Die vier Literaturexpert*innen diskutieren über die Bücher von Julia Schoch, Daniel Glattauer, Eugen Ruge und Benjamin von Stuckrad-Barre.
Julia Schoch
"Ich verlasse dich": So endet eine Liebesbeziehung, die vor über 30 Jahren wie im Glückstaumel begann. Eine Frau ist fest entschlossen, ihren Mann zu verlassen und zugleich bestürzt sie der Entschluß ungemein: Wie konnte es nur dazu kommen? Während sie ihr Fortgehen plant, kehren ihre Gedanken zurück zum Anfang der Beziehung. Zur Zuversicht und dem Zauber der frühen Jahre, den Plänen für das gemeinsame Leben, die Kinder - aber auch zu den Momenten, wenige zunächst und unspektakulär, die zu Wendepunkten wurden. Ließen sie das spätere Scheitern bereits ahnen? Julia Schoch legt Seite um Seite die Schichten eines Beziehungslebens frei. Eine Erforschung des Wesens der Liebe und ein Hohelied der Liebe.
Daniel Glattauer
Zunächst muss die strenggläubige somalische Flüchtlingsfamilie von Aayana überzeugt werden, dass sie mit ihrer Schulfreundin Sophie Luise in den exklusiven Familienurlaub in die Toskana mitkommen darf. Nicht ganz uneigennützig ist die Einladung, die 14-jährige Tochter soll sich nicht langweilen mit den Eltern, dem Uni-Professor und der Grünen-Politikerin, sowie ihren arrivierten und angesagten Freunden. Kaum aber haben sich die Erwachsenen mit Prosecco und Antipasti in Ferienlaune gechillt, kommt es zur Katastrophe. Daniel Glattauer packt große Fragen an in seinem neuen Roman: Schuld und Verantwortung, uneingestandene Vorurteile und Doppelmoral. "Die spürst Du nicht" ist ein Sittengemälde unserer Gesellschaft und leiht jenen eine Stimme, die nicht das Privileg der Teilhabe genießen.
Eugen Ruge
Als oberhalb der Stadt Pompeji tote Vögel gefunden werden, hat Jowna eine Eingebung: Wenn da wirklich ein Vulkan grollt, wie von manchen behauptet wird, dann sollte man das Weite suchen. Ohne Schulbildung, Geld und Einfluss gelingt es ihm, sich an die Spitze einer Aussteigerbewegung zu setzen. Bald fürchtet das Stadtoberhaupt, die Vulkangerüchte könnten Pompeji schaden und als einer der wohlhabenden Bürger auf die Gefahr etwas zu geben scheint, schaltet sich die mächtigste und reichste Frau der Stadt ein. Jowna knickt ein und verschließt fortan die Augen vor der dräuenden Katastrophe - gegen besseres Wissen. Eugen Ruges Roman spielt nur scheinbar in der Antike und hält uns ein alarmierendes Spiegelbild vor.
Benjamin von Stuckrad-Barre
In Berlin erzählt eine junge Frau von ihrem neuen Job bei einem großen Fernsehsender, von ihrem tollen Chef, ihrem neuen Leben. Sie wirkt glücklich, beseelt und hoffnungsfroh. Zu Recht? In Los Angeles erschüttert derweil der Weinstein-Skandal Hollywood. Rose McGowan ist eine der ersten Frauen, die sexuelle Gewalt durch den hofierten Filmproduzenten öffentlich gemacht hat. Rose verschwindet, aber sie hinterlässt dem Erzähler im Roman eine Nachricht. Von Hollywood aus verbreitet sich die #MeToo-Bewegung um die ganze Welt. Doch die alten patriarchalen Macht- und Denkstrukturen sind, auch in Europa und auch mitten im scheinbar woken Berlin, widerständiger und zementierter als in der anfänglichen Euphorie des Aufbruchs gedacht. Ein Roman über die Medienbranche und ihre Macher, über Machtmissbrauch und menschliche Abgründe und über den Mut, sich dagegen aufzulehnen.