Brexit: So belastet der EU-Austritt die britische Wirtschaft

    Mehr Bürokratie beim Zoll:Wie der Brexit britische Händler belastet

    von Hilke Petersen, London
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    Ende Januar jährt der Brexit sich zum vierten Mal. Zum Jahrestag gelten gleich neue Zoll-Vorschriften. Das lässt inzwischen manche Unternehmer verzweifeln.

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    Ende Januar 2020 hat Großbritannien endgültig die EU verlassen. Heute bereuen die Briten das mehrheitlich. Allen voran die Wirtschaft. Denn statt wie versprochen weniger Bürokratie gibt es jetzt viel mehr. 31.01.2024 | 2:30 min
    Vier Jahre ist es her, dass die Briten aus der Europäischen Union ausgetreten sind. Die Umsetzung des Brexits kommt bisher in Schüben, bedeutet immer neue Unsicherheiten für den Handel.
    Dieser bleibt noch immer hinter dem zurück, was mit dem EU-Austritt versprochen worden war. Stattdessen floriert EU-interner Export, britische Waren in Richtung Europa sind auf absteigendem Ast. Gleichzeitig wächst der Aufwand für die Händler.

    Steigende Kosten für die britische Wirtschaft

    Wenn es Tag wird auf dem New Covent Garden Market in London, dann haben die Großhändler für Gemüse und Pflanzen bald Feierabend. Aber nicht nur die Nachtschichten erschöpfen viele von ihnen, sondern auch vier Jahre Brexit und seine Zoll-Formulare. Ab dem 31. Januar gelten für etwa Pflanzen oder tierische Produkte neue Regeln beim Zoll, die mehr Bürokratie mit sich bringen. Ab April wird es zusätzlich physische Checks geben durch Veterinärärzte und Lebensmittelkontrolleure.

    Großbritannien ist zum 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union ausgetreten - damit hat Großbritannien auch den EU-Binnenmarkt sowie die EU-Zollunion verlassen.

    Ab 31. Januar 2024 gelten neue Einfuhrbestimmungen für Lebensmittel aus der EU, vor allem für tierische oder pflanzliche Produkte - aufgeteilt in Risikoklassen. Je nachdem, wie hoch das Risiko für etwa Krankheiten oder Bakterien ist, wird kontrolliert. Die britische Regierung hatte das Vorhaben zuvor mehrfach verschoben. Jetzt wird es in drei Phasen eingeführt.

    In der ersten Phase müssen EU-Exporteure Gesundheitsnachweise für die Einfuhr von bestimmten tierischen und pflanzlichen Produkten vorlegen.

    In der zweiten Phase ab Ende April 2024 wird es zusätzlich physische Kontrollen an den Grenzen geben.

    In der dritten Phase ab Ende Oktober werden dann summarische Eingangsmeldungen gefordert - also ein Überblick über eingeführte Waren.

    Das Ziel des neuen Vorgehens: Eingeschleppte Probleme wie die Schweinepest oder Salmonellen-Befall verhindern.

    Das neue Zoll-Regime dürfte das Land und die Unternehmen umgerechnet etwa 385 Millionen Euro kosten, so die britische Regierung. Steigende Kosten, die die Händler an die Verbraucher weitergeben werden.
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    Brexit erhöht Bürokratie

    Die Hälfte all dessen, was die Briten essen, wird importiert - zwei Drittel davon aus der EU, zeigen Angaben der Food Standards Agency. Der Brexit fordert auch die Geduld derer heraus, die auf die britische Insel liefern. So rechnet ein Blumenhändler aus den Niederlanden mit 59 Bürokratie-Hindernissen für die holländische Petunie in den britischen Handel. Ob die Pflanze eine entsprechend lange Tour überlebt, ist fraglich.

    Verzögerte Warenlieferungen

    Auf dem Londoner Großmarkt fürchten sie das am meisten: Verzögerungen, wenn LKW mit Produkten unterschiedlicher Risikoklassen beladen sind - also unterschiedliche Kontroll-Erfordernisse haben.
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    Nathan Humphries von "French Gardens" importiert Gemüse aus Frankreich, verkauft es weiter an seine britischen Kunden. Spontan zehn Gemüse-Kisten in Paris bestellen und am nächsten Morgen abholen, das gehe nicht mehr. "Jetzt müssen wir der Zollbehörde erst erklären, was auf den LKW kommt. Der ganze Prozess verlangsamt sich", meint Humphries.

    Personalaufwand für Händler groß

    Manche europäische Unternehmen hätten begonnen, die britischen Großhändler zu umgehen, sagt Freddie Heathcote vom Großhandel Green&Bloom.

    Niederländische Firmen haben eine Niederlassung in der EU und eine in Großbritannien. Sie exportieren sich die Waren selbst, sie umgehen uns.

    Freddie Heathcote

    Einen Vorteil habe der Brexit für Heathcote nicht.

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    Frustriert sind sie auch beim Lebensmittel-Handelsverband Provision Trade Federation. Der Brexit erfordere akribisches Arbeiten, sagt Generaldirektor Rod Addy: "Es braucht riesige Personalmengen - nicht nur in der Regierung, auch in der Industrie. Weil es alles so komplexes Zeug ist."

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    Bis Ende 2023 sollten alle Gesetze erneuert oder entsorgt sein, die unter Einfluss von EU-Regeln zustande kamen. Eine Mammutaufgabe für die Verwaltungen, Premierminister Rishi Sunak war gezwungen, die selbstgesetzte Deadline 2023 fallen zu lassen. Noch sind 67 Prozent dieser Gesetze unverändert, so eine Beurteilung der Open University.
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