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Unabhängigkeitstag:Georgien zwischen Stolz und Eskalation
von Sebastian Ehm
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Georgien streitet weiter, wohin es seinen Blick wenden soll: West oder Ost? Die Präsidentin und der Regierungschef gehen sich bei ihren Reden zum Unabhängigkeitstag scharf an.
Der 106. Jahrestag der Errichtung der Demokratischen Republik Georgien beginnt mit Regen. Eigentlich ist Regen in Georgien oft ein Zeichen dafür, dass auf den Straßen nicht mit dem ganz großen Menschenauflauf zu rechnen ist. Trotzdem sind die Straßen in der Hauptstadt Tiflis am Mittag einigermaßen gut gefüllt. Kein Wunder, sie sind stolz auf den 26. Mai. Sie kommen, um die Parade zu sehen. Soldat um Soldat schiebt sich in Reih und Glied über den Platz der Freiheit.
Angst vor den Truppen Moskaus
1918 errichteten die Georgier nach dem Zusammenbruch des russischen Zarenreichs ihre erste demokratische Republik. Bereits damals schwelte es im Land. Es war innenpolitisch so unruhig, dass die Sowjetunion drei Jahre später keine großen Probleme hatte, den jungen georgischen Staat zu zerschlagen und sich einzuverleiben. 70 Jahre gehörte Georgien dann zur Sowjetunion.
Man muss das wissen, wenn man darüber spricht, was in Georgien heute los ist. Denn viele Georgier haben Angst, dass ihr Staat abermals geschluckt wird vom großen Nachbarn Russland. 20 Prozent des Staatsgebietes kontrolliert der Kreml schon, in Abchasien und Südossetien stehen russische Panzer. Es ist nicht lange her, da waren die russischen Kampftruppen 2008 kurz davor Tiflis einzunehmen. Sie standen schon in Artillerie-Reichweite.
Sie nennen es "russisches Gesetz"
Seit Wochen demonstrieren Zehntausende gegen ein Gesetz, das sie "russisches Gesetz" nennen. Die Regierung sagt, sie wolle Transparenz schaffen und NGOs dazu verpflichten offenzulegen, woher deren Finanzierung kommt. Sollte diese zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland stammen, müsste sich die jeweilige Organisation registrieren und würde fortan geführt als "Organisation, die unter dem Einfluss fremder Mächte steht."
Ein Stigma. In Russland wurde zudem ein fast gleichlautendes Gesetz genutzt, um die freie Presse massiv zu unterdrücken. Hinzu kommt, dass der Ehrenvorsitzende der Regierungspartei "Georgischer Traum" Bidsina Iwanischwili gute Kontakte nach Russland pflegt.
Der Milliardär machte dort vor Jahrzehnten sein Vermögen. Er hat bereits angekündigt, dass er Georgien gerne wieder Russland annähern würde.
Dagegen wehren sich viele, unter ihnen die Präsidentin Salome Surabischwili, die vor einigen Tagen ihr Veto gegen das Gesetz eingelegt hat. Heute bei den offiziellen Feierlichkeiten wurde sie abermals deutlich:
Während das Gespenst Russlands über uns schwebt, sind eine Annäherung an Europa und Amerika der wahre Weg zur Wahrung und Stärkung unserer Unabhängigkeit und unseres Friedens. Wer diesen Weg sabotiert und untergräbt, beschädigt die friedliche Zukunft unseres Landes (...)
Salome Surabischwili, Präsidentin von Georgien
Zudem behindere er damit den Weg zu einem "vollwertigen Mitglied der freien und demokratischen Welt", ergänzte sie.
Premier nennt Präsidentin "Verräterin"
Sie richtete ihre Worte direkt an den Premier Irakli Kobachidse, der ihrer Rede auf der Tribüne lauschte und danach selbst ans Rednerpult trat und diese Vorwürfe von sich wies. Es sei nur durch das umsichtige Handeln der Bürger und der Regierung möglich gewesen, den Frieden zu erhalten: "Trotz existenzieller Bedrohungen und mehrfachem Verrat, einschließlich des Verrats durch die Präsidentin Georgiens."
Man muss sich das einmal vorstellen. Der Regierungschef eines Landes nennt dessen Staatsoberhaupt eine Verräterin. Ein drastischer Vorgang. Doch er zeigt, wie nervös Surabischwili die Regierung macht. Im Oktober wird dort gewählt.
Präsidentin könnte zerstrittene Opposition einen
Marcel Röthig, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus der Friedrich-Ebert-Stiftung, hält es für möglich, dass sie aus ihrem Amt heraus ein pro-europäisches Bündnis anführt und die zerstrittene Opposition eint. "Dies, ihre internationale Reputation und ihr gewachsenes Ansehen in der Bevölkerung macht sie für den "Georgischen Traum" gefährlich, auch wenn sie bislang ausschließt, zu kandidieren."
Sie wolle jetzt erstmal verhindern, dass die Proteste gegen das Gesetz eskalieren, so Röthig weiter. Ihr Ziel sei es, die Stimmung im Land zu kanalisieren in Richtung der Wahlen im Oktober. Politischer Wandel durch Evolution nicht durch Revolution.
Das will auch der Georgische Traum, nur in die andere Richtung. Schon am Dienstag, den 28. Mai könnte die Regierungsmehrheit das Veto der Präsidentin überstimmen. Die große Frage ist, ob es dann auf den Straßen ruhig bleiben wird . Viele Beobachter bezweifeln das.
Sebastian Ehm berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien
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