Staudamm in Ukraine zerstört: Sechs militärische Folgen

    Region Cherson geschwächt:Staudammzerstörung: Sechs militärische Folgen

    von Christian Mölling, András Rácz
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    Noch ist unklar, wie es zur Zerstörung des Staudamms in der Ukraine kam. Die militärischen Folgen sind weitreichend - und dienen Russland. Hier ein Überblick.

    Ein Satellitenbild zeigt den völlig überschwemmten Ort Krynky.
    Die von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenaufnahme zeigt den Ort Krynky im Süden der Ukraine nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms.
    Quelle: Satellite image/2023 Maxar Technologies/dpa

    Am 6. Juni brach am frühen Morgen der Damm des Wasserkraftwerks Nowa Kachowka. Die Ukraine behauptet, der Grund sei eine Explosion von innen, die von Russland verübt wurde, während Russland widersprüchliche Erklärungen abgegeben hat.

    Russland verrennt sich in Widersprüchen

    In den westlichen Medien kursieren mindestens drei parallele Erzählungen, die alle die Verantwortung Russlands leugnen. Die eine besagt, dass ukrainische Artillerieeinschläge den Damm zerstört haben. Die zweite besagt, dass es keinen physischen Angriff gab und der Damm aufgrund früherer Schäden, die bereits im Jahr 2022 entstanden waren, und aufgrund des Drucks des beispiellos hohen Wasserstands von 17 Metern im Stausee zusammenbrach.
    Die dritte Erklärung lautet, dass es einer ukrainischen Spezialeinheit gelungen sei, in den Staudamm einzudringen und ihn zu sprengen, um Russland die Schuld in die Schuhe zu schieben und die Wasserversorgung der Krim trocken zu legen. Diese drei Narrative widersprechen sich offensichtlich sogar gegenseitig.
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    Sechs Folgen der Dammzerstörung

    Auch wenn es noch keine eindeutigen Beweise gibt, sind die militärischen Folgen der Zerstörung des Staudamms bereits sichtbar.

    Seuchengefahr und verlorene militärische Optionen

    Erstens sind große Gebiete überflutet, so dass militärische Operationen am Dnipro wahrscheinlich auf Monate hinaus unmöglich sind. Die eigentliche Überschwemmung ist nur einer der Gründe dafür. Ein weiterer Grund ist, dass das betroffene Gebiet auch nach dem Rückgang des Wassers noch mehrere Wochen lang sumpfig bleiben wird. Außerdem steigt die Seuchengefahr, die von den Überresten toter Tiere, von aus den Friedhöfen angeschwemmten Leichen und von organischer Verschmutzung ausgeht.
    Anwohner werden aus ihren Häusern mit einem Schlauchboot evakuiert
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    Es ist nicht bekannt, ob die Ukraine im Rahmen der Gegenoffensive eine Flussüberquerung im Flussabschnitt flussabwärts des Staudamms plante. Sollte dies der Fall gewesen sein, so müssen diese Pläne nun verworfen werden. Das nun überflutete Gebiet wird für den größten Teil des Sommers eine unpassierbare natürliche Barriere bleiben.

    Stausee unpassierbar

    Zweitens: Dies gilt auch für den Nova-Kachowka-Stausee selbst. Da das Wasser weitgehend aus dem Stausee abfließen wird, wird die große, offene Wasserfläche durch Hunderte von Quadratkilometern tiefen Schlamms ersetzt, der für jede militärische Operation unpassierbar ist. Mit anderen Worten: Die Zerstörung des Staudamms sichert nicht nur die linke Flanke der von Russland besetzten Gebiete, sondern auch wesentliche Teile der Nordflanke.

    Rückzug der ukrainischen Spezialeinheiten

    Drittens: Auch die ukrainischen Spezialeinheiten, die im Dnipro-Delta und teilweise auf dem linken Ufer operierten, mussten ihre Stellungen aufgeben und rasch auf das rechte Ufer zurückkehren.
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    Russische Stellungen und Material unter Wasser

    Viertens wurden auch einige der am linken Ufer eingegrabenen Verteidigungsstellungen der russischen Streitkräfte überflutet. Es ist zwar unmöglich, das genaue Ausmaß der Schäden aus offenen Quellen abzuschätzen, aber nach den vorliegenden Bildern hat Russland dort erhebliche Mengen an Ausrüstung, Munition und auch Waffen verloren.
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    Russland ziehe aus der Zerstörung des Staudamms nicht nur einen militärischen Vorteil. Es zeige so auch seine Bereitschaft, die Ukraine zu zerstören - so Sicherheitsexperte Lange.06.06.2023 | 3:31 min

    Russland beschießt Evakuierungen

    Das fünfte militärische Ergebnis ist, dass die russische Artillerie, die Cherson schon vor der Flut regelmäßig beschossen hat, immer noch in der Lage - und willens - ist, die von der Ukraine gehaltenen Gebiete zu beschießen, um die Evakuierungsbemühungen zu vereiteln.
    Mit anderen Worten: Russland beabsichtigt offenbar, die ohnehin schon katastrophale Lage noch weiter zu verschlimmern, indem es die Rettungskräfte und die evakuierte Bevölkerung beschießt.
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    In der Ukraine wurde ein Staudamm zerstört. Was das für die Bevölkerung heißt, schildert ZDF-Korrespondent Timm Kröger.06.06.2023 | 1:42 min

    Längerfristige Gefahr durch Minen

    Eine sechste, längerfristige Folge ist, dass die Überschwemmungen die in dem Gebiet verlegten großen Minenfelder weggespült haben. Sobald das Wasser zurückgeht, werden diese ausgewaschenen Minen fast wahllos überall in dem betroffenen Gebiet verstreut sein.
    Dies wird jede Entminungsaktion nach dem Krieg erheblich erschweren und den Wiederaufbau der Zivilbevölkerung noch schwieriger machen.

    Staudamm-Katastrophe dient Russland

    Auch wenn das genaue Ausmaß der Schäden, die durch die Zerstörung des Staudamms entstanden sind, noch nicht abzusehen ist, so steht doch schon jetzt fest, dass dieses Ereignis eindeutig den kurzfristigen militärischen Interessen Russlands diente.
    Denn es macht jegliche ukrainische Operation am Dnipro oder am Nowa-Kachowka-Stausee für den größten Teil des Sommers unmöglich.
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