Netanjahu erwartet unangenehmer Besuch in Berlin

    Proteste angekündigt:Unangenehmer Berlin-Besuch für Netanjahu

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    Justizreform, Siedlungsbau, Rechtsrutsch: Der Besuch von Israels Ministerpräsident Netanjahu wird von Kritik und Protesten begleitet. Ein heikler Termin nicht nur für den Kanzler.

    Bei seinen politischen Gesprächen in Berlin weht Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu deutliche Kritik entgegen. Wegen innenpolitischer Probleme musste er seinen Besuch ohnehin verkürzen - Demonstranten gegen seine umstrittene Justizreform hatten sogar gedroht, seinen Abflug nach Deutschland zu verhindern.
    Nun trifft er in Berlin zwar auf eine generell israelfreundliche Haltung. Aber auch in der Bundesregierung wird die Entwicklung der nationalistisch-religiösen Koalition unter Netanjahus Führung mit dem Abbau von Justizrechten und dem Siedlungsbau in den besetzten palästinensischen Gebieten sehr kritisch gesehen.
    So sprengt die rechte Regierung um Netanjahu die Einheit der israelischen Gesellschaft:

    Demonstrationen in Israel
    :Justizreform das Ende des Rechtsstaats?

    In Israel gibt es Widerstand gegen die Justizreform. Kritiker befürchten ein Ende der Gewaltenteilung. Wie sich die Machthaber um Netanjahu die Zukunft Israels vorstellen.
    von Luc Walpot
    Benjamin Netanjahu am 29.12.2022 in Jerusalem
    "Die Lage hat sich dramatisch verschlechtert in Israel", sagt SPD-Außenpolitiker Thomas Roth mittags im ZDF. Es sei "wichtig, dass wir deutlich machen, wir stehen an der Seite Israels, in dieser eskalierenden Situation". Man müss aber selbstverständlich "auch drüber reden, 'dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten ist und es muss eine Demokratie bleiben." Er vertraue einfach auf die Zivilgesellschaft in Israel und auf mahnende Worte des Kanzlers.
    Kanzler Olaf Scholz wird nach Angaben aus Regierungskreisen dennoch vor allem erneut betonen, dass die Sicherheit des jüdischen Staates weiter Staatsräson für Deutschland bleibt. Die gemeinsam absolvierte Visite an der Holocaust-Gedenkstätte Gleis 17 soll die anhaltende deutsche Verantwortung für den Holocaust unterstreichen.
    Scheitert die Demokratie in Israel an Netanjahus Justizreform?

    Deutsche Politiker fordern deutliche Worte

    Aber auch Bundestagsabgeordnete werden sehr deutlich: So fordert Gabriela Heinrich, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, offene Worte gegenüber Netanjahu. "

    Die deutsche Politik ist gerade aufgrund unserer tiefen Freundschaft zu Israel verpflichtet, bei Sorgen über das israelische Regierungshandeln kein Blatt vor den Mund zu nehmen,

    Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion

    sagt die Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe der Nachrichtenagentur Reuters. "Das Existenzrecht Israels gehört zur deutschen Staatsräson. Es muss aber gleichzeitig möglich sein, Differenzen offen anzusprechen, etwa bei der Justizreform und beim völkerrechtswidrigen Siedlungsbau."

    Sicherheit Israels sichert Stabilität in der Region

    "Ich hoffe, dass der Bundeskanzler gegenüber Premierminister Netanjahu klarstellt, dass die Sicherheit Israels unverändert und unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in der Knesset deutsche Staatsraison ist", sagt CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt zu Reuters.

    Denn die reale Bedrohung Israels und des Friedens in der gesamten Region durch den Iran spitzt sich zu. Der Zeitpunkt, zu dem der Iran atomar bewaffnet sein könnte, ist erschreckend nah.

    Jürgen Hardt, CDU-Außenpolitiker

    In Israel selbst zeige sich allerdings mit den anhaltenden Protesten gegen die Regierung Netanjahu eine starke Polarisierung in der Gesellschaft. Die Bundesregierung sollte "die konstruktiven Teile der israelischen Regierung" unterstützen, forderte der CDU-Politiker.
    Auch die UN sieht den illegalen Ausbau jüdischer Siedlungen kritisch:
    Und Gegenwind kommt diesmal auch vom Präsidenten des Zentralrats der deutschen Juden, Josef Schuster. "Ein Abbau demokratischer Strukturen wäre auch für die jüdische Gemeinschaft außerhalb Israels nicht akzeptabel", sagt er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

    Sehr viele in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sind besorgt über die gesellschaftliche Spaltung in Israel, die durch die von der aktuellen Regierung vorangetriebene Justizreform noch sichtbar verstärkt wird.

    Josef Schuster, Zentralrat der Juden in Deutschland

    Bisher seien Jüdinnen und Juden in aller Welt stolz darauf, dass der jüdische Staat "die einzige Demokratie im Nahen Osten" sei.

    Heusgen: Israels Regierung zerstört Fundament des Staates

    Noch deutlicher wurde der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, der der israelischen Regierung vorwarf, sie zerstöre das Fundament des jüdischen und demokratischen Staates.

    Mit dem Unterlaufen einer Zweistaatenlösung komme es zu einer dauerhaften Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung.

    Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz

    "Damit würde sich Israel aber aus dem Kreis der demokratischen Staaten verabschieden", fügte er im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland hinzu. Die Justizreform sei dafür ein weiteres trauriges Anzeichen.
    Die Siedlungspolitik Israels gefährdet die Zweistaatenlösung, sagt ZDF-Reporter Reichart:

    Schwieriger Balanceakt für Kanzler Scholz

    Nun dürfte Kanzler Scholz abzuwägen haben, ob er angesichts der nötigen Abstimmung mit Netanjahu über eine Fülle auch sicherheitspolitischer Fragen eine Konfrontation bei dessen Antrittsbesuch suchen soll. Denn man müsse über die Zuspitzung des Atomstreits mit Iran und die überraschende Wiederannäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran reden, die die Region durchgeschüttelt haben, heißt es in Regierungskreisen.
    EU-Diplomaten hatten mehrfach auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Israel einen Militärschlag gegen Atomanlagen Irans unternehmen könnte - was durch die Annäherung Teherans mit Saudi-Arabien unter chinesischer Vermittlung schwieriger werden dürfte.
    Nahost-Experte Gerlach erklärt die neue iranisch-saudische Annäherung:
    Außerdem wird Israel mit seinen Erdgasvorkommen im Mittelmeer künftig auch Energielieferant für die EU. Zudem dürfte die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriff eine Rolle in den Gesprächen spielen, heißt es.
    Eher am Rande könnte zudem über das deutsche Interesse an dem israelischen Luftverteidigungssystem Arrow 3 gesprochen werden. Dass Deutschland und Israel ihre Rüstungszusammenarbeit stärken wollen, stehe aber außer Frage. Bisher liefert Deutschland dem Land etwa U-Boote und kauft dort Drohnen ein.
    Heikle Besuche aus Nahost: Beim Besuch von Palästinenserpräsident Abbas 2022 kam es bei der Pressekonferenz zum Eklat, weil Kanzler Scholz nicht schnell genug reagierte:
    Quelle: Andreas Rinke, Reuters

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