Philosoph Omri Boehm über Wege aus der Gewalt in Nahost
Leipziger Buchpreis:Omri Boehm über Wege aus der Gewalt in Nahost
von Cornelius Janzen
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Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm erhält heute den Leipziger Buchpreis. Er fordert einen radikalen Universalismus, um die Gewalt in Nahost zu überwinden.
Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm erhält 2024 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.19.03.2024 | 6:18 min
Inmitten der Ruinen von Rafah im Gazastreifen suchen derzeit geschätzte 1,5 Millionen Menschen Schutz. Solange sich dort noch Zivilisten befinden, werde es keinen Militäreinsatz geben, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor wenigen Tagen. Das Ziel sei jedoch weiterhin, die verbleibenden Terroristen zu eliminieren. Am Vorgehen Israels in Gaza gibt es international Kritik. Doch diese pralle an Israel meist ab - sagt der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm im Interview und führt das auf eine eigene Form der Identitätspolitik des jüdischen Staates zurück:
"Weil du unser Recht auf Selbstverteidigung kritisierst und beschränken willst, obwohl du nicht über die Erfahrung verfügst, die nur wir als Opfer haben", so Boehm.
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Boehm: Im Nahost-Konflikt wird auch jüdische Identität verteidigt
In New York, weit entfernt von den Frontlinien Israels, lehrt Omri Boehm. Der Philosophieprofessor meint, dass im Nahost-Konflikt nicht nur die Hamas bekämpft, sondern auch die Identität der jüdischen Nation verteidigt wird.
Für den gebürtigen Israeli ein Grund, warum es derzeit keinen Ausweg zu geben scheint. Denn jede Seite argumentiere allein aus ihrer ganz spezifischen Identität und Geschichte. Auch diejenigen, die sich für die Palästinenser einsetzen, folgten einer Logik, die die Perspektive der anderen ausschließe.
So würden beispielsweise rund 80 Prozent seiner Studenten und Studentinnen in seinen Seminaren an der New School for Social Research in New York die Terroristen der Hamas als Befreiungskämpfer verharmlosen. "Auf der anderen Seite haben wir eine sehr ähnliche Logik", so Boehm:
Boehm: Identität darf nicht alleiniger Maßstab sein
Es sei eine Zeit, in der das Mitgefühl für die jeweils andere Seite aus dem Blick geraten ist. Und damit auch ein Universalismus, der nicht nur die eigenen Interessen, sondern auch die Gleichwertigkeit aller Menschen mitdenkt.
Daran will Boehm etwas ändern. Bekannt wurde er mit seinem Buch "Israel - eine Utopie", in dem er zur Lösung des Israel-Palästina-Konflikts einen föderalen, binationalen Staat vorschlägt.
In seinem Buch "Radikaler Universalismus - jenseits von Identität" will er das philosophische Konzept des Universalismus rehabilitieren und in Schutz nehmen vor all jenen, die ihre Identität zum alleinigen Maßstab gemacht haben.
"Durch die Argumentation, dass man manche Dinge nicht verstehen kann, wenn man nicht die richtige Identität hat", erklärt Boehm. Er argumentiert mit dem Philosophen und Aufklärer Immanuel Kant: Der Mensch müsse von einem kosmopolitischen Standpunkt aus urteilen. An der Stelle jedes anderen denken.
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Gleichwertigkeit aller in Fokus stellen
Universalismus - das bedeute für Kant, einer moralischen Verpflichtung zu folgen, die der Mensch anderen Menschen gegenüber habe. "Behandle Menschen so, als sähest Du immer die ganze Menschheit in Dir und Ihnen", so zitiert Boehm Kant.
Universalismus und Humanismus bedingen sich für ihn gegenseitig. In der brutalen Logik des Krieges erscheinen solch tiefschürfende philosophische Gedanken weit entfernt.
Doch eine Zukunft für die Region könne es nur geben, wenn nicht nur die jeweils eigene Identität von Israelis und Palästinensern, sondern auch die Gleichwertigkeit aller im Fokus stehe.
Programm der Literaturbühne auf der Leipziger und Frankfurter Buchmessen: Autoren-Interviews, Reportagen, Diskussionsrunden
Buchpreis für einen Verteidiger des humanistischen Universalismus
"Wir müssen den Universalismus mit aller Macht verteidigen. Das ist die einzige Chance, die wir als Menschheit haben", so Boehm.
Omri Boehm verteidigt den Kern des humanistischen Universalismus: die Verpflichtung zur Anerkennung der Gleichheit aller Menschen gegen jegliche Relativierung. Diese Begründung der Jury, warum er auf der Buchmesse den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung erhält, könnte kaum zutreffender sein.
Cornelius Janzen ist ZDF-Redakteur und Reporter bei 3sat Kulturzeit.