Psychologin: Depression und Angststörung oft stigmatisiert

    Interview

    Depressionen und Therapien:"Psychische Erkrankung oft stigmatisiert"

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    Depressionen, Angststörungen und deren Therapien bahnen sich ihren Weg aus dem Schatten. Warum das gut ist, erklärt die Psychologin Franca Cerutti.

    Frau mit Anzeichen von Depression
    Angststörungen und Depressionen betreffen viele in der Bevölkerung. Eine psychische Erkrankung werde oft mit Schwäche verwechselt, so Psychologin Cerutti.
    Quelle: dpa

    ZDFheute: In anderen Ländern wird offen über Therapien und mentale Gesundheit gesprochen, nicht in Deutschland. Wie kommt das?
    Franca Cerutti: Ich bemerke schon eine Verbesserung, aber nach wie vor haben wir da einen Weg zu gehen und nach wie vor wird psychische Erkrankung oft stigmatisiert. Insbesondere die häufigsten psychischen Erkrankungen, nämlich Angststörung und Depression, werden, obwohl sie so verbreitet sind, noch immer als etwas wie eine Charakterschwäche gesehen, oder, dass die Leute ihr Leben nicht im Griff haben. Ich glaube, deshalb wird das auch nicht so gerne eingeräumt.

    Franka Cerutti, Psychologin und Autorin.
    Quelle: Amanda Dahms

    Franca Cerutti, Jahrgang 1976, ist diplomierte psychologische Psychotherapeutin, Spiegel-Bestseller-Autorin, Speakerin und erfolgreiche Podcasterin. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Verhaltenstherapie.

    ZDFheute: Betroffene erleben oftmals Sprüche wie "hat grad jeder Zweite", "ist wohl in". Warum sind psychische Probleme so ein Stigma?
    Cerutti: Im Englischen gibt es diesen Begriff von der "German Angst". Wir gelten sogar als das eher weniger risikobereite und eher ängstlichere Völkchen, aber gleichzeitig ist es bei vielen Menschen so, dass sie psychische Erkrankung mit Schwäche verwechseln. Dass sie denken, es ist ein Ausdruck von persönlichem Defizit oder Fehler.
    Gerade zu seinen Schwächen zu stehen oder etwas nicht gut gewuppt zu bekommen - vermeintlich - das steht bei uns nicht besonders hoch im Kurs. So sind wir alle nicht erzogen, dass wir etwas wie - in Anführungszeichen - Fehler, gerne einräumen.
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    ZDFheute: Ist es hilfreich, dass Prominente wie Kurt Krömer, Sido oder Felix Lobrecht öffentlich über ihre Depressionen und Therapien sprechen. Schafft das Akzeptanz?
    Cerutti: Statistisch gesehen muss man davon ausgehen, dass jeder als Betroffener, Partner, Freund oder Arbeitskollege damit in Berührung kommt. Wir können davor nicht die Augen verschließen, es ist eine statistische Tatsache. Seit 2011 haben Krankschreibungen und Ausfall-Tage wegen Ängsten um 77 Prozent zugenommen.
    Corona, die Kriegssituation in Europa und der Klimawandel spielen bestimmt auch mit rein, aber ich glaube, dass die Menschen einfach offener damit umgehen. Und Prominente helfen bei dieser Offenheit, weil sie zeigen: Ich bin ein erfolgreicher Mensch, ich stehe mitten im Leben, ich habe vermeintlich alles, aber mir geht es schlecht. Und ich stehe dazu.
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    ZDFheute: Aber als Gesellschaft haben wir dennoch einen weiten Weg vor uns, bis eine psychische Erkrankungen genauso "normal" ist wie ein gebrochenes Bein.
    Cerutti: Das ist leider traurige Realität für viele Betroffene. Wenn sie ein Bein gebrochen haben, erhalten sie Verständnis und Unterstützung. Wenn sie aber sagen, dass es ihnen psychisch schlecht geht, gibt es immer Leute ohne Verständnis, die sich abwenden.
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    ZDFheute: Wie sollte man als Betroffener seinem Umfeld begegnen?
    Cerutti: Schwierig ist, wenn man versucht, alles zu verstecken und die Fassade zu wahren. Studien zeigen: Wenn Menschen versuchen, ihre Gefühle stark zu unterdrücken, erleiden sie dadurch noch mehr Stress. Wünschenswert wäre mehr Offenheit, mehr Transparenz. Wenn man aber Repressalien, wie keine Verbeamtung oder beim nächsten Karriereschritt übergangen zu werden, befürchten muss, darf man ganz selbstfürgsorglich überlegen, wem gegenüber man sich öffnet und wem nicht.
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    ZDFheute: Vieles hängt also vom sozialen Umfeld ab.
    Cerutti: Genau. Gesamtgesellschaftlich kommt es darauf an, in welcher Bubble man sich bewegt. Gerade bei Social Media ist das Thema allgegenwärtig, sehr offen und wird immer mehr normalisiert. Ich würde mir wünschen, dass strukturelle Stigmatisierungen aufhören und gesamtgesellschaftlich noch offener damit umgegangen wird. Aber ich habe das Gefühl, wir sind auf einem guten Weg.
    Das Interview führte Florence-Anne Kälble.

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