Italien: Gewalt gegen Personal in Krankenhäusern häuft sich

    Gewalt in Notaufnahmen:Italien: Krankenhauspersonal in Gefahr

    von A. Hilsenbeck und J. Grethel, Rom
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    Italiens Notaufnahmen verzeichnen seit Ende letzten Jahres eine Zunahme gewalttätiger Übergriffe. Wie die Situation zuletzt vielerorts eskalierte.

    Italien: Eskalation in Krankenhäusern
    Wegen steigender Infektionszahlen ist die Lage in italienischen Krankenhäusern noch angespannter als sonst, gewalttätige Übergriffe auf das Personal sind keine Seltenheit. 17.01.2024 | 2:02 min
    Vier Mal am Tag: So oft kommt es in Italien zu gewalttätigen Übergriffen auf Krankenhaus-, Notdienst- oder Pflegepersonal. Die Aufsichtsbehörde für Arbeitsschutz Inail registriert pro Jahr mindestens 1.600 Fälle auf Beschäftige im Gesundheitswesen, Freiberufler nicht eingeschlossen. Und die Gewalt nimmt zu.
    Allein seit dem Jahreswechsel wurden mehrere Fälle im ganzen Land bekannt: Eine verprügelte Krankenwagen-Mannschaft in Rom, eine gewürgte Ärztin in Kalabrien - in Piombo und Foligno verletzten Patienten und Angehörige Krankenhauspersonal.

    Gewalt in Notaufnahmen gehören zur Tagesordnung

    Auch Anna Procida wurde im Dienst angegriffen: Kurz nach Neujahr hatte die 30-jährige Krankenpflegerin Dienst in der Notaufnahme des Krankenhauses San Leonardo - plötzlich packte sie der Angehörige eines Patienten, warf sie zu Boden und schlug ihr heftig ins Gesicht. Sie hatte ihn zuvor gebeten, im Warteraum Platz zu nehmen. Die Folge seiner Attacke: ein gebrochener Zahn, Verletzungen an Nase und Lippe sowie ein schwerer Schock.
    Besonders problematisch: Viele solcher Vorfälle würden inzwischen nicht mehr an die Direktion oder gar der Justiz gemeldet, erklärt Fabio De Iaco. Er ist Vorsitzender der Gesellschaft der Notfallaufnahmen: "Das Grundproblem liegt in der Anspannung in der Notaufnahme, die immer weiter zunimmt." Ständige Spannungen, verbale Aggressionen und Gewalt seien an der Tagesordnung, so De Iaco.

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    Die Situation spitzt sich derzeit besonders zu. Denn das Land befindet sich in einer der schlimmsten Grippesaisons der letzten 15 Jahre, so Matteo Bassetti, Leiter einer Klinik für Infektionskrankheiten in Genua. Entsprechend steigen auch die Einweisungen in die Notaufnahmen des Landes - in der vergangenen Woche um bis zu 30 Prozent. Das verstärkt eine ohnehin schon angespannte Situation. Personal und Kapazitäten fehlen, die Kliniken sind massiv überbelastet. Die Notaufnahmen seien personell ohnehin nicht ausreichend ausgestattet, sagt De Iaco.

    Zu volle Notaufnahmen durch Ärztemangel

    Zudem sei das System der Hausärzte nicht in der Lage, die vielen Patienten ambulant zu versorgen - und so als Filter für die Notaufnahmen zu fungieren. "Es fehlen dann Praxen in der Nähe, und die Notaufnahme in Italien ist bis heute die einzige Struktur des nationalen Dienstes geblieben, die den Patienten unterschiedslos, ohne Reservierung oder Termin, eine Behandlung garantiert," so De Iaco.
    Müssen Patienten stundenlang auf eine Behandlung in der Notaufnahme warten, lassen sie ihre Frustration oft am Personal aus. Eine dramatische Situation für das medizinische Personal: Zu den extremen Arbeitsbedingungen und der niedrigen Bezahlung kommt die Gefahr, attackiert zu werden.
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    Der Präsident der örtlichen Gesundheitsbehörde Neapel, Giuseppe Russo, hat als erste kurzfristige Lösung bereits eine "Militarisierung der Krankenhäuser" gefordert, als Reaktion auf den Angriff auf Anna Procida. "Wir sind der Gewalt überdrüssig und fordern die sofortige Aktivierung der Polizeikräfte im Krankenhaus", so Russo.
    Einen anderen Weg geht eine Gruppe von Ärzten in Monza bei Mailand: Seit Ende vergangenen Jahres haben hier knapp 150 Mediziner an Selbstverteidigungskursen der Polizei teilgenommen. "Wir müssen in der Lage sein, uns zu wehren und Gewalt zu verhindern", so Carlo Maria Teruzzi, Präsident einer Ärztevereinigung in Monza. Er hat die Kurse ins Leben gerufen.
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    Nachhaltige Veränderung durch Systemwandel

    Das grundsätzliche Problem in Italiens Notaufnahmen löse das nicht, erklärt De Iaco. Er fordert mehr Personal und Reformen: "Wir müssen die Bedingungen, unter denen wir arbeiten und die Bürger erleben, verbessern." Erreicht werde das durch strukturelle Veränderungen - nicht nur in der Notaufnahme, sondern im gesamten System.

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