlich erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse autoritären Regimen oder kriminellen Organisationen zur Verfügung gestellt werden", heiß es in einer Mitteilung.
    Das Gremium forderte die Bundesregierung auf, die entsprechenden Gesetze und Vorschriften im Beamtenrecht zu verschärfen und besser zu kontrollieren, ob diese auch eingehalten werden. "Eine Pflicht, deren Einhaltung niemand prüft, läuft ins Leere."

    Verteidigungsministerium bestätigt: Es laufen Ermittlungen der Geheimdienste

    Das Verteidigungsministerium bestätigt auf Nachfrage von ZDF und "Spiegel", dass wegen der in China tätigen Piloten schon länger gemeinsame Ermittlungen mit Nachrichtendiensten und internationalen Partnern liefen. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) habe intensive Ermittlungen aufgenommen, um Details über die Tätigkeit der deutschen Piloten in Erfahrung zu bringen.
    Der MAD "kooperiert im Rahmen seiner Ermittlungen hierzu eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst sowie internationalen Zusammenarbeitspartnern", teilte das Ministerium mit. Man wolle jetzt "aktiv die weitere Anwerbung von Piloten" verhindern.

    Grundsatzrede von Xi Jinping
    :Chinas Kampfansage an den Westen

    Inmitten der globalen Spannungen hält Xi eine Rede, die vor Selbstbewusstsein strotzt. China buhlt um den globalen Süden. Eine Kampfansage an die USA und den Westen. Eine Analyse.
    von Elisabeth Schmidt
    Xi Jinping spricht am 7.2.2023 in Peking, China

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