UN-Nachhaltigkeitsgipfel: "Bei Zielen kaum Fortschritte"

    Interview

    UN-Gipfel zu Nachhaltigkeit:"Bei vielen Zielen kaum Fortschritte"

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    In New York beginnt der UN-Nachhaltigkeitsgipfel zu den Zielen, die bis 2030 erreicht werden sollen. Naturschutzforscher Josef Settele zieht im ZDF eine kritische Bilanz.

    Ein Aymara-Mann geht in Huarina, Bolivien, auf dem trockenen, rissigen Grund des Titicacasees, aufgenommen am
    Die Welt leidet unter dem Klimawandel. In New York kommen nun Staats- und Regierungschefs aus aller Welt zu einem Gipfeltreffen zusammen. (Archivbild)
    Quelle: dpa

    Vom 18. bis 20. September findet in New York der Nachhaltigkeitsgipfel der UNO statt. Es geht um die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, kurz SDG), die bis 2030 erreicht werden sollen. Im Gespräch mit ZDFheute äußert sich Naturschutzforscher Josef Settele kritisch zur Lage.
    ZDFheute: 2015 wurden 17 nachhaltige Entwicklungsziele formuliert. Sind die Vereinten Nationen auf einem guten Weg?
    Josef Settele: Sie sind im Großen und Ganzen auf einem guten Weg, was die generelle Richtung betrifft. Es gibt aber deutlichen Verbesserungsbedarf bezüglich der Geschwindigkeit. Auch sind bei vielen Zielen weltweit kaum Fortschritte zu verzeichnen - wie zum Beispiel bei der Bekämpfung der Ungleichheiten (Ziel 10) oder beim Leben unter Wasser (Ziel 14).
    ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen in New York
    Von den 140 Zielen, die 2015 im Nachhaltigkeitsgipfel festgelegt wurden, sind "nur 15 Prozent dieser Maßnahmen auf einem guten Weg", so ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen.18.09.2023 | 3:18 min
    Bei den Zielen müsse nachjustiert werden, meint ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen:
    ZDFheute: Sind 17 Ziele vielleicht auch einfach zu viel oder eher noch zu wenig? Welchen Zielen sollte man aus Ihrer Sicht Priorität schenken?
    Settele: Die Komplexität des Lebens und unsere Gesellschaft sind mit 17 Zielen eigentlich nicht adäquat abzubilden. Beispielsweise gibt es kein explizites Ziel zum Thema Boden. Aber nicht zuletzt deshalb gibt es ja auch 169 Unterziele. Prioritär sind irgendwie alle diese Ziele, weshalb sie ja auch gleichberechtigt nebeneinander stehen.
    Für relativ wichtig halte ich persönlich die Ziele 1 (keine Armut), 2 (kein Hunger), 13-16 (Klimaschutz, Biodiversität und Frieden) und 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele). Kritisch hingegen sehe ich Ziele wie Nummer 8 (Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum), insbesondere bezüglich des Wirtschaftswachstums, das mitunter eines der Kernprobleme bei der nachhaltigen Gestaltung der Zukunft darstellt.

    Porträt von Josef Settele.
    Quelle: André Künzelmann

    ... ist Agrarökologe und Naturschutzforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und außerplanmäßiger Professor an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg.
    Seit 2020 ist er Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen und berät in dieser Funktion die Bundesregierung. Er ist Co-Vorsitzender des Globalen Berichtes des Weltbiodiversitätsrates IPBES.

    ZDFheute: Für Deutschland sind unter anderem Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeskanzler Olaf Scholz vor Ort. Wird Deutschland sich eher auf Lob oder einen Tadel von den Vereinten Nationen einstellen müssen? Mit anderen Worten: Macht Deutschland genug, um die Ziele zu erreichen?
    Settele: Deutschland steht im internationalen Vergleich relativ gut da. Dies ist aber meiner Einschätzung nach eher der Tatsache geschuldet, dass die internationale Staatengemeinschaft insgesamt hier sehr träge unterwegs ist.

    Deutschland macht nicht genug, wenngleich Svenja Schulze und Steffi Lemke hier sicherlich nicht die Bremser auf der deutschen Seite darstellen.

    Josef Settele, Naturschutzforscher

    Nach internationalen Analysen ist in Deutschland die Entwicklung in letzter Zeit negativ im Bereich der Bekämpfung der Armut (Ziel 1) oder der Reduktion von Ungleichheiten (Ziel 10). Stagnation ist beispielsweise bei den Zielen 2 (kein Hunger) und 4 (hochwertige Bildung) festzustellen.
    Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe vor einem Schild mit Logo und Aufschrift "Welthungerhilfe".
    Grund dafür seien die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Corona-Pandemie.15.06.2023 | 0:24 min
    Die Welthungerhilfe sieht die UN-Entwicklungsziele für 2030 in Gefahr:
    ZDFheute: Auch die UNO selbst sieht die Ziele in Gefahr und hat deshalb die Staats- und Regierungschefs aufgefordert, beim diesjährigen Gipfel möglichst konkrete Beiträge zu einem "Rettungsplan für die Menschheit und den Planeten" zu leisten. Das hört sich sehr dramatisch an. Ist dies übertrieben oder steht der Planet wirklich vor einem Kollaps?
    Settele: Die Frage ist weniger, ob der Planet vor dem Kollaps steht, sondern viel eher, unter welchen Bedingungen wir Menschen auf diesem Planeten weiterleben wollen.

    Wir stellen fest, dass wir uns in einer Triplekrise aus Klimwandel, Verlust der Biodiversität und Verschmutzung der Umwelt befinden.

    Josef Settele, Agrarökologe

    Diese Krisen in den Griff zu bekommen, wäre für das zukünftige menschliche Wohlbefinden essenziell - wie wir leider im Kontext des Klimawandels auch zunehmend direkt erfahren müssen.
    Indiens Premierminister Narendra Modi (Mitte) nimmt zusammen mit Staats- und Regierungschefs der Welt an der Abschlusssitzung des G20-Gipfels der Staats- und Regierungschefs am 10. September 2023 in Neu-Delhi teil
    Die G20-Ergebnisse im Kampf gegen Klimawandel und Hunger blieben dürftig.10.09.2023 | 1:40 min
    Auch beim Treffen der G20 waren Klimawandel und Hunger ein Thema:
    ZDFheute: Die Bundesregierung wird in New York ihre sogenannten Schlüsselbeiträge präsentieren. Wie bewerten Sie die und hätten Sie vielleicht eigene Ergänzungen?
    Settele: Diese Beiträge sind im Prinzip gut ausgewählt. Besonders wichtig ist aus meiner Sicht: "Klimaschutz und Erhalt der biologischen Vielfalt vorantreiben", "Ernährungssicherheit stärken", "Negative Auswirkung auf Drittländer reduzieren", sowie "Feministische Entwicklungs- und Außenpolitik voranbringen".
    Letztgenanntes ist wichtig für die Geschlechtergerechtigkeit und eine damit verbundene zentralere Rolle für Frauen, die meiner Einschätzung nach weniger kompetitiv agieren und sich stärker für Nachhaltigkeit einsetzen.
    Mir erschient es auch noch wichtig, sich bei den Werten, die uns leiten, für eine stärkere Abkehr vom Bruttoinlandsprodukt BIP) als geeignetem Indikator für menschliches Wohlbefinden einzusetzen.
    Das Interview führte Andreas Ewels.

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