Militärhistoriker nach Kachowka-Dammbruch: Wasser als Waffe

    Militärhistoriker zu Damm-Bruch:Wie Wasser als Waffe eingesetzt wird

    von Dalia Antar
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    Das Wasser des zerstörten Kachowka-Staudamms überschwemmt Dutzende Orte in der Ukraine. Aber welchen militärischen Nutzen hat das? Eine Einordnung von Militärhistoriker Neitzel.

    Militärhistoriker Sönke Neitzel im Vordergrund; im Hintergrund das Bild eines historischen Dammbruchs.
    Schon in den Weltkriegen seien Überschwemmungen gezielt eingesetzt worden, um Vormärsche aufzuhalten – mit begrenzter Wirkung, so Militärhistoriker Neitzel im ZDFheute-Interview.07.06.2023 | 11:42 min
    Militärhistoriker Sönke Neitzel schätzt die Folgen des Dammbruchs für den weiteren Kriegsverlauf als gering ein. "Es hat einen Einfluss, aber der Einfluss ist - insgesamt auf einen Krieg betrachtet - begrenzt", sagte er ZDFheute. Kriege seien von so vielen Faktoren abhängig, dass Ereignisse wie zerstörte Staudämme im gesamten Kriegsverlauf "Fußnoten" seien.

    Wasser als Waffe: Welche Beispiele gibt es aus der Vergangenheit?

    Das zeige ein Blick in die Vergangenheit: Im Zweiten Weltkrieg sei im ukrainischen Saporischschja von der Roten Armee ein Damm gesprengt worden. "Die Deutschen haben ihn dann bis 1943 wieder aufgebaut und im Herbst 1943 bei ihrem Rückzug auch wieder gesprengt", erklärt Neitzel. Auch sonst seien im Ersten und Zweiten Weltkrieg Wassermassen als Waffe eingesetzt worden.

    Wir haben mehrere Fälle, wo Dämme gebrochen wurden und wo man auch gezielt Überflutungen eingesetzt hat, um feindliche Vormärsche aufzuhalten.

    Sönke Neitzel, Militärhistoriker

    Überflutete Straßen in Cherson, nachdem der Kachowka-Damm gesprengt wurde.
    Wegen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms müssen Anwohner vor den Wassermassen fliehen, tausende haben keinen Zugang zu Trinkwasser.07.06.2023 | 1:32 min
    Unter anderem die Briten hätte im Ersten und Zweiten Weltkrieg Schleusen geöffnet oder Dämme gesprengt. "All diese Fälle haben durchaus einen lokalen Einfluss gehabt." Sie hätten in einigen Fällen in der Vergangenheit sogar Hunderte oder Tausende Menschen getötet.
    Sie hätten aber eigentlich keinen namhaften Verlauf auf den Krieg genommen, sagt Neitzel.

    Obwohl das schrecklich ist für die Leute, die da betroffen sind: Wir sollten das insgesamt für den Kriegsverlauf nicht überbewerten. Ich glaube auch jetzt, dass das aktuell für den Kriegsverlauf keine sehr große Rolle spielt.

    Sönke Neitzel, Militärhistoriker

    Mögliche ukrainische Gegenoffensiven seien nicht wesentlich von den Folgen der Damm-Zerstörung betroffen, glaubt Neitzel. Auch die Rote Armee habe durch die Damm-Sprengung 1941 den Vormarsch der Wehrmacht nicht wesentlich aufhalten können - die Wehrmacht habe an anderer Stelle den Dnipro überquert.
    Ukraine-Krieg - Cherson
    Die riesigen Wassermassen des Kachowka-Stausees überfluten die Gebiete flussabwärts am Dnjeprs. Timm Kröger berichtet aus Cherson. 07.06.2023 | 3:09 min
    Durch die aktuelle Überflutung in der Region Cherson wird laut dem Militärhistoriker zwar das Vorankommen erschwert - insbesondere mit Fahrzeugen. Aber: "Mein entscheidendes Argument ist, dass aus dieser Region eigentlich keine wirklichen Operationen geführt werden." Es sei "sehr, sehr unwahrscheinlich, dass die Ukrainer über diesen Fluss hinweg einen Angriffsschlag führen". Genauso unwahrscheinlich sei es, dass die Russen über den Fluss hinweg angreifen würden.
    Karte Nowa Kachowka Staudamm
    Quelle: ZDF

    Wer ist für die Zerstörung des Damms verantwortlich?

    Ob Russland oder die Ukraine verantwortlich sind, ist aktuell unklar. Moskau und Kiew beschuldigen sich gegenseitig. Für Neitzel sieht es aber so aus, "als ob die russische Seite, die ja auch den Damm vermint hat, das gezündet hat". Grund dafür könne der unwahrscheinliche Fall sein, dass die Ukraine über den Dnipro hinweg angreifen könnte, erklärt Neitzel. Möglicherweise habe Russland das mit einer Sprengung verhindern wollen.
    Von links: Omid Nouripour, Sabine Adler, Maybrit Illner, Christian Mölling, Claus KleberSCHALTE: Liana Fix
    Der Kachowka Staudamm wurde gesprengt. Olaf Scholz sieht darin eine „neue Dimension“ des Krieges. Was bedeutet die Zerstörung für die Menschen dort und für die Offensive der Ukraine?08.06.2023 | 63:30 min
    Die ukrainische Seite sprengte zu Beginn des russischen Angriffskrieges im Norden von Kiew einen Damm in Irpin, um den russischen Vormarsch zu verlangsamen. Dabei sei in Kauf genommen worden, dass Felder überflutet werden, so Neitzel. Die Überschwemmung war laut Neitzel deutlich kleiner als beim Kachowka-Staudaumm.

    Beide Seiten setzen solche Waffen ein, um mit Wasser die jeweils gegnerische Seite zu bremsen.

    Sönke Neitzel, Militärhistoriker

    Die Ukraine verteidige damit aber den eigenen Staat und führe nicht - wie Russland - einen Aggressionskrieg gegen ein anderes Land. Das sei ein Unterschied, betont Neitzel, wobei die Folgen für Landwirtschaft und Menschen gleichermaßen negativ seien.
    Militärexperte Christian Mölling zur Sprengung des Staudamms.
    Laut Militärexperte Mölling profitiere "Russland am meisten" von der Sprengung. Die Zerstörung des Dammes treffe beide Seiten. Fraglich sei, ob sie in diesem Ausmaß geplant war.07.06.2023 | 3:02 min

    Wem nutzt die Überschwemmung?

    Ein deutlicher Nutzen sei laut Neitzel noch nicht absehbar. "Ich sehe das eher als einen Teil dieser psychologischen Kriegsführung, ein Teil der Vorbereitung. Die Ukraine will eine Gegenoffensive führen, die Russen versuchen, genau das verhindern." Er könne derzeit keinen entscheidenden militärischen Vorteil für beide Seiten erkennen.
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