Bidens Inflation Reduction Act: Lehre für die EU?

    Interview

    Amerikanischer Investitionstraum:Inflation Reduction Act: Lehre für die EU?

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    Der Inflation Reduction Act wird ein Jahr alt. Steuererleichterungen sollen vor allem Zukunftstechnologien aus dem Ausland anlocken. Was denkt die deutsche Wirtschaft über ihn?

    Archiv: Das Kapitol in Washington am 27.09.2017
    Inflation Reduction Act der USA - steuerliche Regelungen in der internationalen Kritik.
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Joe Biden lässt sich gerade für den US-Inflation Reduction Act (IRA) feiern. Zu Recht?
    Achim Dercks: Durch das gesteigerte Ambitionsniveau der USA im Bereich Klimaschutz bieten sich neue Geschäftschancen - auch für deutsche Unternehmen.
    Darüber hinaus ergeben sich auch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit: Zentral ist dabei das sogenannte Carbon Leakage (Verlagerung von CO2-Emissionen in Drittstaaten).

    Wenn Staaten einseitig ihre CO2-Bepreisung steigern, führt dies zu Wettbewerbsnachteilen der Unternehmen und zur Produktionsverlagerung ins Ausland.

    Achim Dercks, stellv. Hauptgeschäftsführer des DIHK

    Bisher haben die USA nämlich kein System zur CO2-Bepreisung wie die EU (Emission Trading System, ETS). Hier ist dringend ein transatlantisches Level Playing Field nötig.

    Mit dem Inflation Reduction Act, kurz IRA, haben die USA ein 738 Milliarden Dollar schweres Investitionsprogramm aufgesetzt, welches neben Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und einer Neuausrichtung der US-amerikanischen Wirtschaft auf erneuerbare Energien auch umfassende steuerliche Neuregelungen vorsieht.

    Auf besondere Kritik aus Deutschland und Europa stießen dabei insbesondere Steueranreize in Höhe von voraussichtlich 270 Milliarden US-Dollar, welche teilweise an den Erwerb von Produkten aus US-amerikanischer Produktion geknüpft sind.

    Quelle: Deutsche Industrie- und Handelskammer

    Schon jetzt sind Investitionsentscheidungen deutscher Unternehmen auch auf den IRA zurückzuführen. Das geht häufig zulasten des Wirtschaftsstandorts Deutschland und Europas, da die US-Steuervorteile im IRA an hohe US-Wertschöpfungsanteile gebunden ist.
    Die EU und USA sollten daher nun rasch ein Rohstoffabkommen abschließen, um den Zugang europäischer Unternehmen zur US-Förderung im Rahmen des IRAs zu verbessern.
     Links der Blick auf ein geöffnetes Portemonnaie, in dem ein 50€-Schein brennt; rechts eine junge Frau, die traurig/nachdenklich einen Einkaufswagen schiebt.
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    ZDFheute: Man spricht immer von den unkomplizierten Genehmigungsverfahren. Aber auch die Biden-Regierung hat das Gesetzeswerk mit Regeln angereichert, die die Gewährung der Mittel verkomplizieren. Ist der IRA wirklich so unkompliziert?
    Dercks: Die Dauer und der bürokratische Aufwand der US-Verwaltungsverfahren ist gegenüber den EU-Förderprogrammen vergleichsweise einfach und insofern aus Unternehmenssicht ein klarer Vorteil.

    Fernsehratsmitglied Dr. Achim Dercks
    Quelle: ZDF/Jana Kay

    ... ist seit 2004 stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (vormals DIHK e.V.). Er wurde 1967 in Kleve geboren. Dercks promovierte an der Universität zu Köln zum Thema "Redistributionspolitik und föderale Ordnung".

    ZDFheute: Wären nicht viele Investitionen sowieso in die USA gegangen, weil dort die Energie günstiger und die Inflation nicht so hoch ist?
    Dercks: Bereits seit Jahren steigen die deutschen Direktinvestitionen in die USA, die einer der wichtigsten Auslandsmärkte der deutschen Wirtschaft sind. Im Länderranking liegen die USA mit Abstand auf Platz eins als Zielort deutscher Direktinvestitionen.
    Seit dem Jahr 2015 sind sie zudem unser wichtigster Exportpartner.

    In den letzten 10 Jahren haben wir Waren im Wert von 1,1 Billionen Euro in die USA exportiert. Das entspricht in etwa dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von Spanien.

    Achim Dercks, stellv. Hauptgeschäftsführer des DIHK

    Angesichts der Energiekrise und der umfangreichen IRA-Förderung verstärkt sich diese Entwicklung derzeit. In einer aktuellen Umfrage der Deutsch-Amerikanischen Handelskammern (AHK USA) geben 17 Prozent der deutschen Unternehmen in den USA den IRA als einen Grund an, ihre Investitionen dort auszuweiten.
    Containerschiffe liegen an einem Containerterminal im Hamburger Hafen
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    Die Nachfrage nach deutschen Waren schwächelte im Juni:
    ZDFheute: Was können die Europäer aus dem IRA lernen?
    Der US-Inflation Reduction Act ist ein Weckruf für die Wirtschaftspolitik der EU - Investitionen am Standort Europa sind kein Selbstläufer, sondern gelingen nur mit Standortbedingungen, die im weltweiten Vergleich mithalten können.
    Eine Politik für Klimaneutralität kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie gleichzeitig die Zukunftsperspektiven der Wirtschaft hierzulande im Blick hat. Der international eng vernetzten deutschen Wirtschaft würde dabei neuer Protektionismus, wie etwa eine Abschottung des EU-Beschaffungsmarkts nach US-Vorbild, letztlich schaden.

    Stattdessen sollte Europa seine wirtschaftliche Attraktivität durch Bürokratieabbau und Investitionen in Innovation, Forschung und Bildung sowie den Abbau von Hemmnissen im EU-Binnenmarkt steigern.

    Achim Dercks, stellv. Hauptgeschäftsführer des DIHK

    Schließlich sollte die EU mit wichtigen Handels- und Rohstoffpartnern Handelsabkommen abschließen, um Lieferketten zu diversifizieren und abzusichern.
    Die DIHK hat mit der StromPartnerschaft für die Energiepolitik in Deutschland ein Konzept vorgelegt, welches sich in der Grundidee an der Investitionsförderung des IRA orientiert, um so das Stromangebot am Markt schneller auszuweiten und die Beschaffungskosten der Unternehmen für Grünstrom zu reduzieren.
    Das Interview führte ZDF-Wirtschaftsjournalist Klaus Weber.

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