Ukraine-Krieg: Ermittlungen gegen deutschen Putin-Kämpfer

    Ukraine-Krieg:Ermittlungen gegen deutschen Putin-Kämpfer

    von Markus Thöß und Julia Klaus
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    Ein Deutscher kämpft im Donbass auf Russlands Seite und gerät in ukrainische Gefangenschaft. ZDF Frontal und T-Online haben ihn gesprochen. Nun ermittelt der Generalbundesanwalt.

    Ukraine, Mariupol, DPR Soldat
    Alexander F. kämpfte im Ukraine-Krieg auf Russlands Seite und geriet als vermutlich erster Deutscher in ukrainische Kriegsgefangenschaft.21.03.2023 | 11:04 min
    Der Deutsche, der für Putin in den Krieg zog, trägt grüngefleckte Uniform und ein russisches Sturmgewehr im Anschlag. Als sein Magazin leer ist, wechselt er ans Maschinengewehr. So zeigt ihn ein Video, wahrscheinlich produziert zu Propagandazwecken. Alexander F. hat keine Ausbildung als Soldat - und doch kämpft er erst im Donbass und später in der grausamen Schlacht um Mariupol.
    Doch als seine Einheit im Oktober 2022 ein Dorf stürmt, scheitert der Angriff. Alexander F. gerät in ukrainische Kriegsgefangenschaft, wahrscheinlich als einer der ersten Deutschen. Reporter von ZDF Frontal und T-Online haben gemeinsam recherchiert und konnten ihn Anfang des Jahres an einem geheimen Ort in Kiew sprechen. Nun ermittelt laut einem Bericht der "Tagesschau" der Generalbundesanwalt.
    Es geht demnach um den Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Nach diesem Paragraphen wurden nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 vor allem Menschen belangt, die Terror vorbereiten.
    Laut "Tagesschau" soll die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im vergangenen Jahr bereits Ermittlungen gegen F. begonnen haben, die der Generalbundesalwalt nun übernommen hat. Dieser wollte sich gegenüber NDR und WDR nicht zu den Recherchen äußern. Es wären aber die wohl ersten Ermittlungen dieser Art seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs.

    Russische Propaganda und die Schlacht um Mariupol

    Alexander F. wurde in der Ukraine geboren und kam mit 17 Jahren nach Deutschland. Lange Zeit lebte der heute 40-Jährige in Frankfurt am Main. Dennoch spricht er nur gebrochen Deutsch. Warum er sich Russland angeschlossen hat? Das erklärte er im Gespräch mit ZDF Frontal so:

    Ich fand es nicht gut, dass die ukrainische Armee, dass die haben angefangen da Krieg und ich wollte irgendwie dabei helfen. Ja, ich glaube, es war so, dass ich war schon eingestellt, dass ich musste kämpfen.

    Alexander F.

    Immer wieder redet Alexander F. davon, dass die Ukraine von Nazis regiert werde - russische Propaganda. Er behauptet, beim Kampf um Mariupol nur Kinder und Frauen rausgebracht zu haben. Dass die Stadt monatelang durch Russen belagert und ausgehungert wurde, erwähnt er nicht. Ein Foto zeigt ihn mit seiner Einheit in Mariupol.
    Putin in dunkelblauem Regenmantel zwischen der unscharfen Silhouette zweier Soldaten bei einer Militärparade in Belgrad 2016.
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    Der Weg von Alexander F.: vom Security-Mann zu Putins Kämpfer

    Nach seiner Schulzeit bricht Alexander F. eine Ausbildung ab, arbeitet später in der Security-Branche. Eine von ihm gegründete Sicherheitsfirma geht 2014 Pleite. Ein Jahr später reist er in die Ost-Ukraine und schließt sich pro-russischen Truppen an. Mehrfach wird er verwundet. Ein Video zeigt ihn 2018 mit zerfetzter Hand in einem Krankenhaus. F. ist also nicht spontan in die Ukraine gereist - er kannte den Krieg schon und hatte sich für die russische Seite entschieden, bevor Putin die Ukraine überfiel. Was er dort sah und erlebte, nimmt Alexander F. stark mit:

    Es ist Horror. Ich wusste nie, dass ich werde so was erleben oder sehen. Es ist kein Film. Es ist viel, viel schlimmer. Also ich kann das nicht mit Worte ausdrücken. Es ist schlimm.

    Alexander F.

    Gegenüber Frontal sagt Alexander F., er sei deutscher Staatsangehöriger, seinen Pass habe er aber verloren. Genauso gut kann es sein, dass Milizen der sogenannten Donezker Volksrepublik, für die er kämpfte, ihm seine Papiere abgenommen haben. Fest steht, dass sich das Auswärtige Amt um F. gekümmert hat. Beamte der Behörde haben ihn in ukrainischer Kriegsgefangenschaft besucht. Deshalb ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass er deutscher Staatsbürger ist. F. sagt, er sei nicht der einzige deutsche Kämpfer auf russischer Seite.

    Ich hab paar Leute getroffen aus Deutschland. Ich weiß nicht mal, wie die heißen. Also wir haben uns nie kennengelernt mit Namen, weil wir haben so wie Spitznamen. Ich habe mit denen gesprochen und die sind übrigens zurück nach Deutschland gegangen.

    Alexander F.

    Ausreisen ins Kriegsgebiet werden nicht erfasst

    Wie viele Deutsche Richtung Russland oder Ukraine ausgereist sind und sich der einen oder anderen Kriegspartei angeschlossen haben, ist unklar. Deutsche Behörden erfassen das nicht, lediglich Ausreise-Versuche oder erfolgte Ausreisen von Extremisten werden gezählt. Eine Studie des Soufan-Centers zählte aber bereits 2019 mehr als 150 Kämpfer aus Deutschland - allein auf russischer Seite.

    In Kriegsgefangenschaft: ein Fernseher für Alexander F.

    Frontal will von Alexander F. wissen, wie er in Gefangenschaft behandelt wird. Ein Video, das wohl kurz nach seiner Festnahme gemacht und in dem Messenger Telegram verbreitet wurde, zeigt ihn mit einem blauen Auge. Er ruft darin seine russischen Kameraden auf, nicht weiterzukämpfen. Ob das Video unter Zwang aufgenommen wurde, lässt sich im Nachhinein nicht feststellen. Gegenüber ZDF Frontal sagt F., die Ukrainer behandelten ihn gut:

    Ich dachte, es wird schlimm für mich. Ich dachte, die würden mich hassen oder sowas. Aber es ist wie für richtige Gefangene. Also wir bekommen Essen, wir bekommen Medizin. Wir haben sogar bekommen den Fernseher.

    Alexander F.

    Nach langen Verhandlungen war das ukrainische Militär bereit, dass ein Team von Frontal mit Alexander F. reden kann. Der Gefangene F. hat dem Interview zugestimmt. F. sagt, er sei zu nichts gezwungen worden. Die Ukrainer behandelten ihn angemessen. Genau überprüfen können wir das nicht. Doch F. wirkt weder verängstigt noch als gehe es ihm körperlich schlecht. Für das Interview stellte die ukrainische Seite eine Bedingung: Militärische Details wie Frontstellungen oder präzise Schilderungen militärischer Abläufe sind nicht gestattet. Die Redaktion wägt Umstände, Bedingungen, das öffentliche Interesse ab - und führt das Interview mit Alexander F.

    Verfassungsschutz: Terrorgefahr durch Kriegs-Rückkehrer

    Alexander F. sagt, er habe Angst vor einer Verurteilung. Eine Rückkehr nach Frankfurt kommt für ihn nicht infrage, sagt er ZDF Frontal. Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, warnt indes vor Kämpfern, die aus dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland zurückkehren. Deutsche Sicherheitsbehörden müssten sich darauf einstellen, dass Putins Kämpfer zeitweilig zurück in die Heimat kommen, um sich zu erholen. Viel wichtiger aber sei aber:

    Aber viel wichtiger noch: Am Ende dieses möglichen Krieges dann ihre Ideologie und ihren Hass und möglicherweise auch die Tatsache, dass sie unterlegen sind, als Frustration in die Heimat bringen, um dann hier dem Extremismus nochmal einen neuen Drive zu verleihen, der dann schon sehr deutlich auch in die Richtung Terrorismus geht.

    Stephan Kramer, Verfassungsschutzpräsident Thüringen

    Interview im russischen Fernsehen: "Endlich ausgetauscht!"

    Als Frontal Alexander F. im Januar in Kiew traf, wusste dieser bereits, dass er bald ausgetauscht wird. Wenige Tage nach dem Interview mit dem ZDF flog er zurück nach Russland und sagte im dortigen Fernsehen:

    Ich möchte meiner Mutter sagen: Hallo! Ich lebe und bin gesund. Endlich ausgetauscht.

    Alexander F.

    Seine Mutter und seine Familie möchten sich Frontal gegenüber nicht äußern. Wo sich Alexander F., der viele Jahre für Russland gekämpft hat, derzeit aufhält, ist unklar.
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    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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