Europas dicke Luft

• Starke Verkehrsberuhigung von Straßenzügen und Straßenkreuzungen
• Das Radnetz der Stadt wurde stark ausgebaut und erweitert
• Verbreiterung der Fußwege
• Mehr Straßenspuren für Busse und Taxen
• ÖPNV: Umstellung auf Hybrid- und reine Elektrofahrzeuge Umstrukturierung des Busnetzes

Verkehrsberuhigung in Barcelona

• Erklärtes Ziel: Erreichen der Klimaziele der WHO bis 2030, beste Luftqualität einer Großstadt der Welt bis 2050
• Unterstützung des Ausbaus von ,,grüner Infrastruktur ‘‘ und Fahreinschränkungen
• Parkgebühren, die sich an Abgaswerten orientieren
• ,,Ultra Low Emission Zones‘‘ (seit 8.4.2019 im Zentralen London, ab 25.10.2021 auch nördliche und südliche Bezirke)
• Busse und Taxen sollen emissionsfrei werden (bis 2037)
• Isolierung neuer Gebäude durch ,,grüne Dächer‘‘ (evtl. Ausweitung auf bereits existierende Gebäude)
• Ausbau der städtischen Grünanlagen, um Fahrradfahren und Laufen attraktiver zu machen
• Ab 2040 will Großbritannien den Verkauf neuer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ganz verbieten. Bislang verfügt nur einer von 200 verkauften Wagen über einen Elektro oder Hybridantrieb. Immerhin noch 20 Jahre Zeit das Stromnetz auszubauen und die Bürger einzustimmen. Tut not, denn an manchen Straßen Londons wird regelmäßig eine enorm hohe Luftverschmutzung gemessen, zum Beispiel in der Brixton Road

Weitere Infos: Umweltstrategie von London

Bildquelle: dpa

• Umweltplakette ,,Crit‘ Air-Vignette“
• Einrichtung einer Umweltzone
• Strafen für Fahrer ohne Umweltplakette
• Bau großer Parkplätze vor der Stadt für Pendler
• Auf lange Sicht: historisches Zentrum soll Fußgängerbereich werden
• Dieselfahrverbote (Baujahr vor 2001) ab Juli 2019
• Bis 2024 vollständiges Dieselfahrverbot
• Bis 2030 Benzinerfahrverbot
• Streichung der Diesel-Subventionen bis 2022
• In einer Machbarkeitsstudie wird geprüft, ob der öffentlicher Nahverkehr kostenlos angeboten werden kann
• Laut der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo haben die autofreien Ex-Schnellwege an der Seine zu erheblich weniger Verkehrsaufkommen geführt und die dortige Luftbelastung um 25% gesenkt. Doch die Bürgermeisterin wird deshalb auch heftig angegriffen: Der Verkehr und die Belastung hätten sich nur verlagert, sagen die Kritiker. Aber Airparif hat die Aussage der Bürgermeisterin bestätigt.

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Unter dem Kürzel 2008/50/EG verbirgt sich die EU-Luftqualitätsrichtlinie. Seit dem Jahr 2008 gilt sie für alle europäischen Mitgliedstaaten. Sie hat zum Ziel, dass die Luft, die jeder einatmet, sauber ist. Gleichzeitig enthält die Richtlinie Grenzwerte für eine Vielzahl von Luftschadstoffen, etwa für Stickstoffoxide, Feinstaub, Schwefeldioxid und Blei. „Als 2008 die Grenzwerte festgesetzt wurden, hat man eigentlich gedacht, dass es kein Problem ist, innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren die Grenzwerte auch einzuhalten. Heute ist klar, dass das aus verschiedenen Gründen schwieriger ist als erwartet“, sagt Prof. Alexander Kekulé. Der Mediziner ist Experte für Umweltgifte und Grenzwerte und befasste sich schon sehr früh mit der Gefahr von Luftschadstoffen.

Nationale Plattform: Zukunft der Mobilität
Air Quality in Europe: Aktuelle Daten zur Luftverschmutzung in Städten der EU

von Claus Schenck, Filmautor

In Paris oder London steht man vor ähnlichen Problemen. Doch während man in London eher auf das Geld setzt, und das Befahren der Innenstadt vom Geldbeutel abhängig macht, versucht man in Paris autofreie Räume zu schaffen. Tunnel werden gesperrt, Einbahnstraßen geschaffen und die Gegenspur zum Radweg gemacht. Gleichzeitig werden alte Fahrzeuge langsam aus der Metropole an der Seine verbannt. In beiden Städten sollen alternative Antriebe, ob Hybrid oder Elektro, gefördert werden. Parken ist teuer, Strafzettel ebenso. Falschparken kostet in London bis zu 150 Euro. Bis 2021 soll die Umweltzone in London massiv vergrößert werden. In Paris soll die Fußgängerzone ausgeweitet werden, und dann im Prinzip das gesamte historische Zentrum umfassen. Vor der Stadt werden riesige Pendlerparklätze gebaut.

Man müsste in Kopenhagen leben – dort machen Fahrräder 60 Prozent des Verkehrs aus. Vor wenigen Jahrzehnten war dies noch das Auto. Dann wechselte die Regierung, und es wurde massiv in die Infrastruktur für Radfahrer investiert: 35 Euro pro Einwohner (Zum Vergleich: 3 bis 4 Euro pro Einwohner in Deutschland) für breite Radspuren, Straßenbeläge, Haltestangen an Ampeln. Räder sind emissionstechnisch die Zukunft. Die Luft in den Städten ist in Skandinavien besser.

Auch in Barcelona wird den Autos Raum genommen: Ganze Straßenzüge werden dort verkehrsberuhigt. Früher stark befahrene Straßenkreuzungen werden zu Parks und Spielplätzen umgebaut, und der Autoverkehr wird umgeleitet. Radfahren soll so attraktiver als Autofahren werden.

In Sachen Umweltverschmutzung ist Italien ganz vorn dabei. So hat Turin die höchste Autodichte Europas. In Mailand gibt es sonntags Fahrverbote in unterschiedlichen Zeitfenstern - jeweils für Diesel und Benziner. Es gab auch schon sonntägliche Fahrverbote für Privatfahrzeuge im Allgemeinen. Die NGO Legaambiente hat an 35 Tagen Grenzwertüberschreitungen gemessen, glaubt aber, dass dies die Italiener wenig kümmert. Schon gar nicht die Politiker, die ja ohnehin auf Konfrontationskurs mit Brüssel sind und daher alles, was von dort kommt, generell ablehnen - Grenzwerte erst recht. Das haben sie durchaus mit osteuropäischen Politikern gemeinsam.

Alles ist besser als Sofia: In Bulgariens Hauptstadt wird mit Kohle geheizt – wenn man welche hat. Ansonsten werden auch Autoreifen oder Holz verbrannt. Auf den Straßen sieht man alte Autos und Dauerstaus. Dazu kommt eine ungünstige Kessellage und überalterte Industrieanlagen mitten in der Stadt. In der Balkan-Metropole wurden im Dezember letzten Jahres 600 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter gemessen - das 12-fache des Grenzwertes. Trotzdem gibt es keine Pläne für Fahrverbote. Immerhin gab es an kritischen Tagen günstige Tickets für den Nahverkehr.

planet e. hat sich bewusst auf Paris und London konzentriert. Es wäre einfach gewesen, die Missstände in Osteuropa oder Asien bzw. Indien anzuprangern, und damit von unserer Lebensweise abzulenken. Wir geben mit unserem Wirtschaften den Takt vor, dem die anderen lediglich folgen.

von Claus Schenck, Filmautor

Metropolen wie Paris und London leiden seit Jahrzehnten unter schlechter Luftqualität, doch ist im Laufe der Jahre ist vieles besser geworden: Schwefeldioxid und Blei sind in Westeuropa kein Thema mehr, in Osteuropa allerdings schon. Feinstaub, Stickoxide und zum Teil Ozon, manchmal sind Benzene die wesentlichen Schadstoffe im Westen. Die kommen im Osten zu der ohnehin schlechteren Luft noch hinzu. Generell gilt, je weiter nach Osteuropa man kommt – umso schlechter wird die Luft. Ob in Polen oder auf dem Balkan, innerhalb Europas oder weltweit (dann Richtung Asien).

Bleifreies Benzin, der Einbau von Luftfiltern in Kraftwerken und Industrieanlagen, bessere Motoren, ein gestiegenes Umweltbewußtsein. All das führte dazu, dass wir – zumindest in Europa – heute sicher die beste Luft seit Beginn der industriellen Revolution atmen. Was nicht heißt, dass man damit aufhören sollte, die Luft so sauber wie möglich zu bekommen.

Aber ein europäischer Stickstoffgrenzwert von 40 Millionstel Gramm in 1000 Litern Luft bringt uns nicht um. Am Arbeitsplatz gelten höhere Werte von 950 Mikrogramm. Oft sind die Innenraum-Konzentrationen noch höher. Zudem halten wir uns nicht stundenlang an einer vielbefahrenen Straße auf, und das 365 Tage im Jahr– am Arbeitsplatz dagegen oft mehr als acht Stunden pro Tag. Ganz abgesehen davon, dass die Herleitung bzw. das Zustandekommen des NO2 Grenzwertes wissenschaftlich sehr umstritten ist.

In Paris übersteigen an den großen Boulevards und Straßen die NO2 Werte regelmäßig das Doppelte des erlaubten EU-Grenzwertes. In London bezeichnet man noch NO2 Stundenwerte von bis zu 230 als „low“ und färbt diese Werte grün ein. In Deutschland ist die Luftverschmutzung dagegen relativ entspannt. Der höchste Wert, am Stuttgarter Neckartor, lag 2018 bei 71 Mikrogramm. Oft haben Europas Staaten und Städte eigene Indexe entwickelt. Nicht umsonst werden Frankreich, Großbritannien oder Deutschland bzw. Italien regelmäßig von der Europäischen Kommission wegen Verstöße gegen die Luftreinhalte-Richtlinie von 2008 verwarnt. Nur kümmerte das offenbar lange Zeit niemanden.

von Claus Schenck, Filmautor

Laut WHO gilt Luftverschmutzung gilt als das Umweltproblem Nummer eins, das weltweit am meisten Menschen betrifft. Aber die Zahlen sind schwer zu vergleichen und eher statistische Größen. Die Weltgesundheitsorganisation SCHÄTZT, dass 2012 rund 4,3 Millionen Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung gestorben sind. Neuere Zahlen nennen 7 Millionen. So war Stickstoffmonoxid 2013 für den Tod von mehr als 70.000 Menschen in Europa verantwortlich.

Aus einem Bericht der Europäischen Umweltagentur geht hervor, dass zu viele Menschen in Europas Städten zu hohen Feinstaubkonzentrationen ausgesetzt sind (2014 waren es laut WHO rund 85 Prozent). Vor allem Autoabgase, Kraftwerke und Industrieanlagen tragen zu rund einer halben Million vorzeitiger Todesfälle bei.

Für Deutschland nennt das Umweltbundesamt rund 6.000 Tote durch die Folgen der Luftbelastung mit Stickstoffdioxid. – gegenüber etwa 3.000 Verkehrstoten. Die Europäische Umweltagentur (EEA) nennt für Deutschland im Jahr 2014 80.000 vorzeitige Todesfälle (520.000 für Europa) durch verschmutzte Luft im Allgemeinen.

Bei all diesen Zahlen handelt es sich um komplizierte Berechnungen. Statistische Formeln für die, teilweise recht grobe, Annahmen gemacht werden müssen. So tötet Stickstoffdioxid (NO2) nicht direkt 6.000 Menschen in Deutschland. Diese sterben möglicherweise an den Folgen hoher NO2 Konzentrationen, wie Herz-Kreislauf Erkrankungen, Schlaganfällen oder Herzinfarkten. Aber das weiß niemand genau. Denn wie und in welchen Konzentrationen NO2 tötet ist gar nicht bekannt. Diese „statistischen Toten“ sind vielmehr ein Maß für die Volksgesundheit. Ebenso wie verlorene Lebensjahre oder gar Minuten. Das heißt nicht unbedingt, dass jeder von uns eine Stunde eher stirbt. Sondern es sterben mehr Menschen bevor sie die mittlere Lebenserwartung erreicht haben. Und werden wir die genau erreichen? Oder älter werden? Oder eher sterben? Und wenn ja, woran?

Film von Claus Schenk
Kamera: Ralf Klingelhöfer, Philipp Hühnerfeld 
Schnitt: Kai Duhn
Redaktion: Volker Angres
Leitung der Sendung: Volker Angres

Bildquelle: zdf