Generalstreik in Argentinien angekündigt

    Protest gegen Mileis Reformen:Generalstreik in Argentinien

    von Anne-Kirstin Berger, Rio de Janeiro
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    An den Reformen von Argentiniens Präsident Milei wird viel Kritik laut, auch an der Art und Weise, wie er sie umsetzt. Für diesen Mittwoch ist ein Generalstreik angekündigt.

    Menschen demonstrieren in Argentinien gegen die wirtschaftliche Maßnahmen der Regierung.
    Protest in Argentinien: Soziale Organisationen demonstrieren vor der Präsidentenresidenz gegen die Wirtschaftsmaßnahmen der Regierung Milei
    Quelle: AFP

    Penélope Lauman steht vor dem Ladenregal und weiß nicht mehr weiter. Beim letzten Einkauf vor ein paar Wochen hat die Packung Reis noch 1.000 Pesos gekostet. Jetzt soll sie dafür mehr als dreimal so viel zahlen. "Dabei ist Reis ein Grundnahrungsmittel, kein Luxus", ruft sie. Und wird nachdenklich:

    Ich weiß nicht, was ich in Zukunft machen soll, wenn die Löhne nicht steigen und die Preise weiter anziehen.

    Penélope Lauman, Argentinierin

    Argentinien hat die zweithöchste Inflation weltweit

    Millionen Argentinier stellen sich in diesen Tagen die gleichen Fragen. Im Dezember erreichte die Inflation 211,4 Prozent bezogen auf den Vorjahresmonat - damit liegt Argentinien im Inflations-Ranking auf Platz zwei, hinter dem Libanon.
    Demonstranten auf einem Zaun mit einem Schild das "Generalstreik" auf Spanisch bedeutet.
    Die größte Gewerkschaft Argentiniens hat aus Protest gegen die geplanten Wirtschafsreformen des neuen Präsidenten Milei zu einem Generalstreik aufgerufen.29.12.2023 | 0:19 min
    44,7 Prozent der Argentinier leben in Armut, jeder fünfte Haushalt leidet unter Ernährungsunsicherheit, zeigen Daten der Katholischen Universität Argentiniens (UCA). Das Nachrichtenportal Infobae schreibt:

    Verursacht wurde das nicht durch Kriege, Dürren oder die Pandemie, sondern durch schlechte Entscheidungen der verschiedenen Regierungen Argentiniens in den letzten Jahrzehnten.

    Argentinisches Nachrichtenportal Infobae

    Der frisch vereidigte Präsident Javier Milei will deshalb alles anders machen. Er setzt auf eine Doppelstrategie, um Argentiniens Wirtschaft zu stabilisieren: Staatsausgaben senken und die Landeswährung Peso abwerten.

    Milei hat weitreichende Reformpläne

    Im Rahmen eines "Notfallplans" plant die Regierung, ein Drittel der Posten in den Ministerien zu streichen. Sie hat öffentliche Investitionen in neue Infrastrukturprojekte gestoppt, Subventionen für Strompreise und öffentlichen Transport gekürzt. Außerdem hat sie einen neuen Wechselkurs festgelegt: Der Peso ist gegenüber dem Dollar nur noch die Hälfte wert. Die Maßnahme soll Exporte günstiger und argentinische Unternehmen international wettbewerbsfähiger machen und damit neue Dollar-Devisen ins Land spülen.
    Aber auch Gehälter und Erspartes, das Argentinier wegen der hohen Inflation in Dollar anlegen, sind damit von einem Tag auf den anderen nur noch die Hälfte wert. Gleichzeitig steigt die Inflation. Selbst eine Anhebung der Sozialleistung für arme Familien verhindert nicht, dass es für viele Argentinier der Unter- und Mittelschicht nun an die Existenz geht.
    Obdachloser auf aregentinischer Straße
    Argentiniens Bevölkerung leidet unter der hohen Inflation.18.10.2023 | 6:34 min
    Penélope Lauman hat nun jeden Tag, wenn sie ins Büro kommt, Angst, dass dort eine Kündigung auf sie wartet. Sie arbeitet im öffentlichen Dienst, in einer Anti-Diskriminierungsstelle. Für den Januar hat man ihr das Gehalt garantiert. Aber was im Februar wird, weiß sie noch nicht. Diese Wochen erst wurden mehrere Kollegen entlassen. "Es gibt kein Licht am Ende des Tunnels. Nur Ängste und Unsicherheit. Es ist schwer, so zu leben", sagt die Argentinierin.

    Die drastischen Sparmaßnahmen sind umstritten

    Dass harte Maßnahmen nötig sind, um Argentiniens Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen, ist unter Ökonomen unumstritten. Die Regierung spricht von einer Rückkehr zu "ehrlichen" - also unsubventionierten - Preisen.
    Aber obwohl Milei im Wahlkampf versprochen habe, sich Privilegien der "Kaste", wie er Berufspolitiker nennt, vorzuknöpfen, gehen viele Anpassungen nun auf Kosten der Schwächsten, sagt Finanzmarktanalyst Carlos Gustavo Maslatón: "Einige Menschen können nicht mehr zur Arbeit gehen, weil die Kosten für den Transport dorthin höher sind als das, was sie verdienen."

    Es handelt sich um eine außergewöhnliche Situation: große und kleine Unternehmen, Arbeitnehmer und Selbstständige, alle sind (durch Mileis Reformen) mit Veränderungen konfrontiert, die zu einem wirtschaftlichen Ungleichgewicht führen, wie sie es noch nie erlebt haben.

    Carlos Gustavo Maslatón, Finanzmarktanalyst

    Viele Beobachter kritisieren zudem die Art und Weise, wie Milei seine Reformen durchzusetzen versucht. In einem "Mega-Dekret" und einem Gesetzespaket fasste er hunderte Gesetzesänderungen zusammen, von einer Rentenreform über Lockerungen beim Arbeitsrecht, Privatisierungen, Verschärfungen des Strafrechts bis hin zu einer Wahlrechtsreform.

    Milei will das Parlament schwächen

    Dem Parlament auf einen Schlag einen solchen Berg an Reformen vorzulegen, sei Strategie, denn Milei habe keine Mehrheit im Senat und Abgeordnetenhaus, so Politikwissenschaftler Gustavo Marangoni:

    Der Präsident weiß, dass er nichts erreichen wird, wenn er von Anfang an verhandelt. Deshalb testet er die Grenzen seiner Macht, wobei er bei einem Teil seiner Vorschläge die Verfassung hinter sich hat, bei anderen nicht.

    Gustavo Marangoni, Politikwissenschaftler

    Denn Mileis Gesetzesvorschlag sieht auch vor, dem Präsidenten für die nächsten zwei Jahre umfassende Notstandskompetenzen zu übertragen und damit das Parlament zu schwächen. Außerdem will Milei das Demonstrationsrecht einschränken und Versammlungen von mehr als dreißig Menschen ohne vorherige Anmeldung beim Sicherheitsministerium verbieten.
    All das drängt nun viele Argentinier auf die Straße. Am Mittwoch haben Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen. Auch Penélope Lauman wird streiken: "Wir sind alle betroffen, als ganze Gesellschaft. Deshalb ist es wichtig, zu protestieren."

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