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Faktencheck

Gerüchte um veraltetes Arsenal : Wie einsatzfähig sind Putins Atomwaffen?

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Putin hat keine funktionierenden Atombomben - das behauptet ein Ex-KGB-Spion, der nun von vielen Medien zitiert wird. Von ZDFheute befragte Atomwaffenexperten bezweifeln das.

Atomrakete auf einem Militärfahrzeug bei Parade
Interkontinentalrakete bei Parade auf dem Roten Platz in Moskau (Archivbild): "Wunschvorstellung, dass bei den Atombomben gar nix mehr funktioniert."
Quelle: ap

Ist Russlands Säbelrasseln mit Atomwaffen in Wahrheit nur ein großer Schwindel? Diesen Eindruck konnte man bekommen, wenn man die Schlagzeilen dieser Woche sah: "Putin hat keine Atombomben mehr", titelte die "Bild"-Zeitung, "Ex-KGB-Agent ist sich sicher: Putin 'blufft' im Ukraine-Krieg", schrieb die "Frankfurter Rundschau", ähnlich wie der "Münchner Merkur", der "Kölner Express" und etliche andere Medien.

Was steckt dahinter? Die Spekulationen ausgelöst hatte Juri Schwez, ein ehemaliger Spion des sowjetischen Geheimdienstes KGB. In einem Interview mit dem ukrainischen Fernsehsender "Priamyi" sagte Schwez: "Ich vermute stark, so wie auch andere Fachleute, dass Atomwaffen in der Russischen Föderation nicht mehr existieren." Der Grund: Nukleare Sprengköpfe müssten regelmäßig gewartet werden. "Ich glaube alle zehn Jahre muss das Plutonium ersetzt werden, sonst wird es für seinen Zweck unbrauchbar", so Schwez.

Plutonium werde aber in der Russischen Föderation nicht mehr hergestellt. Daher sei es "durchaus möglich", dass auf jeder Rakete statt eines Atomsprengkopfs eine Attrappe ist. Die Eskalation sei daher weitgehend "Bluff", so Schwez. Putins Drohung mit Atomwaffen sei "Erpressung" - und das sei schon "die Waffe an sich."

Putin habe Werte „eines Landes im Krieg“ beschworen, so Liana Fix, Politologin. Mit Aussetzen des „New Start“-Vertrags, verspricht er sich ein „letztes Druckmittel“ gegen die USA.

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Experten sehen Aussagen von Schwez kritisch

An anderer Stelle behauptet Schwez, Putin habe in Wahrheit "nichts vorzuweisen". Er sei deshalb auch aus dem Atomwaffenabkommen "New Start" ausgetreten: "Der Kreml hat Angst, dass ausländische Inspektoren rostigen Müll statt Atomsprengköpfe finden", zitiert ihn das ukrainische Newsportal "dialog.ua". Man dürfe die Bedeutung der russischen Bedrohung durch Atomwaffen nicht überschätzen und muss verstehen, "dass dies ein Bluff ist".

Doch wie seriös sind diese Aussagen? Der ukrainische Militärexperte Oleg Schdanow hält Schwez grundsätzlich für eine zuverlässige Quelle, wie er in einem Youtube-Video erklärt. Er schränkt ein, dass niemand mit Sicherheit wissen könne, wie funktionsfähig Russlands Atomwaffen tatsächlich seien. Die Lagerbedingungen könnten beispielsweise aufgrund von Korruption "äußerst schlecht" sein. Russland könne auch keine Atomtests durchführen, "weil es ein weltweites Moratorium für Atomexplosionen gibt und derzeit praktisch niemand dagegen verstößt".

ZDFheute hat weitere Atomwaffen-Experten um eine Einschätzung gebeten. Alle befragten Wissenschaftler halten es übereinstimmend für vollkommen unrealistisch, dass Russland überhaupt keine funktionstüchtigen Atomwaffen mehr hat.

Zusammen besitzen Russland und die USA rund 90 Prozent der weltweiten Atomsprengköpfe. Daher gab es verschiedene Abrüstungsabkommen - das letzte aktive stellte Putin jetzt infrage.

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New-Start-Inspektionen seit Corona-Pandemie ausgesetzt

Ulrich Kühn, Leiter des Forschungsbereichs Rüstungskontrolle und Neue Technologien am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik vermutet eine "bewusste Falschinformation":

Fakt ist, dass Russland fast 6.000 Nuklearwaffen besitzt. Selbst wenn die Hälfte dieser Waffen nicht einsatzfähig wäre, hätte Russland noch immer genug Sprengkraft um den gesamten Globus in Schutt und Asche zu legen.
Ulrich Kühn, Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik

Ähnlich sieht das Atomwaffen-Experte Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München: Wären die Atomwaffen in so einem schlechten Zustand wie behauptet, dann wäre das bei den New-Start-Inspektionen schon aufgefallen - "und ziemlich sicher auch durchgesickert". Zuletzt hatten die gegenseitigen Inspektionen vor der Corona-Pandemie stattgefunden.

Experte: Atomwaffen halten Jahrzehnte lang

Generell gibt Sauer zu bedenken: "Angesichts der Größe des russischen Arsenals wäre es eine Wunschvorstellung, dass bei den Atombomben gar nix mehr funktioniert. Ich würde mich nicht drauf verlassen." So viel Korruption und Schluderei könne es gar nicht geben, dass am Ende keine Atombombe mehr funktionieren würde - dafür sei die schiere Anzahl der Waffen einfach zu groß.

Atom-U-Boot

Atom-Hysterie in vielen Medien - Falschmeldung zu Putins "Atomschiffen" 

"Putin bringt Atomschiffe in Stellung" - die Meldung mancher Medien beunruhigte viele. Doch es ist offenbar eine Falschmeldung, die Fehlinterpretation eines Geheimdienstberichts.

von Oliver Klein

Zudem würden Atomwaffen eben nicht nach bereits zehn Jahren ohne Wartung sofort unbrauchbar. Grundsätzlich hätten solche Waffen eine lange Lebensdauer:

Atomwaffen halten Jahrzehnte lang. Es gibt Schätzungen aus den USA, nach denen Atomwaffen 70, 80 Jahre funktionsfähig bleiben.
Frank Sauer, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr, München

Russland verfüge auch noch "über einen ganzen Haufen Plutonium", auch wenn die letzte Plutonium-Fabrik 2010 geschlossen worden sei, erklärt Sauer. Kühn ergänzt, Russland sei auch nicht zwangsläufig nur auf Plutonium zum Bombenbau angewiesen. "Dafür könnte es auch hoch angereichertes Uran verwenden" - und auch darüber verfüge Russland in ausreichenden Mengen.

Russland, Moskau: Russische RS-24 "Jars" Interkontinentalraketen bei einer Militärparade. Archivbild
Interview

Moskau militärisch unter Druck - Wird Putin Russlands Atomwaffen einsetzen? 

US-Präsident Biden warnt Russland vor dem Einsatz von Atomwaffen. Steigt die Gefahr wegen Moskaus Verlusten im Ukraine-Krieg? Atomwaffen-Experte Frank Sauer schätzt die Lage ein.

Russland verfügt über riesige Bestände von Spaltmaterial

Lydia Wachs, Expertin für Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik weist darauf hin, dass auch Einschätzungen des International Panel on Fissile Materials, einer Gruppe unabhängiger Nuklearexperten, die großen Bestände an atomwaffenfähigem Material belegen. Wachs rät, auch Moskaus Wartungsarbeiten an Kernwaffen nicht zu unterschätzen:

Russland befindet sich in den letzten Zügen eines massiven Modernisierungsprogramms seiner Nuklearstreitkräfte. Angesichts der Bedeutung, die das eigene Nuklearpotenzial für Moskau hat sowie der langjährigen technischen Erfahrung halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass hier die Wartung fahrlässig abläuft.
Lydia Wachs, Stiftung Wissenschaft und Politik

"Auch US-Angaben lassen keine grundsätzlichen Zweifel an Russlands Nuklearpotenzial aufkommen", so Wachs. 

Und wie wirken sich die gegen Russland verhängten Sanktionen auf die nukleare Abschreckungsfähigkeit des Landes aus? "Gut möglich, dass die Trägersystemproduktion, also Raketen in puncto Halbleiter betroffen ist oder war", erklärt Sauer. "Aber das Problem dürfte Russland dank China lösen oder bereits gelöst haben."

Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

Ukrainische Soldaten feuern am 20. 03. 2023 inmitten der russischen Invasion in der Ukraine mit einem S60-Flugabwehrgeschütz auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut.
Liveblog

Russland greift die Ukraine an - Aktuelles zum Krieg in der Ukraine 

Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.

Aktuelle Nachrichten zur Ukraine

Ukraine, Donezk: Ein ukrainischer Soldat steht an der Trennlinie zu pro-russischen Rebellen in der Region Donezk. In der Ukraine-Krise haben die USA und Russland bei Gesprächen in Genf zunächst auf ihren bekannten Standpunkten beharrt.
Thema

Nachrichten & Hintergründe - Krieg in der Ukraine 

Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Es gibt zahlreiche Sanktionen des Westens gegen Russland und in der Nato abgestimmte Waffenlieferungen an die Ukraine. Alle Nachrichten und Hintergründe.

Weltkarte mit den Handelsrouten Russlands in den Westen und nach Asien

Nach Ukraine-Invasion - Wie sich der Russland-Handel verändert hat 

Russlands Handel mit Europa ist seit der Ukraine-Invasion eingebrochen. Fehlende Hightech-Waren schaden der russischen Wirtschaft. Können Länder wie China die Verluste ausgleichen?

Die Karte der Ukraine zeigt, welche Gebiete im Osten des Landes von russischen Truppen besetzt sind. Zudem sind die Separatistengebiete und die annektierte Krim hervorgehoben.

Invasion und Gegenoffensive - Der Ukraine-Krieg im Zeitraffer 

Vor einem Jahr hat Russland die Ukraine überfallen. Nach zwischenzeitlichen Erfolgen Kiews herrscht nun ein Stellungkrieg. Eine Chronologie.

Schutzhülle für die Atomruine Tschernobyl am 03.11.2016

Nachrichten | heute - Lage in ukrainischen Atomkraftwerken  

Die Sorge um das von Russen kontrollierte Atomkraftwerk Saporischschja ist groß. Das betrifft auch die Anlage von Tschernobyl, die auch von russischen Soldaten besetzt war.

29.03.2023
von Anne Brühl
Videolänge
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