Macrons Rentenreform: Worum es den Protestierenden geht
Macrons Rentenreform:Frankreich: Worum es den Protestierenden geht
von Lukas Nickel
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Die Diskussion in Frankreich dreht sich vor allem um das Renteneintrittsalter. Doch es geht um mehr als das.
Seit Wochen gehen in Frankreich Hunderttausende Menschen gegen die Pläne von Emmanuel Macron auf die Straße. Die Reform birgt soziale Sprengkraft.
Quelle: AFP
Beauvais, anderthalb Stunden Autofahrt nördlich von Paris. Jean Francois Breton streift mit seiner Frau und einer Gruppe eher älterer Menschen durch die Stadt. Zusammen mit seinem Rentnerverein organisieren sie regelmäßig verschiedene Aktivitäten, wie an diesem verregneten Samstag.
Wie Breton geht es den meisten Rentnern im Land gut. In Frankreich ist das Armutsrisiko laut OECD-Daten im europäischen Vergleich relativ gering, auch im Vergleich zu Deutschland. Die Rente gilt in Frankreich als Errungenschaft. Doch die Reform empfinden viele als ungerecht.
Reform trifft vor allem schlechter Verdienende
Die Rente bevorzugt in Frankreich vor allem Menschen, die im Laufe ihres Lebens gut verdienen, denn nur die besten Jahre der Erwerbstätigkeit werden zur Berechnung herangezogen. Menschen in Jobs mit schlechteren Gehaltsaussichten müssen also mit einer deutlich geringeren Rente rechnen. Mit der Reform müssen sie zusätzlich zwei Jahre mehr arbeiten.
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Christine Erhel, Arbeitsmarktforscherin am Centre d’études de l’emploi et du travail in Paris:
Hohe Erwartungen an Arbeitnehmer in Frankreich
So geht es auch Hariski Kerouane. Der 53-jährige kam mit 18 Jahren aus Algerien nach Frankreich. Seitdem arbeitet er als Maurer. Einen Bandscheibenvorfall hatte er schon, und leidet an Rheuma. "Die Reform ist ungerecht. In anderen Branchen kann man vielleicht bis 64 arbeiten, aber nicht als Maurer", sagt Kerouane.
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Hinzu komme, dass die Anforderungen an Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hätten, erklärt Christine Erhel: "In Frankreich erwartet man viel von den Arbeitnehmern. Sie müssen sehr produktiv und immer erreichbar sein". Viele sorgten sich deshalb derzeit, es gesundheitlich nicht zu schaffen, die nötigen Jahre zur Rente ohne Abzüge zu arbeiten. Müssen sie schon vorher aufhören zu arbeiten, verringert sich auch ihre Rente, so die Expertin.
Systematische Probleme in der französischen Gesellschaft
Auf der einen Seite also schlechte Bezahlung und Rente von Menschen in gering qualifizierten Jobs, auf der anderen Seite die anstrengende Arbeit. Doch die systematischen Probleme in der Gesellschaft könne die Rentenreform nicht lösen, meint Prisca Thévenot, Abgeordnete aus Macrons Partei Renaissance.
Die Franzosen laufen Sturm gegen die Rentenreform der Regierung. Im März gab es einen Generalstreik - aus Protest. 07.03.2023 | 2:29 min
Sie macht regelmäßig Werbung in ihrem Wahlkreis für die Reform, so auch an diesem Sonntagnachmittag auf einem Flohmarkt in einem Vorort von Paris.
Warnungen vor sozialen Spannungen durch Rentenreform
Während Thévenot über den Markt schlendert, wird sie selten angesprochen. Und wenn, dann wollen die Leute nicht über Politik reden. Déborah Schouhmann kennt Thévenot schon von früher und begrüßt die Politikerin mit ihren zwei Töchtern. Dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht, beobachtet auch sie: "Die Menschen haben Angst vor der Zukunft, sie sind orientierungslos. Die Reform kam zum falschen Zeitpunkt."
Gestern haben sich die Gewerkschaften mit Premierministerin Borne getroffen. Sie bestehen auf 62 Jahren Eintrittsalter für die Rente, während die französische Regierung auf 64 beharrt. Einen Misserfolg nannten Gewerkschaftsführer das. Seit Wochen warnen sie, dass die Reform soziale Spannungen vergrößern wird. Für heute sind zum elften Mal landesweite Proteste angekündigt.