Ukraine und Getreidemarkt: Höhere Preise drohen

    Interview

    Experte zu Ukraine-Krieg:Getreidemarkt: Deutlich höhere Preise drohen

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    Importstopp für ukrainisches Getreide: Die Einigung mit Polen ändere wenig, sagt Agrarökonom Klaus Schumacher im ZDF-Interview. Überhaupt liege das Problem woanders.

    Ukraine, Winnyzja: Ein Fahrzeug lädt Mais auf dem Bauernhof Roksana-K ab.
    Der Weltmarkt ist auf ukrainisches Getreide angewiesen.
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Die Ukraine und Polen haben sich geeinigt: Ukrainisches Getreide darf durch Polen durch auf andere Märkte fahren. Ist damit das Problem gelöst?
    Klaus Schumacher: Es ist zumindest gelindert. Aber keiner kann heute genau sagen, ob der Transit durch Polen wirklich gut funktionieren wird. In Polen sind wir nun mal im Wahlkampf und die Bauern spielen für die regierende Partei eine wichtige Rolle.
    ZDFheute: Das heißt aber, dass das Problem der Überversorgung abnimmt?
    Schumacher: Das wahre Damoklesschwert, das über uns hängt, ist der 18. Mai: Da endet möglicherweise der UN-Exportkorridor aus Odessa. Wenn es bis dahin der Türkei und den UN nicht gelingt, das Abkommen mit Russland zu verlängern, dann haben wir ein sehr großes Unterversorgungsproblem und über Nacht wieder deutlich höhere Preise auf dem internationalen Getreidemarkt.

    Nach Importstopp
    :Polen und Ukraine beenden Getreidestreit

    Der Importstopp der polnischen Regierung von Getreide aus der Ukraine ist beendet. Die beiden Länder einigten sich auf ein entsprechendes Abkommen.
    Polens Agrarminister Robert Telus (l) und Ukraines Minister für Landwirtschaft und Ernährung Mykola Solskyi (r).
    ZDFheute: Wie groß ist die Gefahr, dass diese Vereinbarung nicht verlängert wird? Es wäre doch auch im Interesse Russlands nicht als Buhmann dazustehen, der den Afrikanern, die das ukrainische Getreide brauchen, die Nahrung nicht zugesteht.
    Schumacher: Für die Verlängerung des Deals hat Russland massive Forderungen gestellt: zumindest die Bank für die Abwicklung der Agrarexporte soll wieder in das SWIFT-System einbezogen werden. Das wäre eine Aufweichung der Sanktionen der westlichen Länder. Sie wollen auch, dass sie Ersatzteile für ihre Landmaschinen wieder aus dem Westen beziehen können. Durch das Embargo haben sie Probleme in der Ersatzteilversorgung in der Landwirtschaft, und die werden in den nächsten Monaten nicht kleiner werden.
    Klaus-Dieter Schumacher
    Klaus Schumacher ist Agrarökonom und freiberuflicher Berater für die Agrar- und Ernährungswirtschaft.
    Quelle: Imago

    ZDFheute: Wenn Getreide über Odessa nicht rausgeht, welche anderen Wege gibt es? Kann der Hafen Constanza im benachbarten Rumänien Odessa ersetzen?
    Schumacher: Nein, kann er nicht. Vor dem Krieg exportierte die Ukraine Getreide und Ölsaaten sowie Pflanzenöl in der Größenordnung von sieben bis acht Millionen Tonnen pro Monat. Dann ist der gesamte Export im März, April 2022 über die Seehäfen zusammengebrochen und es wurde etwa eine Million Tonnen per Lkw und per Bahn über die grüne Grenze sowie über Binnenschiffe nach Constanza und andere Donau-Häfen exportiert.
    Gerstenfeld in der Ukraine
    Die EU-Kommission hat den von Polen und Ungarn beschlossenen Einfuhrstopp von ukrainischem Getreide kritisiert.17.04.2023 | 2:15 min
    Der UN-Korridor aus Odessa hat es dann wieder erlaubt, dass wir zusammen mit einer größeren Menge über den Landweg wieder bei 5 bis 6 Millionen Tonnen pro Monat angelangt sind. Wenn Odessa wieder total wegfällt, dann haben wir echte Versorgungsprobleme in den nächsten Monaten auf dem Weltgetreide- und Ölsaatenmarkt.
    ZDFheute: Wo fehlt denn das Getreide dann?
    Schumacher: Das Getreide fehlt dann in den wichtigsten Abnehmerländern für ukrainisches Getreide, vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten. Und da wir im letzten Jahr in der EU eine sehr schlechte Maisernte hatten, würde auch uns Mais für die tierische Fütterung fehlen. Der wirkliche Sturm bricht los, wenn der Exportkorridor aufhört. Das wäre eine Katastrophe.
    ZDFheute: Und noch mehr über Land zu transportieren, kostet viel Geld.
    Das kostet Geld und wir haben das Problem beim Bahntransport, dass wir eine breitere Spur haben in der Ukraine und jeder Waggon umgeladen werden muss, beziehungsweise das Fahrgestell ausgetauscht werden muss. Das ist und bleibt ein Flaschenhals.
    Für den Landwirt und letzten Endes für alle Beteiligten wäre es das Beste, wenn der Seeexport erhalten bleibt. Das ist der einfachste und kostengünstigste Transportweg. Bahn und Lkw sind deutlich teurer. Außerdem werden immer mehr Lkw in der Ukraine durch die Armee requiriert, sodass auch die Verfügbarkeit weiter abnimmt.
    Die Transportkosten sind also gestiegen. Das heißt auch, dass der Landwirt in der Ukraine heute weniger Geld für seine Tonne Weizen oder Mais bekommt als vor dem Krieg. Zusammen mit den Kriegsfolgen wird dies in diesem Jahr auch zu einer kleineren Ernte in der Ukraine führen. Das heißt, dass die für den Export verfügbaren Mengen auch kleiner werden. Das potenziert das Problem weiter. Wenn dann der Exportkorridor tatsächlich nicht fortgesetzt wird, dann ist es wirklich ein Doppelschlag, wenn sie so wollen, der auf uns zukommt.
    ZDFheute: Also im Augenblick haben wir kurzfristig ein Problem in den östlichen EU-Mitgliedstaaten mit Überversorgung, aber das wahre Problem ist die Unterversorgung?
    Schumacher: Die östlichen Mitgliedsländer der EU haben nur zum Teil ein Überversorgungsproblem. Ungarn beispielsweise hatte letztes Jahr so eine schlechte Maisernte, dass sie keinen Mais exportieren konnten. Und in Polen ist es eben eher eine politische Frage wegen der anstehenden Wahlen als ein echtes Überschussproblem.
    Entscheidend ist aber, dass wir in den letzten Jahren weltweit schlechte Ernten hatten. Deswegen sind die Lagerbestände auf ein sehr niedriges Niveau gesunken. Bei Weizen beispielsweise auf dem geringsten Lagerbestand seit acht Jahren. Wir können es uns aktuell nicht leisten erstens in diesem Jahr witterungsbedingt schlechte Ernten einzufahren und zweitens den Export aus der Ukraine zu verlieren für die weltweite Versorgung.
    ZDFheute: Und die Ukraine kann es sich nicht leisten, weil sie auch die Einnahmen braucht für den Krieg.
     Schumacher: Richtig, es ist der wichtigste Devisenbringer für die Ukraine.
    Das Interview führte Britta Hilpert. Sie leitet das ZDF-Studio Wien.
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