FAQ
Fünf Jahre EU-Austritt :Wie der Brexit Großbritannien bis heute bremst
von Wolf-Christian Ulrich, London
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Es war ein steiniger Weg, bis das Vereinigte Königreich die EU schließlich verließ. Doch wo steht Großbritannien fünf Jahre nach dem Brexit wirklich? Fünf Fragen, fünf Antworten.
Fünf Jahre nach dem Brexit zeigen sich die wirtschaftlichen Folgen: Hürden beim Im- und Export drücken auf die Kosten, aufs Wachstum und auf die Produktivität.
Der "reset", den Premierminister Keir Starmer angekündigt hat, stößt in der emotional noch immer aufgeladenen Debatte an klare Grenzen.
1. Wie hat sich das Leben für die Briten verändert?
Der Brexit ist für die meisten Briten kein Thema mehr. Geschehen - weitermachen. Beim Flug ins sonnige Spanien steht man nun bei einer Grenzkontrolle an. Bald ist eine elektronische Einreisegenehmigung nötig. Noch ein Umstand mehr, an den man denken muss.
"Die größten Verlierer des Brexit sind die jungen Leute", sagt Deutschlands Botschafter in London, Miguel Berger. Das Vereinigte Königreich nimmt nicht mehr am Erasmus-Programm teil. Der Studenten-Austausch ist um 60 Prozent, der Schüleraustausch wohl gar um 75 Prozent eingebrochen.
Die Familien spüren, dass die Lebensmittelpreise um 25 Prozent gestiegen sind. Rechnet man Brexit-Effekte raus, wären es "nur" 17 Prozent.
2. Würden die Briten immer noch Brexit wählen?
Zuviel Nähe zur EU oder gar Freizügigkeit scheinen im Vereinigten Königreich noch immer nicht vermittelbar. Auch wenn - wenn man den Umfragen glauben möchte - langsam immer mehr Briten meinen, der Brexit sei ein Fehler gewesen. Nur noch 30 Prozent meinen heute, der Brexit sei richtig gewesen - 55 Prozent sagen, es war falsch zu gehen.
Auch wenn Industrie und Handel unter höheren Kosten, fehlenden Fachkräften und mehr Bürokratie ächzen - die Brexit Entscheidung war emotional, nicht rational. Und sie steht für die meisten Briten auch nicht mehr zur Debatte.
3. Wie steht es um die Einwanderung?
Ausgerechnet bei der britischen Dependance des DAX-Konzerns Siemens Healthineers beschwor die britische Schatzkanzlerin gerade das Mantra der neuen Labour-Regierung: "Wachstum, Wachstum, Wachstum". Das Wort Investition kam 47 mal vor. Das Wort Immigration nur einmal: Man wolle die Immigration begrenzen.
Das jedoch wird schwierig, meinen Experten, so Professor Jonathan Portes vom Kings College London. Einerseits wolle die Regierung Wachstum, andererseits habe sie auch erklärt, "dass sie die Nettomigration senken will und dass sie bestimmte rote Linien im Hinblick auf die Beziehungen zur EU hat. Beides kann nicht wahr sein".
Vor dem Brexit lag die Netto-Immigration bei rund 250.000 Menschen pro Jahr, rechnen Experten vom Think Tank "UK in a changing Europe" vor. Fünf Jahre nach dem Brexit sind es rund dreimal so viel. Es kommen weniger Arbeitskräfte aus der EU, mehr aus aller Welt.
Sir John Curtice von der Universität Strathclyde sagt es so: "Wenn Sie Wert darauf legen, in einer multikulturellen, multiethnischen Gesellschaft zu leben, war der Brexit ein riesiger Vorteil, denn es ist jetzt ethnisch und kulturell viel vielfältiger." Das sei jedoch vermutlich nicht das, was sich viele Brexit-Wähler damals gewünscht hätten.
4. Wem hat der Brexit wie sehr geschadet?
Der Brexit hat dem Güterhandel geschadet - doch große Firmen sind mit den Folgen besser zurechtgekommen als zunächst angenommen. Zu diesem Ergebnis kommen Wirtschaftswissenschaftler der London School of Economics.
"Große Firmen können sich Zoll-Spezialisten leisten und haben Lager- und Logistikzentren in der EU eröffnet, was ihnen erlaubt, ihr Handelsvolumen zu erhalten", so Thomas Sampson von der LSE.
EU-Warenhandel mit dem Vereinigten Königreich
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Kleine und mittelständische Unternehmen dagegen leiden mehr. Tausende haben den Export in die EU ganz eingestellt.
"Manche verkaufen gar nicht mehr in die EU, andere weniger", stellte das Team um Thomas Sampson fest. "Kleinere Unternehmen waren bisher auch nicht in der Lage, dieses Minus in anderen Märkten auszugleichen."
Londons Finanzindustrie hingegen, wichtiger Wirtschaftsfaktor, hat den Brexit (auch entgegen der Hoffnungen damals in Frankfurt und Paris) gut überstanden.
5. Allein auf dem Weltmarkt genauso stark wie zuvor?
Wichtig dagegen: Die neue Mitgliedschaft im Transpazifischen Handelspakt, zu dem Japan, Australien und Kanada gehören. Damit will das Vereinigte Königreich seine globalen Handelsbeziehungen ausbauen.
Hat das Land mit der EU auch einen Schutzschirm in großen Handelskonflikten aufgegeben - fragt sich mancher nun angesichts der Trump-Präsidentschaft in den USA.
"Donald Trump sorgt für viel Unsicherheit über die Zukunft des Handels", gibt Thomas Sampson von der LSE zu bedenken. "Wenn er Zölle erheben sollte, wäre das ein weiterer Schock für die britische Wirtschaft."
Wolf-Christian Ulrich ist Korrespondent im ZDF-Studio London.
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