Ukraine-Krieg: Wer hinter Putin die Strippen zieht

    Machtverhältnisse in Moskau:Wer hinter Putin die Strippen zieht

    von Christian Mölling und András Rácz
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    Der Fortgang des Ukraine-Kriegs hängt nicht nur von Putin ab. Der Kremlchef muss verschiedene Akteure zufriedenstellen - auf welche er sich künftig konzentrieren könnte.

    Der russische Präsident Wladimir Putin während einer Veranstaltung im Kreml.
    Der russische Präsident Wladimir Putin.
    Quelle: EPA/GRIGORY SYSOEVS/SPUTNIK/KREMLIN POOL

    Putin oder ein Nachfolger? Die Person an der Kreml-Spitze ist die Schlüsselvariable für den weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine. Bleibt Wladimir Putin, finden die nächsten Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2024 statt. Ob Wladimir Putin noch mal für eine weitere Amtszeit kandidieren wird - oder einen Nachfolger in Stellung bringt, wird spätestens in wenigen Monaten klar sein.
    So oder so: Bis dahin wird sein Wille die russische Politik bestimmen. Dennoch: Ähnlich wie im vergangenen Jahr wird er sicherlich zwischen verschiedenen Machtgruppen manövrieren müssen, auch wenn er der dominierende Akteur bleibt.
    Andrij Melnyk, stellv. Außenminister der Ukraine
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    Wie sich die Machtbalance verschiebt

    Vor Februar 2022 wurden die Machtkämpfe innerhalb der russischen Spitzeneliten zu vereinfacht beschrieben. Unterschieden wurde nur zwischen Silowiki (Personen mit einem Hintergrund in Streitkräften - wie Armee, Polizei, Geheimdiensten) und ökonomisch-technokratischen Eliten.
    Der Einfluss letzterer hat sich seit dem Beginn der Eskalation vergangenes Jahr entscheidend abgeschwächt. Viel wichtiger sind daher die Konflikte innerhalb der Silowiki-Gruppe. Besorgniserregend: Ein bestimmter Teil dieser Gruppe ist mit dem Krieg unzufrieden, nicht weil er gegen ihn ist, sondern weil er einen noch intensiveren Krieg will.

    Die Silowiki-Gruppe

    • Prominente Mitglieder dieser Fraktion sind Jewgeni Prigoschin, Eigentümer der Wagner-Gruppe und mehrerer "Internet-Troll-Fabriken", was ihm ermöglicht, den öffentlichen Diskurs in Russland mitzugestalten. Mehrere einflussreiche Blogger und Influencer sind mit Prigoschin verbunden oder sympathisieren mit seinen radikalen Ideen.

    Die Söldnergruppe "Wagner" wird von Jewgeni Prigoschin angeführt. Neben der Ukraine soll es auch in Syrien, in der Zentralafrikanischen Republik, im Sudan, in Somalia und in Mali "Wagner"-Einsätze geben. Wagner-Leute werden der Tötung, Vergewaltigung und Folter von Menschen verdächtigt - auch in den Vororten von Kiew im Ukraine-Krieg. In Afrika bringen Experten Prigoschin mit Gold- und Diamantenminen in Verbindung.

    • Der tschetschenische Anführer Ramsan Kadyrow gehört ebenfalls zu dieser ultra-radikalen Gruppe. Seine Macht beruht auf der herausragenden Rolle, die er und seine Kämpfer in der kriminellen, russischen Unterwelt spielen. Einschließlich ihrer Fähigkeit, selbst extreme Gewalt anzuwenden, um jegliche Streitigkeiten mit Rivalen beizulegen - oft ungestraft.
    • Eine weitere ebenfalls radikale Fraktion wird von Putins zuverlässigem Verbündeten, dem Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, gebildet. Patruschew ist wahrscheinlich die einflussreichste Figur des russischen Regimes nach Putin. Er ist ein verschwiegener Mann und spricht nur selten mit der Öffentlichkeit. In den wenigen Interviews, die er gibt, betrachtet Patruschew den Krieg gegen die Ukraine als Teil des für Russland so wichtigen Überlebenskampfes gegen den kollektiven Westen.
    Archiv: Nikolai Patruschew, aufgenommen am 21.01.2011 in Moskau
    Nikolai Patruschew (Archivfoto)
    Quelle: RIA Nowosti

    • Weitgehend ähnliche Ansichten vertreten auch Sergej Narischkin, Chef des Auslandsgeheimdienstes (SVR), und viele andere Silowiki der unteren Ebene, insbesondere in den Strukturen der Sicherheitsdienste. Gleichzeitig schaut diese Gruppe auf das Duo Prigoschin-Kadyrow herab. Prigoschin und Kadyrow sind für sie nicht seriös, unzuverlässig und gierig, eine Art irreguläre Verbrecher, keine bewährten Profis.

    Russisches Militär gemäßigter als Silowiki-Akteure

    Inzwischen sind die Streitkräfte und das Verteidigungsministerium deutlich weniger radikal als die Linie Prigoschin-Kadyrow und als Patruschew. Der Hauptgrund dafür ist, dass das Militär im Krieg verheizt wird, seine Ressourcen und seine Machtbasis immer mehr degradiert werden.
    Die militärische Führung, die sich aus Fachleuten wie Generalstabschef Waleri Gerassimow zusammensetzt, ist sich den Schwächen und Grenzen des russischen Militärs durchaus bewusst - dennoch sind sie verpflichtet, die Befehle aus dem Kreml auszuführen.
    Der Verteidigungsminister Sergej Schoigu selbst verlässt sich, auch weil er nie beim Militär war, auf das Fachwissen dieser erfahrenen Kommandeure. Daher versucht er oft, sowohl als Puffer als auch als Übertragungsachse zwischen dem Kreml und dem Generalstab zu fungieren.
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    Putin wohl auf Seite der Radikalen

    Nach monatelangem Abwägen zwischen diesen Gruppen schien sich Putin auf die radikalere Fraktion festzulegen, als er im September eine Teilmobilisierung anordnete. Aus militärischer Sicht war diese aufgrund der schweren Verluste der Armee für ihn bereits eine absolute Notwendigkeit.
    Seitdem hat Putin davon abgesehen, weitere entscheidende Schritte zu unternehmen, um Russland noch mehr in den Krieg zu stürzen. Er scheint also weiter abzuwägen. Dies wird sich wohl erst ändern, wenn sich der Ausgang der bevorstehenden russischen Offensive abzeichnet.
    Schaltgespräch Berlin Diekmann
    Im September hatte Russlands Präsident Putin die Teilmobilisierung angeordnet.23.09.2022 | 2:00 min
    Sollte Russland ein entscheidender Durchbruch gelingen, was unwahrscheinlich ist, bestünde keine Notwendigkeit für eine weitere Eskalation des Krieges.
    Sollte die Offensive jedoch keine strategischen Veränderungen mit sich bringen, müsste Putin wahrscheinlich erneut eine klare Entscheidung treffen, ähnlich wie im September: Russland stärker auf Kriegsfuß stellen oder sich mit den Folgen der Degradierung der konventionellen Streitkräfte auseinandersetzen.



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